Allgemein Tierversuche

Keine Lösung: Gerichte sollen über Tierversuche in Bremen entscheiden

Die in Bremen laufenden Gerichtsverfahren zeigen das Grundproblem bei der Genehmigung von Tierversuchen. Aktuell sind die Genehmigungsbehörden darauf angewiesen, dass die Antragsteller die Notwendigkeit eines Versuchs begründen. Mit dem Ergebnis, dass fast alle Versuche genehmigt werden. Wenn eine Behörde, wie im Falle von Bremen, sich weigert, die hochbelastenden Affenversuche des Hirnforschers Kreiter weiter zu genehmigen, zieht die Uni vor Gericht. Dann wird die schwierige Entscheidung, ob ein Tierversuch genehmigt werden darf, an die Gerichte delegiert. Doch dies ist keine Lösung. Was fehlt, sind klare Kriterien, was einen Tierversuch im rechtlichen Sinne unerlässlich und damit ethisch vertretbar macht.

Der Streit um Tierversuche zwischen dem Bremer Senat und der Uni Bremen tobt seit Jahren. Dabei geht es nicht nur um  umstrittene Affenversuche, sondern auch um Ratten, Mäuse und Frösche, die für die Ausbildung von Studierenden der Biologie getötet werden. Im Fall der Hirnforschung an Affen ist der Bremer Kognitionsforscher Andreas Kreiter vor das Verwaltungsgericht Bremen gezogen, weil die Bremer Gesundheitsbehörde die hochbelastenden Hirnversuche an Affen, die Kreiter seit 27 (!) Jahren durchführt, nicht mehr weiter genehmigen will. Die Behörde begründet ihre Ablehnung unter anderem damit, dass den Affen bei Kreiters Versuchen „schwere Leiden“ zugefügt würden. Im Rahmen der Studien werden die Tiere umfangreichen Kopfoperationen unterzogen. Sie werden durstig gehalten, um sie zur Kooperation zu zwingen. Außerdem werden sie regelmäßig im sogenannten Primatenstuhl fixiert. Kreiter argumentiert, dass seine Versuche an Affen nötig sind, um beispielsweise zu erforschen, wie aus Sinnesreizen Gefühle werden.

Entscheidung obliegt der Behörde
Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Tierversuche nur dann genehmigt werden, wenn sie unerlässlich sind. Und rein rechtlich obliegt es der Behörde zu entscheiden, ob die angestrebten Erkenntnisse der Versuche das große Leid der Tiere rechtfertigen. Doch trifft das auf diese Versuche zu? Ein pathologischer Bericht belegte 2022, dass Affen, an denen am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen (MPI) Hirnversuche durchgeführt wurden, schwerstes Leid zugefügt wurde. Die Versuche waren vom Antragsteller als “allenfalls mäßig belastend“ eingestuft und von der Tübinger Behörde genehmigt worden, so wie übrigens 99 Prozent aller Tierversuche. Wenn das Gesundheitsressort feststellt, dass den Bremer Affen in den Versuchen „schwere Leiden“ zugefügt werden, liegt die Behörde damit höchstwahrscheinlich richtig. In Bremen sieht man aktuell jedoch, was passiert, wenn die Behörden ihr Recht wahrnehmen, Tierversuche abzulehnen. Die Uni zieht gegen die Ablehnung der Genehmigung vor Gericht. Bisher urteilen die Gerichte in den meisten Fällen pro Wissenschaftsfreiheit und contra Tierschutz, obwohl der Schutz der Tiere seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz steht.

Was haben 27 Jahre Hirnforschung an Affen gebracht?
Grund ist ein Systemfehler: Wie sollen fachfremde Juristen entscheiden, ob die Ergebnisse der Versuche das Leid der Tiere rechtfertigen? Anstatt Richtern die Entscheidung aufzubürden, wäre es sinnvoller, die Forscher in die Beweispflicht zu nehmen. Was, Herr Kreiter, haben 27 Jahre Hirnforschung an Affen praktisch gebracht? Haben ihre Erkenntnisse über die vielen Jahre zu wirksamen Therapien für den Menschen beigetragen? Da es sich jedoch um Grundlagenforschung handelt, sind die Ergebnisse offiziell zweckfrei und der Nutzen liegt in „möglicher, ferner Zukunft“. Oder beschränkt sich der Erfolg auf Zitationen namhafter internationaler Forscher:innen in Fachzeitschriften, die dazu beitragen, neue Fördermittel einzuwerben? Das – soviel steht fest – darf kein „vernüftiger Grund“ sein, um Tierleid zu rechtfertigen.

