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16. Januar 2023: Erfolg: US-Gesetz erlaubt Arzneimittelzulassung ohne Tierversuch

Humanstudien nun auch ohne vorhergehende Tierversuche möglich

Ende Dezember 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den „FDA Modernization Act 2.0“. Danach muss die Sicherheit von Arzneimitteln nicht mehr zwangsläufig an Tieren getestet werden. Dies könnte nach mehr als 80 Jahren leidvollen Sicherheitsprüfungen an Tieren eine deutliche Reduktion von Tierversuchen einleiten. Damit beschleunigen die USA den Übergang hin zu tierversuchsfreien Verfahren. Deutschland und die EU hinken dem dynamischen Prozess in den USA hoffnungslos hinterher.

Bereits am 29. September 2022 hatte der US-Senat den „Modernization Act 2.0“ ohne Gegenstimmen verabschiedet (1), was schließlich in die Unterzeichnung des Gesetzes durch den amerikanischen Präsidenten mündete (2). Das Gesetz ermöglicht, neue Medikamente nicht mehr zwingend an Tieren zu testen, sondern sie auf Basis tierversuchsfreier Verfahren zuzulassen. Dies ist ein logischer Schritt, nachdem die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) letzten November ankündigte, einen Teil ihres Budgets für 2023 für die Entwicklung einer „umfassende Strategie“ für alternative Testmethoden (NAMs) aufzuwenden (3).

Möglich: Deutliche Reduktion von Tierversuchen
„Die Unterzeichnung des Gesetzes ist eine Anerkennung der Aussagekraft tierfreier Methoden und der jahrelangen harten Arbeit bei ihrer Entwicklung. Dies könnte nach mehr als 80 Jahren leidvollen Sicherheitsprüfungen an Tieren eine deutliche Reduktion von Tierversuchen einleiten“, sagt Dr. Christiane Hohensee, Fachreferentin für tierversuchsfreie Methoden und Leiterin des Wissenschaftsportals InVitro+Jobs. „Die Wirkung des Gesetzes darf nicht dennoch überbewertet werden, da Tierversuche nach wie vor möglich sind“, ergänzt Hohensee. Tatsächlich sagt die Novelle, dass im Abschnitt „nicht-klinische Tests“ der Begriff „Tiere“ gestrichen und durch „nicht-klinische Tests“ ersetzt wird. Diese Tests können auf tierfreien Verfahren wie zellbasierte Assays, Organchips, Computermodellierung, Bioprinting oder mikrophysiologische Systeme beruhen. Tierversuche sind jedoch weiter möglich.

EU hinkt hinterher
Europa ist hier längst nicht so weit. Das EU-Parlament hatte die EU-Kommission zwar Mitte September 2021 dazu aufgefordert, einen EU-weiten Aktionsplan für einen Ausstieg aus dem Tierversuch aufzustellen und die Kommission kündigte daraufhin an, eine Roadmap zum Ausstieg aus dem Tierversuch in der Chemikalientestung zu entwickeln. Die Europäische Medizinagentur wies jedoch in ihrem Rechenschaftsbericht für die Jahre 2022-24 darauf hin, dass tierfreie Methoden derzeit keine Priorität hätten. Die Begründung: Es fehle an finanziellen und personellen Kapazitäten (4). Eine 3R-Arbeitsgruppe soll die Beschleunigung des Übergangs zu tierversuchsfreien Verfahren weiterverfolgen (5). Dabei fordert nicht nur das EU-Parlament, sondern auch die EU-Bürger:innen einen Ausstieg aus dem Tierversuch. Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save Cruelty Free Cosmetics – Für ein Europa ohne Tierversuche“ erreichte – ebenfalls letzten September – über 1,4 Mio. Unterschriften.

