Allgemein Industrielle Tierhaltung

Tierhaltungskennzeichen für Schweinefleisch – kein Fortschritt für die Tiere

Das geplante Tierhaltungskennzeichen steht in der Kritik. Ein Label, das alleine die unterschiedlichen Haltungsformen kennzeichnet, kann keine Lösung für die massiven Tierschutzprobleme in allen Haltungssystemen sein. Wenn die Bundesregierung die Tierhaltung tatsächlich verbessern will, muss sie die Mindeststandards entschieden verschärfen und ein tragfähiges Finanzierungskonzept für den Umbau der Tierhaltung vorlegen. Vor dem Hintergrund der multiplen Krisen drängt der Bundesverband Menschen für Tierrechte jedoch auf einen grundsätzlichen Systemwechsel.

Am 12. Oktober 2022 wurde trotz Kritik das Gesetz zur sogenannten Tierhaltungskennzeichnung im Bundeskabinett beschlossen. Die Kennzeichnung soll ab Sommer 2023 verpflichtend werden. Tierschutzverbände sehen das Gesetz kritisch. Besonders starker Gegenwind kommt von der sogenannten Initiative Tierwohl (ITW), in der sich Handel, Gastronomie und Fleischwirtschaft zusammengeschlossen haben. Sie hatte 2019 ein vierstufiges System der Haltungskennzeichnung eingeführt. Da das Gesetz zur Einführung einer verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung (TierhaltKennzG) ein Einspruchsgesetz ist, bedarf es keiner direkten Zustimmung der Länder. Es ist also höchst wahrscheinlich, dass die Kennzeichnung ab nächstes Jahr kommt.
Doch warum steht die geplante Kennzeichnung so in der Kritik?

Was wird gekennzeichnet?
Die staatliche Kennzeichnung umfasst 5 Haltungsformen:
1) Stall: die Haltung während der Mast erfolgt entsprechend den gesetzlichen Mindestanforderungen
2) Stall plus Platz: den Schweinen steht mindestens 20 Prozent mehr Platz im Vergleich zu Stufe 1 zur Verfügung; die Buchten sind strukturiert in Ruhe- und Kotplätze.
3) Frischluft: Den Schweinen wird im Stall ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht, so dass die Tiere Umwelteindrücke wie Sonne, Wind und Regen wahrnehmen können. Zudem steht ihnen mindestens 46% mehr Platz als in Stufe 1 zur Verfügung.
4) Auslauf/Freiland: Den Schweinen steht mindestens 8 Stunden pro Tag ein Auslauf zur Verfügung beziehungsweise sie werden in diesem Zeitraum im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten. Zudem steht ihnen mindestens 86 Prozent mehr Platz im Vergleich zu Stufe 1 zur Verfügung.
5) Biostandard: die Lebensmittel werden nach den Anforderungen der EU-Ökoverordnung 2018/848 erzeugt

Hauptkritikpunkte
Diese Stufen erwecken den Eindruck einer umfassenden Kennzeichnung. Doch weit gefehlt. Gekennzeichnet wird zunächst nur frisches Schweinefleisch, und auch nur das inländischer Erzeuger. Ausländische Erzeuger können sich auf freiwilliger Basis beteiligen, können aber nicht verpflichtet werden (Diskriminierungstatbestand). Die Gastronomie soll erst im zweiten Schritt einbezogen werden. Das heißt konkret: Das Kennzeichen bezieht sich nur auf etwa 20 Prozent des Schweinefleisches. Verarbeitete Produkte wie Wurst und Schinken, die mehr als zwei Drittel der Schweinefleischprodukte ausmachen, fallen unter den Tisch. Anders als im Koalitionsvertrag angekündigt, umfasst die Kennzeichnung zudem nicht alle Aspekte der Tierhaltung: Außer bei Stufe 5 werden nur die Haltungsstandards in der Mast erfasst, die Bedingungen bei Aufzucht, Transport und Schlachtung werden nicht berücksichtigt. Dabei kommt es gerade hier oft zu massiven Tierschutzverstößen. Bespiel Schlachtung: 90 Prozent der Schweine in Deutschland werden noch immer mit CO2 betäubt, obwohl die Tiere dabei nachweislich unter Erstickungsängsten leiden. Und was ist mit all den anderen Tierarten, wie Hühner, Puten und Rinder, die tagtäglich für einen fragwürdigen Gaumenschmaus sterben?

Untere Stufen suggerieren tierfreundliches Produkt
Die neue Kennzeichnung wird zudem kritisiert, weil befürchtet wird, dass sie die Verbraucher:innen eher verunsichert als informiert. Seitens des Handels gibt es bereits ein Label, das sogenannte Tierwohl-Siegel der Initiative Tierwohl (ITW). Hinzukommt, dass schon die unteren Stufen Konsument:innen suggerieren, ein tierfreundliches Produkt zu kaufen, dabei ist Stufe „Stall“ nichts anderes als tierquälerische Massentierhaltung. Und auch die Biohaltung in der höchsten Stufe kann mit Tierleid verbunden sein. In Zeiten hoher Lebensmittelpreise ist zu befürchten, dass Verbraucher:innen auf günstige tierische Produkte zurückgreifen, die mit noch mehr Tierleid erzeugt werden.

