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Ampel-Halbzeitbilanz: Keine Wende für die Tiere

Die Tierschutzbilanz nach zwei Jahren Ampel ist – trotz vollmundiger Ankündigungen und großer Erwartungen – überschaubar und bisher ohne nennenswerte Effekte für die leidenden Tiere. Noch ist Zeit, doch dafür müssen sich die Ampelparteien zusammenraufen und die Reformen gemeinsam und entschieden angehen. Alle Ressorts sind gefordert, sich zu bewegen und zum Gelingen beizutragen, ganz besonders die FDP. Denn diese blockiert derzeit das wichtigste Reformvorhaben, die Novelle des Tierschutzgesetzes.

Am 13. Dezember 2023 hat die Bundesregierung den 14. Tierschutzbericht veröffentlicht. Darin spricht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von Meilensteinen für den Tierschutz. Doch dies sieht der Bundesverband Menschen für Tierrechte anders. Die selbsternannte Fortschrittskoalition für eine zukunftsfähige Landwirtschaft hat in zwei Jahren Amtszeit zwar diverse neue Gesetze angeschoben, doch diese haben bisher keine nennenswerten Effekte für die leidenden Tiere. Bei vielen Reformvorhaben wie die Novelle des Tierschutzgesetzes, die Verordnungen für Puten und Rinder beim Brandschutz in Tierhaltunganlagen geht nichts voran. Auch das im Tierschutzbericht von Özdemir gelobte Haltungskennzeichen sieht Menschen für Tierrechte als nicht zielführend an, denn die Mitte Juni 2023 verabschiedete Haltungskennzeichnung wird nicht die gewünschte Lenkungswirkung hin zu einer besseren Tierhaltung bringen. Zum einen wertet sie schlechte Tierhaltung auf und erzeugt bei Verbraucher:innen den Eindruck, dass das Tier artgerecht gehalten wurde. Zum anderen umfasst die Kennzeichnung nicht die Bedingungen bei Aufzucht, Transport und Schlachtung und gilt bisher nur für eine Tierart.

Privilegierung mit Achillesferse
Beispiel Baurecht: Die Ampel ist zwar auch die Privilegierung des sogenannten Tierwohls im Baurecht angegangen, die eine bessere Tierhaltung fördern und bevorzugen werden soll, doch auch diese könnte nach hinten losgehen. Das Problem: Die Privilegierung basiert auf den Haltungsformen des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes. Dies kann dazu führen, dass durch die dort definierten unzureichenden Standards auch tierschutzwidrige Haltungsformen gefördert werden.

Bundestierschutzbeauftragte: Möglichkeiten beschränkt
Beispiel Bundestierschutzbeauftragte: Am 12. Juni 2023 trat die erste Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung offiziell ihr Amt an. Die Tierärztin Ariane Kari war bisher stellvertretende Landestierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg und soll politisch und fachlich unabhängig arbeiten. Der Bundesverband begrüßte die Einsetzung als wichtiges Signal und bot Kari seine Fachexpertise und Unterstützung an. Was sie in den verbleibenden zwei Jahren Regierungszeit für die Tiere ausrichten kann, bleibt jedoch abzuwarten. Ihre Möglichkeiten beschränken sich hauptsächlich auf Stellungnahmen, Beratung der Bundesregierung und Öffentlichkeitsarbeit.

Wo bleibt das neue Tierschutzgesetz?
Auf die wichtigste tierschutzpolitische Maßnahme warten Tier- und Umweltschutzverbände seit Monaten: die Überarbeitung des Tierschutzgesetzes. Diese Novelle ist dringend nötig, denn das bislang geltende Gesetz ordnet den Schutz der Tiere noch immer wirtschaftlichen Interessen unter. Schlupflöcher und Gesetzeslücken ermöglichen Tierquälereien, die mit dem Staatsziel Tierschutz nicht vereinbar sind. Seit Mai 2023 befindet sich der Gesetzentwurf in der Ressortabstimmung. Bislang sind nur Referentenentwürfe durchgesickert, die zwar gute Ansätze hatten, jedoch noch keine ausreichenden Änderungen vorsahen (Stand Anfang November). Wenn es der jetzigen Bundesregierung gelingt, bis 2025 deutliche Verbesserungen in dem Gesetz festzuschreiben, wäre ein höheres Tierschutzniveau auch für die folgenden Regierungen gesetzt.

Tierschutzrecht erweitern
Was müsste im Tierschutzgesetz geändert werden? Urteile zeigen: Tierquälerei, besonders solche im großen Stil, wird in Deutschland noch immer nicht adäquat bestraft. Damit Verstöße endlich effektiv verfolgt und hart bestraft werden, pocht der Bundesverband unter anderem darauf, dass die Ampel ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag wahrmacht und Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überführt. Damit Kontrollen und Strafverfolgung von Tierschutzvergehen funktionieren, müssen zudem Behörden und Gerichte gestärkt werden.

Tiertransporte und Qualzuchten verbieten
Wichtig ist außerdem, die leidvollen Tiertransporte in Drittstaaten im Gesetz zu verbieten sowie die Zucht und Haltung von Qualzuchten von Haus- und sogenannten Nutztieren. Außerdem müssen Ausnahmen für Amputationen, wie das Kupieren von Schwänzen, Schnäbeln und das Enthornen bei Kälbern untersagt werden, ebenso wie die tierquälerische Anbindehaltung von Rindern. Weitere Forderungen sind die Einführung von aussagekräftigen Tierschutzindikatoren, das lange diskutierte Wildtierverbot im Zirkus und eine Positivliste für den Handel und die Haltung von Heimtieren sowie deren Kennzeichnung und Registrierung.

