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Interview: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schweinehaltung ist überfällig!“

Interview zur angekündigten Zurücknahme des Normenkontrollantrag

Im Jahr 2019 hatte das damals noch rot-rot-grün regierte Berlin einen vielbeachteten Normenkontrollantrag zur Schweinehaltung eingereicht. Der Grund: Berlin hielt wesentliche Teile des Abschnitts 5 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, die das Halten von Schweinen betreffen, für unvereinbar mit der Verfassung und dem Tierschutzgesetz (TierSchG). Ein Jahr nachdem die schwarz-rote Koalition den Berliner Senat übernommen hat, kündigte Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg Anfang März 2024 an, den Normenkontrollantrag zur Überprüfung der Schweinehaltung zurückzuziehen. Tierrechte sprach mit dem Tierschutzjuristen Dr. Eisenhart von Loeper über die grundsätzliche Bedeutung dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens für die Tierhaltung in Deutschland und warum das vorzeitige Ende ein tierschutzpolitischer Skandal wäre.

Herr Dr. von Loeper, warum will Justizsenatorin Dr. Badenberg die Überprüfung der Schweinehaltung in industriellen Haltungssystemen beenden?
Berlins Regierender Bürgermeister hat Frau Badenberg als Vizepräsidentin des Geheimdienstes zur Justizsenatorin gemacht, weil sie gegen Rechtsextremisten tätig war. Jetzt zeigt sich der fatale Fehler, dass sie bei der Klärung der Verfassungsmäßigkeit einer Bundesrechtsverordnung den Verfassungsrang der Tiere übersehen hat. Tatsache ist, dass die Art und Weise, wie die Mehrheit der Schweine aktuell in Deutschland gehalten werden, Leiden verursacht und den Tieren „das Erfüllen arteigener Bedürfnisse“ verweigert. Der Bundesverordnungsgeber verletzt damit das TierSchG und missachtet die Stellung der Tiere, die seit 2002 als Staatsziel in Art. 20a Grundgesetz verankert wurde.

Worum genau ging es in dem Normenkontrollantrag?
Der Antrag bezog sich insbesondere auf die tierquälerische Haltung von Sauen in Kastenständen. Nach der aktuellen Rechtslage ist es noch bis 2029 erlaubt, Zuchtsauen in körperengen Kastenständen zu fixieren. Das betrifft etwa 6,4 Mio. Sauen in Deutschland. Bei der Kastenstandhaltung im Abferkelbereich, wo die Sauen ihre Ferkel gebären und stillen, dürfen die Tiere noch für eine Übergangszeit von 15 Jahren für vier bis fünf Wochen fixiert werden. Die tierquälerischen Vollspaltenböden werden sogar auf Dauer zugelassen. Wir sehen wie gravierend die Politik 2020 mit dem „Schweinekompromiss“ Lobbyinteressen bediente. Der Einzeltierschutz kommt massiv unter die Räder, das darf keinen Bestand haben.

Welche Bedeutung kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes haben?
Sie könnte bewirken, dass die Schweinehaltung in Deutschland neu geregelt werden muss. Wir haben das bei den Hennen erlebt: Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 die Käfighaltung für nichtig erklärt. Es stellte fest, dass ein Huhn auf einer knappen DINA4 Seite seine Grundbedürfnisse nicht ausleben kann. Diese Maßstäbe galten grundsätzlich für alle Tierarten, also auch für Schweine. 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht auch die sogenannte Kleingruppenhaltung von Hennen wegen mangelnder Anhörung für nichtig. Allerdings gelang der endgültige Ausstieg aus der Käfighaltung von Hennen nur durch entsprechende Absprachen mit dem Lebensmittelhandel. Nichtsdestotrotz: Die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zur Schweinehaltung ist überfällig und würde eine enorme bundespolitische Bedeutung haben.

Kann die Justizsenatorin den Antrag einfach zurückziehen, obwohl das Grundsatzverfahren eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat?
Es wäre ungeheuerlich, wenn die Klage mit 323 Seiten tatsächlich zurückgezogen werden sollte. Wie kann eine Senatorin die tierschutzspezifische Vorarbeit des rot-rot-grünen Senats vereiteln, als ginge es hier um Lappalien, und nicht um Millionen von leidenden Tieren?

