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Interview: „Das Thema Tierrechte ist aufgrund der Klimakrise aktueller denn je!“

20 Jahre Tierschutz im Grundgesetz

Wenn es nach den Jubiläen ginge, dann wäre 2022 das Jahr des Tierschutzes. Dieses Jahr ist es zwanzig Jahre her, dass der Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Vor fünfzig Jahren, im Juli 1972, wurde außerdem das Tierschutzgesetz eingeführt. Aus rechtlicher, politischer und gesellschaftlicher Sicht waren dies wichtige Wendepunkte. Doch wo steht der Tierschutz heute? Was wurde tatsächlich erreicht und was muss passieren? Darüber sprachen wir mit dem Tierschutzjuristen Dr. Eisenhart von Loeper, der auch als der „geistige Vater“ des Staatsziels Tierschutz gilt.

1. Lieber Eisenhart, dir ist es als ehemaliger Vorsitzender von Menschen für Tierrechte im Mai 2002 zusammen mit vielen Unterstützern gelungen, dass der Artikel 20a des Grundgesetzes um die drei Worte „und die Tiere“ ergänzt wurde. Er lautet seitdem: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …“. Welchen Unterschied machen diese drei Worte aus?

Diese drei Worte bedeuten rechtlich einen „Quantensprung“, denn bis 2002 war im Grundgesetz kein Platz für Tiere. Zwar gewährte es den staatlichen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, aber das betraf den Umweltschutz, nicht das Tier als schützenswertes Individuum. Nach der Ergänzung steht nicht mehr allein der auf sich zentrierte, meist von Egoismus geleitete Mensch im Mittelpunkt. Das Fundament des Rechts hat sich um die Tierethik erweitert. Das heißt: Wir werden unserer Menschenwürde nur gerecht, indem wir dem Tier dessen Grundbedürfnisse gewähren, ihm im Rechtsstaat den ureigenen Raum geben und so, immer neu gefordert, als Treuhänder für die Interessen der Tiere einstehen.

2. Was war deine persönliche Motivation, dich für so ein schwieriges Thema wie die Tierrechte einzusetzen?

Schon als Kind berührte mich das Erleben mit Tieren sehr. Als ich etwa 12 Jahre alt war, kümmerte ich mich um die Hühner im Garten. Doch als sie plötzlich geschlachtet wurden, schockierte mich ihre Todesangst, ihre Qual und ihr Sterben. Zunächst musste ich mich noch in meiner großen Familie deren Ernährung anpassen, aber seit 1960 lebe ich vegetarisch.
Nach meinem Jurastudium schloss ich mich der „deutschen reform-jugend“ an und verfasste dort u.a. 1966 den Beitrag „Das Recht der Tiere und das Tierschutzgesetz“.  Ein Thema, das ich mit der Zeit immer mehr vertieft und erweitert habe. Im Zentrum stand und steht dabei die Leitidee, Menschenrechte und Tierrechte als unteilbar zu verknüpfen. Als ich 1987 Vorsitzender des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte  wurde, lag mir sehr daran, das Nein zu jeglichem Tiermissbrauch mit dem Ja für das Hauptziel „Menschen für Tierrechte“ zu verbinden.

3. Was löste die letztlich erfolgreiche Initiative Tierschutz ins Grundgesetz aus?

Es gab das Jahrhundertereignis 1989. Die Mauer mitten in Deutschland fiel und die deutsche Einheit rückte dank Gorbatschow in greifbare Nähe. Deshalb musste das Grundgesetz in der Präambel neu gefasst werden. Daraufhin nutzte ich seit Mai 1990 pragmatisch mit allen möglichen Schritten und Verbündeten bis hin zu Bundespressekonferenzen die Chance, die Leitidee der „Bewahrung der Schöpfung“ und die Pflicht zum Schutz der Tiere als Mitgeschöpfe in die ohnehin änderungsbedürftige Verfassung einzubauen.

4. Erfahrungsgemäß sind Fortschritte für die Tiere nur über Jahrzehnte und gegen heftige Widerstände zu erreichen. Wie lange habt ihr für diese Grundgesetzänderung gekämpft?

Zwölf Jahre von 1990 bis 2002 waren nötig, bis das Ziel endlich erreicht war. Der erste Anlauf scheitere 1994 am Widerstand der Unionsfraktion. Die Gegner aus der Tiernutzerlobby und ihre politischen Unterstützer wehrten sich lange gegen die Aufwertung des Tierschutzes.

