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30. Juli 2022: 20 Jahre Staatsziel Tierschutz: „Der Rechtsstaat lässt die Tiere im Stich!“

Am 1. August ist der Tierschutz seit zwanzig Jahren als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Doch aktuelle Dokumentationen aus Deutschlands größter Kaninchenzucht oder aus einem Schlachthof im schleswig-holsteinischen Flintbek zeigen, dass massive Tierschutzverstöße auch nach zwanzig Jahren Staatsziel Tierschutz noch immer die Regel sind. Eine aktuelle juristische Studie belegt zudem, dass Ermittlungsverfahren bei Tierschutzverstößen regelmäßig eingestellt werden. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte fordert die Bundesregierung auf, die Schwachstellen im Vollzugs- und Rechtssystem endlich zu schließen.

Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über massive Tierschutzverstöße in einer Landschlachterei im schleswig-holsteinischen Flintbek (1). Die Aufnahmen der Soko Tierschutz zeigen den minutenlangen Todeskampf von Rindern, da weder Betäubungen noch Kehlschnitte sachgemäß durchgeführt wurden. Einzelne Tiere werden mit einem Stahlseil vom Transporter heruntergezogen, weil sie zu verletzt sind, um selbstständig laufen zu können. Nach Auswertung der Aufnahmen kommt der Spiegel zu dem Ergebnis, dass es zum Geschäftsmodell des Betriebes gehört, kranke und verletzte Tiere zu schlachten. Ähnlich grausame Aufnahmen hat das Tierschutzbüro in Deutschlands größter Kaninchenzucht gemacht (2). Doch obwohl deutlich zu sehen ist, wie Tiere auf den Boden geschlagen und getreten werden, sieht bisher weder das zuständige Veterinäramt noch das Landratsamt Grund zur Beanstandung.

Werden meist eingestellt: Ermittlungsverfahren bei Tierschutzverstößen
Eine aktuelle juristische Studie (3) belegt, dass die meisten Ermittlungsverfahren bei Tierschutzverstößen von sogenannten Nutztieren eingestellt werden. Dabei gäbe es gravierende Missstände auf allen Ebenen, bei Haltung, Transport und bei der Schlachtung. Von den 150 Fällen, deren Akten die Autorinnen für die Studien einsahen, kam es nur in elf Fällen zu Verurteilungen, davon zehn Geldstrafen. Nur in einem einzigen Fall wurde ein Tierhalter zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Funktioniert nicht: Zusammenspiel von Gesetzgebung, Vollzug und Gerichtsbarkeit
„Auch nach zwanzig Jahren Staatsziel Tierschutz lässt unser Rechtsstaat die Tiere noch immer im Stich. Skrupellose Unternehmer, die mit systematischer Tierquälerei Geschäfte machen, müssen keine Strafen fürchten, da weder Kontrolle noch Strafverfolgung funktionieren“, kritisiert Christina Ledermann, Vorsitzende des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. Strafrechtler sprächen nicht umsonst von der „faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“. Schuld ist nach Ansicht des Tierrechtsverbandes ein marodes System, bei dem das Zusammenspiel von Gesetzgebung, Vollzug und Gerichtsbarkeit bei Tierschutzvergehen nicht funktioniert.

Staatsanwaltschaften ermitteln nicht
Die juristische Studie zeigt, dass die Gründe für dieses Versagen vielschichtig sind. In vielen Fällen würden die Staatsanwaltschaften keine Ermittlungen aufnehmen. Wenn nur ein üblicher Verlust von Tieren vorläge, sähen sie keinen Handlungsbedarf. Hinzu käme die psychologische Seite. Obwohl das Gesetz zwischen „Nutztieren“ und „Haustieren“ nicht unterscheide, ginge man bei sogenannten Nutztieren davon aus, dass diese sowieso getötet würden. Da falle eine zusätzliche Tierquälerei nicht ins Gewicht. Ein weiterer Grund sei, dass es für die Staatsanwaltschaften schwierig sei im Nachhinein nachzuweisen, dass gegen Tierschutzvorschriften verstoßen wurde. Da die meisten Behörden überlastet seien, würde oft gar nicht versucht, diese schwierige Beweisführung anzutreten. Ähnlich sähe es bei den Veterinärämtern aus: Wegen des Personalmangels fänden Kontrollen von Betrieben im Schnitt nur alle 17 Jahre statt, in Bayern nur alle 48 Jahre. Hinzu kämen die engen persönlichen Verbindungen zwischen Landwirten, Amtstierärzten und Ermittlern.

Schwachstellen im Vollzugs- und Rechtssystem schließen
Zur Lösung dieser vielschichtigen Problematik, schlagen die Juristinnen vor, die neue Position des Tieranwalts zu schaffen, der in einer staatlichen Behörde angesiedelt ist. Dieser solle eigene Rechte im Strafverfahren bekommen. Zudem müsse das Strafrecht konkretisiert werden. Künftig sollte bestraft werden, wer Tieren zu wenig Platz gäbe oder wer ein Tier ohne Betäubung schlachte. Dies sieht auch der Bundesverband Menschen für Tierrechte so. Damit Tiere effektiv geschützt werden, müssten Bundes- und Landesregierungen, optimale Arbeitsvoraussetzungen für Amtstierärzte, Staatsanwälte und Richter schaffen. Außerdem fordert er die Bundesregierung auf, die lange bekannten Schwachstellen im Vollzugs- und Rechtssystem endlich zu schließen. Hierzu hat der Verband einen 4-Punkte-Plan vorgelegt (4).

Lesen Sie dazu auch das Interview mit dem Tierschutzjuristen Dr. Eisenhart von Loeper, der auch als der „geistige Vater“ des Staatsziels Tierschutz gilt: „Das Thema Tierrechte ist aufgrund der Klimakrise aktueller denn je!“

 

Weitere Informationen:

(1) Spiegel online: „Die Schlachter sind derart verroht. Es interessiert sie nicht, wie qualvoll die Tiere sterben“

(2) ZDF-WISO Facebook Watch: Kaninchen leiden für Konsum

(3) Hahn/Hoven Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft, Eine empirische Untersuchung, 2022, mehr dazu unter: www.lto.de

(4) tierrechte.de: 4 Punkte-Plan: Tierschutz wirksam durchsetzen

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Pressestelle:
Christina Ledermann
Mobil: 0179/450 46 80
E-Mail: ledermann@tierrechte.de
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Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Neue Geschäftsstelle: Severinusstr. 52, 53909 Zülpich
Tel: 02252/830 12 10, Internet: www.tierrechte.de


Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt drei- bis viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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