Badenberg erklärte das Zurückziehen damit, dass es sich bei dem Normenkontrollantrag um ein umständliches Verfahren handele und die Problematik für Berlin nicht unmittelbar von Bedeutung sei…
Umständlich ist Unsinn: Berlin muss als Hauptstadt fungieren. Außerdem verzehren die 3,8 Millionen Einwohner jährlich das Fleisch von Abermillionen von Schweinen aus tierquälerischer Haltung. Berlin blamiert sich damit.

Wenn die Justizsenatorin ihre Ankündigung wahrmacht, was würde dies für den Tierschutz in Deutschland bedeuten?
Das wäre ein Tierschutz-Kahlschlag, den die Berliner Landesregierung ganz ohne Not verursachen würde. Dies betrifft aber alle staatlichen Entscheider, die ihren Amtseid auf die Verfassung leisten. Diese Notwendigkeit den Verfassungsrang der Tiere mit einzubeziehen, habe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Töten männlicher Eintagsküken vom 13.06.2019 gezeigt. Das hätte die Senatorin umso mehr verpflichten müssen. Wer einen Verfassungseid auf das Grundgesetz leistet, muss die amtlichen Anforderungen zu Art. 20a GG untersuchen und ihnen gerecht werden.

Was kann die Tierschutz- und Tierrechtsbewegung tun, damit diese wichtige Klage nicht zurückgenommen wird?
Es gibt Hoffnung, dass das höchste deutsche Gericht das Verfahren weiterführt. Die Deutsche juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) hat sich kürzlich an das BVerfG gewandt und es gebeten, das Verfahren wegen des großen öffentlichen Interesses weiterzuführen. Dies wird durch ein kürzlich ergangenes Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs verstärkt, in dem dieser das Aus der tierquälerischen Vollspaltenböden beschlossen hat. Da die gesetzlichen Vorgaben sowie Bedingungen in der Schweinehaltung in den Nachbarländern vergleichbar sind, ist die Neubewertung der Haltungsbedingungen in Deutschland im Interesse der Öffentlichkeit. Die Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen werden weiterhin alles daransetzen, dass sie als Treuhänder der Tiere für sie einstehen.


Der Jurist Dr. Eisenhart von Loeper ist überzeugter Tierrechtler und Kommentator des Tierschutzgesetzes. Geboren 1941 in Potsdam, engagiert er sich seit gut 56 Jahren für die Rechte von Tieren. Dabei nutzt er alle Mittel, die unser Rechtsstaat erlaubt. Die Palette reicht vom wissenschaftlichen Gutachten bis zur Verteidigung von Tierrechtsaktivistinnen. Von 1987 bis 2006 war er Vorsitzender unseres Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. In dieser Funktion hat er an vorderster Front für die Abschaffung der Käfighaltung von Hühnern und für die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz gekämpft. Dafür wurde er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Das Interview führte Christina Ledermann


Bitte unterzeichnen Sie den Appell an das Bundesverfassungsgericht: Das Gericht soll über den Antrag entscheiden, auch wenn Berlin seinen Antrag zurücknimmt. Hier können Sie mitzeichnen: www.change.org

 


Quellen:
Gemäß § 2 des Tierschutzgesetzes muss eine Person, die ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.
Artikel 20a Grundgesetz : Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …. Diese Verfassungsänderung enthält amtlich begründet (BT-Drs. 14/8860) „dem ethischen Tierschutz wird damit Verfassungsrang verliehen“ sowie ferner: „Die Leidens- und Empfindungsfähigkeit insbesondere von höher entwickelten Tieren erfordert ein ethisches Mindestmaß für das menschliche Verhalten. Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen…“ Das zentrale Anliegen umfasst „den Schutz der Tiere vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden sowie der Zerstörung ihrer Lebensräume“
Strafrechtliches Verbot, Tieren keine Qualen zuzufügen kennt keine Ausnahme für „vernünftige Gründe“, sondern bestraft nach § 17 Nr. 2 Tierschutzgesetz, „wer einem Wirbeltier a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt“.