5. Woher nahmst du die Zuversicht, dass ihr es schaffen würdet?

„Die gute Tat trägt den Lohn in sich“ (Seneca). In freundschaftlicher Verbundenheit für das Tier kämpften wir uns zielbewusst Stück für Stück voran. Barrieren und Erschwernisse boten immer neue Herausforderungen. So galt es nach dem ersten Misslingen auf Bundesebene, den Tierschutz in den Landesverfassungen zu verankern. Das brauchte starke regionale Kräfte und einen langen Atem. Doch es gelann. Sogar konservativ regierte Bundesländer wie Baden-Württemberg, NRW und Bayern nahmen den Tierschutz in ihre Verfassungen auf.  Gleichzeitig zeigten wir das unermessliche Tierleid in der industrialisierten Tierhaltung und bei qualvollen Primatenversuchen auf. Mithilfe von Gutachten und der Normenkontrollklage 1999 gelang es sogar die Käfighaltung sogenannter Legehennen verfassungsgerichtlich zu verbieten.

6. Was gab den Ausschlag dafür, dass die Unionsfraktion der Verfassungsänderung auf Bundesebene 2002 letztlich doch zustimmte?

Entscheidend war sicher der öffentliche Druck, den eine ganze Bürgerbewegung bundesweit entfachte. Das waren stark engagierte Tier- und Umweltschutzverbände, aber auch viele Prominente wie Loriot, Senta Berger, Will Quadflieg und Richard von Weizäcker. Zu dem parlamentarischen Verfahren, bei dem ich als Gutachter im Rechtsausschuss angehört wurde, kamen hunderttausende gesammelte Unterschriften und riesige Mengen Postkarten, die die Postfächer der Abgeordneten fluteten.

7. Welche Rolle spielte damals das umstrittene Schächt-Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Die Entscheidung, einem türkischen Schlachter das Schächten, also das Schlachten ohne Betäubung zu erlauben, weil es  seine grundgesetzliche Berufs- und die Religionsfreiheit zulasse, empörte auch weite Kreise im konservativen Lager. Das gab der Aufnahme  des Tierschutzes ins Grundgesetz Rückenwind. Außerdem hatten wir mit starken Initiativen in den großen Bundesländern die Wende in den Landesverfassungen realisiert. Schließlich plädierte mit Edmund Stoiber sogar der damalige Kanzlerkandidat von CDU und CSU für eine Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz. Dies alles führte begeisternd dazu, dass die hohe Zweidrittelmehrheit von  Bundestag und Bundesrat für die Tierethik im Grundgesetz nach zwölf Jahren Einsatz erfolgreich war.

8. Welche Bilanz ziehst du nach 20 Jahren Tierschutz im Grundgesetz und 50 Jahren

Am 17.05.2002 wurde der Schutz der Tiere mit einer 2/3 Mehrheit im Grundgesetz verankert. Die damalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast fügt symbolisch die drei Worte „und die Tiere“ ein. Fotos: Marco Limberg

Tierschutzgesetz? Haben sich deine Erwartungen in den „Quantensprung“ erfüllt?

Das Verfassungsgefüge ist grundlegend erneuert, aber vor allem die Gesetzgebung hat ihren Auftrag nicht umgesetzt. Und auch in der Justiz und bei Behörden ist der durchgreifende „Ruck“ ausgeblieben. Wir brauchen mehr öffentlichen Druck, um das Recht der Tiere zu realisieren. 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht das jährliche Töten von 45 Millionen männlicher Eintagsküken aus wirtschaftlichem Kalkül für unvereinbar mit dem gesetzlichen Selbstwert des Tieres als Mitgeschöpf erklärt. Das ist ein Lichtblick mitten im Labyrinth unsäglichen massenhaften Leids der Tiere.
Viele Verfahren werden jedoch weiterhin aus Opportunitätsgründen eingestellt. Qualvolle Missstände der Tierhaltung entziehen sich behördlicher und gerichtlicher Kontrolle, so dass erst mutige Undercover-Aufnahmen Tierschutzskandale bloßlegen. Aber das ist weitaus zu wenig…

9. Ende Februar 2022 stellten führende Tierschutzjuristen, wie Dr. Jens Bülte, Dr. Barbara Felde und Dr. Christoph Maisack, den Sammelband „Reform des Tierschutzrechts“ vor. Darin machen sie konkrete Vorschläge, wie ein neues Tierschutzrecht aussehen müsste, auch um dem Staatsziel Tierschutz endlich gerecht zu werden. Hältst du die Vorschläge für zielführend und umsetzbar?