Neue Verfahren entwickeln und bestehende optimieren
„Es ist beschämend, dass die EU den wichtigen Übergang hin zu tierfreien Verfahren nicht mit den nötigen Ressourcen ausstattet. Damit missachtet sie nicht nur den Willen des Parlamentes und der EU-Bürger:innen, sie riskiert auch, wissenschaftlich den Anschluss an die neuen Verfahren zu verlieren“, kritisiert Hohensee. Die Regulationsbehörden müssten stattdessen dazu beitragen, neue tierfreie Methoden zu entwickeln und bestehende zu optimieren. Sobald sich die neuen Verfahren als effektiv und zuverlässig gezeigt hätten, müssten die entsprechenden Tierversuche verboten werden.

Hintergrund zu den Entwicklungen in den USA:
Der Unterzeichnung des „FDA Modernization Act 2.0“ gingen politische Entscheidungen und wissenschaftliche Entwicklungen in den USA voraus. Die US-Umweltbehörde EPA hatte bereits 2019 in einer Richtlinie festgelegt, dass toxikologische Versuche an Säugetieren ab 2035 verboten sind (6). Ab 2025 werden die Fördergelder für Tierversuche in diesem Bereich um 30 Prozent gekürzt und ab 2035 ganz gestrichen. Im Vorfeld der Unterzeichnung des „Modernization Act 2.0“ hatte sich die FDA im April 2022 offen dafür gezeigt, die für die Zulassung nötigen Tests auf Arzneimittelsicherheit nicht mehr zwingend an Tieren zu testen. Die Behörde akzeptierte beim Antrag auf eine klinische Studie die Ergebnisse einer Effizienzstudie eines tierfreien Krankheitsmodells zur Behandlung einer seltenen Autoimmunerkrankung (7).

Auf wissenschaftlicher Seite belegten unzählige Validierungsstudien in den letzten Jahren die Wirksamkeit und bessere Eignung von tierfreien Verfahren. Im Rahmen der CiPA-Initiative wird seit einigen Jahren daran gearbeitet, tierfreie Methoden in Herzgiftigkeitsprüfungen in Form einer Teststrategie anzuerkennen (8).

US-Unternehmen setzen sich für tierfreie Verfahren ein
In einem offenen Brief hatte sich im September 2022 eine Gruppe internationaler Unternehmen, die Human-on-a-Chip-Technologien entwickeln, an Abgeordnete des US-Kongresses gewandt und diese aufgefordert, den Modernization Act als Teil eines Gesetzespakets zu unterstützen (9). Sie wiesen auf die Unzuverlässigkeit von Tierversuchsergebnissen hin, was zum Tode von Patienten und zur Rücknahme zahlreicher Arzneimittel geführt hätte. Bei 43 Medikamenten wurden schwerwiegende toxische Wirkungen trotz behördlicher Zulassung festgestellt. Nur in 19 Prozent zeigte sich ihre Giftigkeit in Tierstudien. Die Autoren plädieren stattdessen für den Einsatz von mikrophysiologischen Systemen, Organchips, Sphäroiden und Organoiden, von denen ihre Genauigkeit und bessere Vorhersage der Toxizität im Menschen bekannt sind.

Quellen:
(1) www.booker.senate.gov
(2) Meredith Wadman (2023). FDA no longer needs to require animal tests before human drug trials New law welcomed by animal welfare groups, but others say change won’t happen fast. Science 10. Januar 2023, www.science.org
(3) www.nature.com
(4) European Medicines Agency, EMA/32271/2022, Final programming Document 2022-2024. www.ema.europa.eu
(5) European Medicines Agency, Konsolidierter 3-Jahres-Arbeitsplan für den nicht klinischen Bereich, EMA/CHMP/633829/2022.
(6) www.epa.gov
(7) hesperosinc.com
(8) www.invitrojobs.com
(9) hesperosinc.com

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Ernährungs- und Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion. Mit dem Projekt Ausstieg aus der Tierhaltung zeigt er Landwirt:innen Alternativen auf, wie sie auch ohne sogenannte Nutztiere erfolgreich und nachhaltig wirtschaften können. Um tierversuchsfreie Methoden voranzubringen, veröffentlicht der Verband das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Außerdem unterstützt der Verband das tierschutzkonforme Stadttaubenmanagement und gibt mehrmals im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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