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01. August 2023: Neue Studie zeigt: Weit mehr Tierversuche für Chemikalien-Tests als geplant

Menschen für Tierrechte fordert EU auf, schnellstmöglich den angekündigten Strategieplan für eine tierfreie Sicherheitsbewertung vorzulegen

Entwürfe zur Aktualisierung der EU-Chemikalienverordnung weisen darauf hin, dass die Zahl der Tierversuche für die Sicherheitsbewertung in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Eine neue Studie bestätigt dies und zeigt, dass die ursprünglich erwartete Zahl von vier Millionen Tieren bereits jetzt überschritten ist. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte kritisiert die hohe Zahl der aktuell und zukünftig eingesetzten Tiere. Um sie zu reduzieren und um mehr Sicherheit für die Verbraucher:innen zu gewährleisten, dringt der Verband darauf, dass die EU bei der Überarbeitung der Verordnung alle Möglichkeiten nutzt, um Tierversuche zu vermeiden. Außerdem muss sie schnellstmöglich den angekündigten Strategieplan für eine tierfreie Sicherheitsbewertung vorlegen.

Mit der Chemikalienverordnung REACH [1] will die EU Chemikalien sicherer machen, indem sie die weltweit 350.000 offiziell registrierten Substanzen nachträglich auf ihre potenzielle Gesundheitsgefährdung hin testen lässt. In den meisten Fällen werden die Chemikalien an Tieren getestet. Zu Beginn ging die EU-Kommission davon aus, dass dies etwa vier Millionen Tiere das Leben kosten würde. Eine aktuell veröffentlichte Studie von Prof. Thomas Hartung und Kollegen [2] belegt jedoch, dass diese Zahl weit höher liegt – und dass sie steigen wird. Die Studienautor:innen stellen fest, dass allein 4,2 Millionen Tiere für Tests sterben, um die REACH-Anforderung für die drei systemischen Endpunkte Toxizität bei wiederholter Gabe, Reproduktionstoxizität und Entwicklungstoxizität zu erfüllen. Davon wurden bis Dezember 2022 etwa 2,9 Millionen Tiere verwendet. Zusätzliche Tests mit mindestens 1,3 Millionen weiteren Tieren sind geplant.

REACH-Novelle führt zu mehr Tierversuchen
Und es kann noch schlimmer kommen, denn durch die Überarbeitung des Anhangs der REACH-Verordnung werden schätzungsweise weitere 3,6 bis 7 Millionen Tiere hinzukommen. Es sollen zwar einige Testrichtlinien gestrichen werden, wie die auf Haut-, Augenreizung oder Hautsensibilisierung, doch es kommen gleichzeitig zusätzliche Tests hinzu, etwa zur Identifizierung hormonwirksamer, immunbeeinflussender und die Entwicklung schädigender Stoffe. Außerdem sollen zusätzlich Substanzen getestet werden, die in geringeren Mengen in Verkehr gebracht werden.

Bleibt unberücksichtigt: tierversuchsfreie Teststrategie
Erschwerend kommt hinzu, dass die Chemikalienbehörde neue tierleidfreie Methoden nur in ihr Programm integrieren will, „wenn es einen eindeutigen Mehrwert für ihre Gesamtbewertung bietet“. Davon betroffen ist eine mit der europäischen Lebensmittelbehörde ausgearbeitete tierversuchsfreie Teststrategie. Sie wurde in der REACH-Novelle bisher nicht berücksichtigt. Die Konsequenz: Jetzt sind Tests an Tieren zur Beurteilung der Entwicklung des Nervensystems vorgesehen, obwohl dies auch ohne Tierversuche möglich wäre.

EU kündigt Strategieplan an
In ihrer offiziellen Antwort auf die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save Cruelty Free Cosmetics – Für ein Europa ohne Tierversuche“ [3], die über 1,2 Millionen EU-Bürger:innen unterzeichnet hatten, betonte die EU-Kommission letzte Woche ihre wichtige Rolle bei der schrittweisen Abschaffung von Tierversuchen. Sie kündigte an, einen Strategieplan für eine tierversuchsfreie Sicherheitsbewertung von Chemikalien zu erarbeiten. Kein Entgegenkommen signalisierte die Kommission jedoch bezüglich der Forderung nach einer konsequenten Durchsetzung des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika. Dabei fordert nicht nur die Mehrheit der EU-Bürger:innen den Ausstieg [4], auch in der Pharmaindustrie mehren sich die Stimmen für einen „Phase out“. Merck und Roche wollen die Zahl der Tierversuche zur Entwicklung und Produktsicherung von Arzneien und Chemikalien in den kommenden Jahren deutlich senken und mehr tierfreie Verfahren einsetzen. Bayer und P&G veröffentlichten kürzlich eigene Maßnahmenpläne zum Ausstieg aus dem Tierversuch.

Tierversuche ohne belegte Notwendigkeit
„Laut EU-Tierversuchsrichtlinie [5] sollen Tierversuche nur dann durchgeführt werden, wenn sie absolut notwendig sind. Doch die EU verstößt aktuell gegen ihre eigenen Regeln. Sie ignoriert das Verbot von Tierversuchen für Kosmetik und pusht die Zahl der Tierversuche für REACH ohne Not nach oben. In dem Artikel zur Studie von Prof. Hartung wird zu Recht die Frage gestellt, welche Institution sicherstellt, ob der Tierversuch in dem jeweiligen Fall die beste Option ist. Doch wird diese Frage von Autoritäten konsequent gestellt? In Anbetracht der erdrückend hohen Zahl von Tieren, sollten alle Tests ausgesetzt werden, bis diese wichtige Frage geklärt ist“, kritisiert Carolin Spicher, Biologin und Fachreferentin beim Bundesverband Menschen für Tierrechte e.V. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte fordert die EU-Kommission auf, ihre eigenen Ziele und Gesetze ernst zu nehmen. Sie müsse bei der Überarbeitung der REACH-Verordnung alle Möglichkeiten nutzen, um Tierversuche zu vermeiden. Außerdem müsse die Kommission schnellstmöglich den angekündigten Strategieplan für eine tierfreie Sicherheitsbewertung vorlegen und das Verbot von Tierversuchen für Kosmetik endlich konsequent umsetzen.

[1] EU-Chemikalienverordnung REACH

[2] REACH Out-Numbered! The Future of REACH and Animal Numbers (T. Hartung, C. Rovida, F. Busquet, M. Leist); ALTEX 40 (3), 2023

[3] Pressemitteilung Bundesverband Menschen für Tierrechte vom 26. Juli 2023: Tierversuche: EU-Kommission bekennt sich zu Ausstiegsplan

[4] Nach der Umfrage von Savanta ComRes vom 31. März 2023 sprechen sich 77 Prozent der EU-Bürger:innen dafür aus, das die EU eine koordinierte Strategie für den Übergang zu wissenschaftlicher Forschung, Prüfung und Ausbildung ohne den Einsatz von Tieren entwickeln sollten (Deutschland 84 Prozent).

[5] EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU

 

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Ernährungs- und Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion. Mit dem Projekt Ausstieg aus der Tierhaltung zeigt er Landwirt:innen Alternativen auf, wie sie auch ohne sogenannte Nutztiere erfolgreich und nachhaltig wirtschaften können. Um tierversuchsfreie Methoden voranzubringen, veröffentlicht der Verband das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Außerdem unterstützt der Verband das tierschutzkonforme Stadttaubenmanagement und gibt mehrmals im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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