Allgemein Tierrechte

In Berlin droht Tierschutz-Kahlschlag

Etwa ein Jahr nachdem die schwarz-rote Koalition im Berliner Senat die Arbeit aufgenommen hat, zeichnet sich ein Tierschutz-Kahlschlag ab. Wichtige Vorhaben, die unter der rot-rot-grünen und der rot-grünen Vorgänger-Regierungen auf den Weg gebracht wurden, sollen unter Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eingestampft oder zurückgenommen werden. So hat Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) angekündigt, den Normenkontrollantrag zur Überprüfung der Schweinehaltung zurückzuziehen. Außerdem will sie die engagierte Berliner Tierschutzbeauftragte entmachten. In der SPD regt sich zwar Widerstand, doch wenn sich die Senatorin durchsetzt, droht ein Tierschutz-Kahlschlag, der Auswirkungen auf ganz Deutschland hat.

Im Jahr 2019 hatte das damals noch rot-rot-grün regierte Berlin einen vielbeachteten Normenkontrollantrag zur Schweinehaltung eingereicht. In dem Antrag ging es darum zu klären, ob die Vorgaben zur Schweinehaltung in der der sogenannten Tierschutznutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sind. Der Antrag ist aus Tierschutzsicht sehr bedeutsam, geht es doch darum, grundsätzlich zu klären, ob ein 50 kg schweres Schwein auf einem halben Quadratmeter seine arteigenen Bedürfnisse erfüllen kann oder ob es rechtlich zulässig ist, ein weibliches Zuchtschwein über einen längeren Zeitraum, bewegungsunfähig in einem Kastenstand zu fixieren. Bisher geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese Haltungsformen im Einklang mit § 2 Tierschutzgesetz stehen und damit „das Erfüllen arteigener Bedürfnisse“ ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hat bis dato nicht über den Antrag zur Schweinehaltung entschieden. Erfahrungsgemäß dauert ein solches Überprüfungsverfahren etliche Jahre.

Bundesverfassungsgericht kippte Legebatterien
Wir erinnern uns: 1990 klagte NRW gegen die Haltung von Legehennen in sogenannten Batteriekäfigen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied hierzu 1999 erfolgreich für die Hennen. Ein Huhn kann auf einer knappen DINA4 Seite als Lebensraum seine Grundbedürfnisse nicht ausleben. Die damalige Hennenhaltungsverordnung wurde für nichtig erklärt. Trotz der BVerfG-Entscheidungen stellt der Gesetzgeber noch immer nicht sicher, dass Tiere ihren artgemäßen Bedürfnissen in einem Haltungssystem erfolgreich nachgehen können. Was für Hennen gilt, gilt auch für Schweine.

Senatorin will Normenkontrollantrag zurückziehen
Doch genau dieses wichtige Grundsatzverfahren will die von der CDU berufene Senatorin Felor Badenberg jetzt vorzeitig beenden. In einer aktuellen Stunde der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses kündigte Justizsenatorin Badenberg kürzlich an, den Normenkontrollantrag gegen die Vorschriften der TierSchNutztV gegebenenfalls zurückzuziehen. Begründung: Es handele sich um ein umständliches Verfahren und die Problematik sei für Berlin nicht unmittelbar von Bedeutung.

Berlin ist riesiger Absatzmarkt für Schweinefleisch
Die Ankündigung verheißt nichts Gutes für den Tierschutz in Deutschland. Denn wenn die Senatorin eine Überprüfung offiziell ankündigt, ist davon auszugehen, dass sie bereits entschlossen ist, den Antrag zurückzunehmen. Dabei ist völlig irrelevant, ob in Berlin selbst Schweine gehalten werden. Die Hauptstadt mit ihren fast 3,8 Mio. Einwohnern ist ein riesiger Absatzmarkt für Schweinefleisch und andere tierische Produkte, die fast alle aus qualvollen industriellen Haltungssystemen kommen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der aktuell praktizierten Schweinehaltung betrifft unseren grundsätzlichen Umgang mit den Tieren und hat deswegen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Doch der CDU-Senatorin scheint nichts daran zu liegen, etwas gegen das millionenfache Tierleid zu unternehmen.