In der Hirnforschung neue Wege gehen
Tatsache ist, dass der Hirnforschung heute viele moderne und tierfreie bildgebende Verfahren zur Verfügung stehen. Diese ermöglichen verschiedene Hirnregionen direkt am Menschen zu untersuchen, z. B. per Computertomografie (CT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Auch gibt es Ansätze mit Computermodellen, wie das „Human Brain Project“. Deren Ergebnisse sollen Neurowissenschaftlern Untersuchungen an einem „virtuellen menschlichen Gehirn“ auf Superrechnern ermöglichen. Da stellt sich tatsächlich die Frage, warum Kreiter noch immer an Affen forscht, obwohl die Technik so viele Möglichkeiten bietet. Rechtfertigen die Erkenntnisse der von ihm durchgeführten Grundlagenforschung die leidvollen Versuche? Dass Kreiter sich nur mit Tierversuchen auskennt, darf kein Grund dafür sein, den Tieren weiter großes Leid anzutun.

Tiertötung rechtswidrig, wenn Lernziel tierleidfrei erreichbar
Ähnlich sieht es bei der Frage aus, ob die Tötung von Tieren für die Ausbildung angehender Biolog:innen gerechtfertigt ist. Auch hier gilt: Wenn das Lernziel tierleidfrei erreicht werden kann, ist es rechtswidrig, Tiere wegen des bloßen Lernzwecks zu töten. Aus Tierschutzsicht hat Bremen mit der Novelle des Hochschulgesetzes 2023 Meilenstein gesetzt: In Studium und Lehre dürfen lebende oder eigens hierfür getötete Tiere nur noch eingesetzt werden, wenn gleichwertige tierfreie Lehrmethoden nachweislich nicht zur Verfügung stehen. Eine Tierschutz-Kommission an den Hochschulen soll darüber entscheiden, ob der Einsatz von Tieren angemessen ist. Gegen diese Regelung hat die Uni Bremen Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Dabei ignoriert die Institution, dass das Bremer Hochschulgesetz nur das umsetzt, was seit Jahren im Tierschutzgesetz steht: Tierversuche sind ultima Ratio und nur erlaubt, wenn es keine andere Methode gibt. Doch es gibt durchaus Alternativen.

Biologiestudium ohne Tiertötung möglich
Der SATIS-Hochschul-Wegweiser für ein Studium ohne Tiereinsatz belegte im Herbst 2023, dass viele Hochschulen in Deutschland die klassischen Pflichtkurse im Biologie-Studium tierleidfrei durchführen. Immer mehr Universitäten nutzen alternative Lehrmethoden wie Videos, Modelle, Simulationsprogramme und -geräte, Selbstversuche, Dauerpräparate und Spendertiere, die natürlich verstorben sind oder aus medizinischen Gründen eingeschläfert wurden. Warum soll es in Bremen nicht möglich sein, ein Biologiestudium ohne das Töten von Tieren abzuschließen, wenn es in Mainz, Freiburg und Flensburg doch möglich ist? Hinzu kommt, dass die Studierenden, die später tatsächlich Tierversuche durchführen, sowieso zusätzliche spezielle Kurse zum Umgang mit sogenannten Versuchstieren belegen müssen. Warum also sollten Studierende, die später beispielsweise mit Pflanzen oder Pilzen arbeiten, im Studium Tiere sezieren?

Mehrheit will Paradigmenwechsel
Ob in der Grundlagenforschung oder in der Lehre: Die Problematik liegt nicht unbedingt darin, dass keine tierfreien Verfahren existieren. Das Problem ist vielmehr, dass viele Dozent:innen und Forscher:innen am Tierversuch festhalten wollen. Dabei zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Deutschen einen Paradigmenwechsel weg vom Tierversuch hin zu tierfreien Verfahren wünscht. Auch die Industrie hat ein Interesse am Ausstieg, denn tierfreie Verfahren sind oft verlässlicher, reproduzierbar – und weitaus günstiger als Tierversuche.

Nötig: Neutrale Kommissionen und festgelegte Kriterien
Doch wie kann dies erreicht werden? Es ist richtig, die Hürden für die Genehmigung von Tierversuchen sehr hoch anzusetzen. Die Beweispflicht für die Notwendigkeit eines Tierversuchs muss beim Forscher liegen. Entscheiden sollte eine fachkompetente und neutrale Kommission nach festgelegten Kriterien. Nötig sind zudem konkrete Kriterien zur Bewertung der Tierversuchsanträge, ein KI-unterstütztes Aufsuchen bereits existierender tierfreier Methoden und die rückblickende Beurteilung aller durchgeführten Tierversuche hinsichtlich ihrer Aussagekraft. Anders als im aktuell praktizierten Genehmigungsverfahren muss die Behörde einen Tierversuch ablehnen können, ohne befürchten zu müssen, vor ein Gericht gezerrt zu werden. Gleichzeitig muss die Politik den Paradigmenwechsel hin zu zukunftsfähigen tierfreien Verfahren endlich konsequent fördern. Ein Anfang wäre es, die im Koalitionsvertrag angekündigte Reduktionsstrategie für Tierversuche endlich umzusetzen.

Foto: Soko Tierschutz e.V.