Zu wenig: 1 Milliarde für den Umbau der Tierhaltung
Eines der größten Probleme liegt in der Finanzierung: Die zugesagte 1 Milliarde Euro Anschubfinanzierung wird nicht einmal für den Umbau der Schweinehaltung ausreichen und schon gar nicht für die Ausweitung auf andere Tierarten. Die Ampelkoalition konnte sich bisher nicht auf einen langfristigen Finanzierungsvorschlag einigen, was merkwürdig anmutet, da die sogenannte Borchert-Kommission längst ein solides und machbares Konzept vorgelegt hatte. Am 8. September 2022 kam es zu einem Paukenschlag in Berlin, als die Borchert-Kommission ihre Arbeit niederlegte mit der Forderung, die Arbeit erst fortzusetzen, wenn die FDP und mit ihr das FDP-geführte Finanzministerium ihre Blockadehaltung bezüglich der vorgeschlagenen Finanzierungsoptionen aufgibt.

Tierschutzprobleme sind in allen Haltungsverfahren die Regel
Die neue Tierhaltungskennzeichnung ist ein weiterer Versuch, innerhalb des bestehenden Systems der industrialisierten Tierhaltung an einem Schräubchen zu drehen, ohne etwas grundlegend zu verändern. Doch Tierschutzprobleme sind in allen Haltungsverfahren die Regel. Die meisten sogenannten Nutztiere leiden unter vermeidbaren Krankheiten und Schmerzen, und zwar sowohl in konventionellen als auch in Biobetrieben, in kleinen Höfen ebenso wie in Tierfabriken. Schon die krankmachende Hochleistungszucht verursacht in allen Haltungsformen Schmerzen und Leiden.

Kennzeichnung löst keine Tierschutzprobleme
Eine Kennzeichnung, die alleine die unterschiedlichen Haltungsformen kennzeichnet, kann keine Lösung für die massiven Tierschutzprobleme sein. Der Kennzeichnungswahnsinn ist Ausdruck eines dauerhaften politischen Unvermögens, den Tieren endlich einen eigenen Wert zuzugestehen und danach zu handeln. Verbesserungen dürften nicht auf die Verbraucher:innen abgewälzt werden. All dies wäre nicht nötig, wenn Tierschutzgesetz §2 und Grundgesetz Artikel 20a endlich um- und durchgesetzt würden.

Fehlt: Finanzierungskonzept für den Umbau
Wenn die Bundesregierung die Tierhaltung tatsächlich verbessern will, muss sie endlich die unzureichenden gesetzlichen Mindeststandards verschärfen und ein tragfähiges Finanzierungskonzept für den Umbau der Tierhaltung sowie einen Zeitkorridor für den verpflichtenden Umbau der Tierhaltung vorlegen. Doch wenn es jetzt bereits Differenzen innerhalb der Koalition bezüglich der Finanzierung für ein derart eingeschränktes Kennzeichen gibt, wo soll dann das Geld für den grundsätzlichen Umbau der Tierhaltung für alle betroffene Tiere („Mast“hühner, „Lege“hennen, Puten, Enten, Gänse, Wachteln, Kaninchen, „Mast“rinder, „Milch“kühe, Ferkel) herkommen? Zudem müsste die Kennzeichnung ausgeweitet werden auf Transport und Schlachtung. Nur so erhalten Verbraucher:innen wirklich einen Eindruck, welches Produkt sie da gerade in ihren Einkaufswagen gelegt haben.

Systemwechsel weg von der Tierhaltung
Der Bundesverband ist der Überzeugung, dass wir vor dem Hintergrund der multiplen Krisen viel mehr brauchen. Weitere kosmetische Eingriffe werden keine grundlegenden Verbesserungen bringen. Insofern sieht er auch die Kennzeichnung (aber auch die des ITW) kritisch. Stattdessen brauchen wir eine konsequente Agrar- und Ernährungswende hin zu pflanzlichen Eiweißträgern. Dies fordern auch Wissenschaftler:innen und der Weltklimarat.

Maßnahmen für eine Agrar- und Ernährungswende
Um der Politik konkrete Maßnahmen an die Hand zu geben, hat Menschen für Tierrechte zehn Forderungen für eine Agrar- und Ernährungswende zusammengestellt. Nötig ist unter anderem eine Strategie für tier- und klimafreundliche Ernährungsformen sowie mehr Forschungsförderung für pflanzliche Alternativen. Weitere Maßnahmen sind radikale Steuerermäßigungen für klimafreundliche und die gleichzeitige Verteuerung von tierischen Lebensmitteln. Die Einnahmen sollten in Umstiegsförderungen für Landwirt:innen fließen, die aus der Tierhaltung aussteigen. Weitere Maßnahmen sind eine Ökologisierung der Agrarsubventionen, eine drastische Reduzierung der Tierbestände, Forschungsförderung für tierlose Anbausysteme und die Stärkung von Tierschutzrecht, Vollzug und Gerichtsbarkeit. Mit dem neuen Projekt „Ausstieg aus der Tierhaltung“ stellt der Tierrechtsverband zudem zukunftsfähige und wirtschaftliche Einkommensquellen für Landwirt:innen jenseits der Tierhaltung vor.