Nur noch „beratende Funktion“
Ähnlich rückschrittlich geht die Senatorin auch der Berliner Tierschutzbeauftragen vor, die seit 2020 im Amt ist. Die Vorgänger-Regierung mit ihrem grünen Senator Dirk Behrendt hatte das Amt der Tierschutzbeauftragen bewusst so angelegt, dass es fachaufsichtlich weisungsfrei ist und der oder die Beauftragte eine eigenständige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben kann. Dies soll sich jetzt ändern: Die neue Senatorin will laut Presseberichten die engagierte Tierschutzbeauftragen in die Behördenhierarchie der Justizsenatsverwaltung eingliedern und ihr eine unabhängige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit untersagen. Künftig muss Herrmann fachliche Stellungnahmen und Äußerungen gegenüber der Presse von der Staatssekretärin freigeben lassen und soll nur noch eine beratende Funktion gegenüber der Senatsverwaltung und nachgeordneten Behörden haben.

Maulkorb für die Tierschutzbeauftragte
Alles spricht derzeit dafür, dass die Senatorin der engagierten Tierärztin damit einen Maulkorb verpassen will. Denn Kathrin Hermann hat, wie von ihrem Amt gefordert, immer wieder ihre Finger in Wunden gelegt. Als die Berliner Zeitung im Jahr 2023 über Missstände bei der Genehmigung von Tierversuchen in Berlin berichtete, forderte Hermann Aufklärung. Ende 2023 kritisierte sie die Berliner Staatsanwaltschaft, nachdem diese ein Strafverfahren gegen einen Mann eingestellt hatte, der beschuldigt wurde, Tauben gequält und getötet zu haben. Auch andere Initiativen, die politisch nicht mehr gewollt sind, mussten beendet werden. So hat die Hausleitung eine lange geplante Kampagne über die Zusammenhänge von Tierhaltung, Klimaschutz und Gesundheit beendet.

Kontrollfunktion nicht mehr möglich
Die Beschneidung der Befugnisse Herrmanns sorgt innerhalb der großen Koalition für Ärger. Die SPD wirft der Senatorin „schlechten Stil“ vor. Die Landestierschutzbeauftragte solle auf Linientreue gebracht werden und sich CDU-Positionen unterordnen. Eine Tierschutzbeauftragte müsse politisch und fachlich unabhängig sein. Es müsse ihr möglich sein, ihr Kontroll- und Appellrecht unabhängig auszuüben. Dazu gehöre auch, dass sie öffentlich eine andere Meinung als die der Senatorin vertritt. Wenn sie nur noch die Senatsmeinung wiedergeben dürfe, könne sie ihre Kontrollfunktion nicht mehr erfüllen.

Fortschritte erhalten: Appelle an die Verantwortlichen
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte und andere Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen sind zutiefst besorgt, über die Entwicklungen. Sie appellieren derzeit an die Verantwortlichen, an dem wichtigen Normenkontrollantrag festzuhalten, ebenso wie das Amt der Landestierschutzbeauftragten in der ursprünglichen Form zu erhalten. Die Vorgänge in Berlin zeigen deutlich, was mit Tierschutzfortschritten passiert, wenn eine andere Regierung an die Macht kommt. Dies wirft bereits einen Schatten auf die Bundesebene. Es ist zu erwarten, dass die Regierung, die nach der nächsten Bundestagswahl 2025 auf die ungeliebte Ampel folgt, auch die Fortschritte einstampft, die unter der Ampel erreicht werden konnten. Umso wichtiger ist es, dass beispielsweise die im aktuellen Entwurf des Tierschutzgesetzes geplanten Verbesserungen noch in dieser Legislatur beschlossen und im Gesetz verankert werden. Dies würde es der nächsten Bundesregierung zumindest erschweren, die Fortschritte wieder rückgängig zu machen.