Tierversuche: Reduktionsstrategie soll kommen
Eine positive Entwicklung war die Ankündigung der Berichterstatterin für Tierschutz Dr. Zoe Mayer (Grüne) Anfang Oktober zu der im Koalitionsvertrag angekündigten Reduktionsstrategie für Tierversuche. Sie teilte mit, dass im Haushalt 2024 eine Million Euro für eine Reduktionsstrategie bereitgestellt seien. Für die nachfolgenden Haushalte sei eine weitere Million vorgemerkt. Ziel der Strategie soll vor allem die Etablierung praxisreifer tierversuchsfreier Verfahren sein. Der Bundesverband, der seit zwei Jahren auf die Umsetzung dieses Versprechens aus dem Koalitionsvertrag drängt und zwei Maßnahmenpläne dafür vorgelegt hat, war erleichtert, dass die Strategie endlich kommen soll. Sie ist zentral, um die anhaltend hohe Zahl der in Versuchen eingesetzten Tiere endlich systematisch zu verringern.

Maßnahmen effektiv ausgestalten
Nun kommt es darauf an, dass die Reduktionsstrategie schnell erarbeitet und umgesetzt wird. Es muss verhindert werden, dass sie nur eine Feigenblattfunktion hat. Die angekündigte Finanzierung ist zwar kritikwürdig, denn zwei Millionen sind bei weitem zu wenig. Da zum jetzigen Zeitpunkt Kritik kontraproduktiv ist, begrüßte der Bundesverband die Ankündigung und bot seine Fachexpertise bei der Ausgestaltung der Reduktionsstrategie an. Er steht dazu in Kontakt mit den Fachpolitiker:innen und mit anderen Organisationen und wird sich dafür einsetzen, dass die Strategie in der verbleibenden Amtszeit so effektiv wie möglich ausgestaltet wird.

Schwierige Bedingungen
Grundsätzlich muss man der Ampel zugestehen: Sie arbeitet in Zeiten multipler Krisen unter äußerst schwierigen Bedingungen. Hinzu kommt der Reformstau nach 16 Jahren CDU-geführtem Landwirtschaftsministerium. Die Reformvorhaben von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) werden – wie aktuell die Novelle des Tierschutzgesetzes – zudem innerhalb der Koalition von der FDP verzögert oder sogar blockiert. Auch bei der aktuellen Sitzverteilung im Bundesrat hat es Özdemir schwer, seine Gesetze durchzubringen. Die SPD hält sich bei diesen Auseinandersetzungen auffällig im Hintergrund.

Umbau der Tierhaltung wird blockiert
Ein gutes Beispiel für die Blockadehaltung ist die noch immer ungeklärte Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte schon im Mai eine sogenannte Tierwohlabgabe auf alle tierischen Produkte vorgeschlagen. Die FDP verweigerte diese, obwohl sowohl das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, auch Borchert-Kommission genannt, als auch ein juristisches Gutachten eine verpflichtende Tierwohlabgabe empfohlen hatten. Da die Ampel bisher kein tragfähiges Finanzierungskonzept für den Umbau der Tierhaltung vorgelegt hat, gab die Borchert-Kommission Ende August ihre Auflösung bekannt. Ähnlich war der Ablauf bei dem Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel zu senken. SPD und Grüne hatten Ende August nochmals einen Vorstoß für eine Steuersenkung gewagt – vergeblich. Eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel war mit der FDP nicht zu machen.

Forderungen hoch ansetzen
Dennoch ist es unverständlich, warum Özdemir nicht ambitioniertere Gesetzentwürfe einbringt. Wer viel erreichen will, muss seine Forderungen hoch ansetzen. Als Mitte Juni nach Bekanntwerden des ersten Entwurfes des Tierschutzgesetzes der Bauernverband gegen eine fortschrittliche Ergänzung unter Paragraf 1 mobil machte, ruderte Özdemir auffallend schnell zurück. Dabei hätte der Zusatz, wonach ein wirtschaftliches Interesse keinen vernünftigen Grund für eine Beeinträchtigung von Leben und Wohlbefinden eines Tieres darstellen dürfe, eine überfällige Verbesserung bedeutet. Dieser Vorgang ist sinnbildlich für das grundsätzliche Problem: Der Tierschutz wird – Staatsziel hin oder her – wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Dabei sollte das Tierschutzgesetz genau deswegen reformiert werden, eben um das Staatsziel Tierschutz zu stärken.

Die Zeit drängt
Die Tierschutzbilanz nach zwei Jahren Ampelregierung ist – trotz vollmundiger Ankündigungen und großer Erwartungen – überschaubar und bisher ohne nennenswerte Effekte für die leidenden Tiere. Noch ist Zeit, doch dafür müssen sich die Ampelparteien zusammenraufen und die Reformen gemeinsam und entschieden angehen. Alle Ressorts sind gefordert, sich zu bewegen und zum Gelingen beizutragen. Die Ende Oktober veröffentlichten Ergebnisse des Eurobarometers zeigen deutlich, dass die Deutschen mehr Tierschutz wollen. Gerade jetzt, wo die Tierschutzgesetzgebung auf EU-Ebene stockt, sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und ein vorbildliches Tierschutzgesetz verabschieden. Dafür wird sich der Bundesverband im Verbund mit anderen Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen einsetzen. Die Zeit drängt.