Die ausgezeichneten juristischen Vorschläge eignen sich, um die grundlegende Wende für das Wohlbefinden der Tiere einzuleiten. Das braucht juristisches Können, glaubwürdiges eindringliches Engagement, aber auch kreatives Dranbleiben in immer neuen Situationen. Die Vorschläge der DJGT zusammen mit Prof. Jens Bülte sind der richtige Weg. Die Grünen haben angekündigt, diese grundlegende Reform des Tierschutzrechts einzuleiten. Das macht Hoffnung, aber es wird viel Zeit und Mehrheiten brauchen.

10. Was bringt eine bessere Tierschutzgesetzgebung, wenn die zuständigen Behörden, wie die Veterinärämter und die Staatsanwaltschaften, nicht genügend Personal haben?

Zum einen müssten die Veterinärbehörden personell aufgestockt werden, zum anderen wäre es wichtig, Sonderdezernate für Tierschutzstraftaten bei den Staatsanwaltschaften einzuführen: Damit wären bestimmte Staatsanwälte für die Verfahren in Tierschutzsachen zuständig. Auf diesem Weg gelingt es ihnen, das nötige Fachwissen zu erlangen. Wenn für jeden neuen Tierschutzfall ein anderer Staatsanwalt zuständig ist, besteht für diesen aufgrund des sehr hohen Arbeitsaufkommens nicht die Möglichkeit, sich das nötige Fachwissen anzueignen. Gerade in kleineren Verfahren ist es üblich, dass nicht derjenige, der die Anklage geschrieben hat, tatsächlich in der Verhandlung auftritt. In Tierschutzfällen sollte der fachkundige Sonderdezernent zuständig sein.

11. Tierrechte: Die Tierschutz-Verbandsklage galt lange Zeit als das Instrument zur Umsetzung des Staatsziels Tierschutz. Mittlerweile haben acht Bundesländer ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen eingeführt. In NRW, wo der Bundesverband als klagebefugter Verband anerkannt war, wurde das Klagerecht Ende 2018 unter der gelb-schwarzen Landesregierung sogar wieder abgeschafft. Wie schätzt du die Wirkungsmacht des Verbandsklagerechtes für Tierschutzverbände aus heutiger Sicht ein?

Seit jeher sind die Buchstaben des Gesetzes nur so viel wert, wie sie gerichtlich durchsetzbar sind. Da die Tierethik seit 2002 Verfassungsrang hat, muss dies bundesweit dazu führen, die Mitwirkungs- und Klagebefugnisse anerkannter Tierschutzverbände einzuführen. Dies ist absolut unerlässlich, um die bewährte Kompetenz anerkannter Fachverbände und rechtsstaatliche Kontrollmöglichkeiten zu nutzen. Dazu brauchen wir ein bundesweites und umfassendes Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen.

12. Heute stehen wir vor einer anderen, weit dramatischeren Situation als vor 20 Jahren: Im aktuellen Bericht des Weltklimarats fordern die Autoren, alle Möglichkeiten zur Begrenzung des Temperaturanstiegs zu nutzen, unter anderem eine Reduktion des Fleischkonsums. Es geht nicht mehr hauptsächlich um ethische oder rechtliche Fragen, sondern um existenzielle. Welche weiteren Möglichkeiten siehst du vor diesem Hintergrund? Wäre beispielsweise eine Klage beim Bundesverfassungsgericht, wie die gegen das Klimaschutzgesetz, denkbar?

Das Bundesverfassungsgericht hat durch die historische Entscheidung zur Teilnichtigkeit des Klimaschutzgesetzes festgestellt, dass die Vorsorge für die Freiheit und das Leben der jüngeren Generationen höchsten Rang haben und dies heute schon den Gesetzgeber bestimmend beeinflussen muss. Die klimaschädigende Wirkung der Massentierhaltung verpflichtet den Staat in ähnlicher Weise zu radikalen Einschnitten, wie die Klimabelastung im Straßenverkehr. Und es hat sich gezeigt, dass diese menschheitlich und individuell existenzielle Frage der Gesetzgebung sogar einklagbar sein kann.

13. Vor dem Hintergrund deiner Erfahrungen, was wäre dein Auftrag an Menschen für Tierrechte?

Das Thema Tierrechte ist mehr denn je hochaktuell. Nie war die Zukunft unseres Planeten so bedroht wie heute. Nur eine radikale Umkehr hin zur Achtsamkeit für das Leben kann uns als Menschheit noch retten. Die Anerkennung und Umsetzung der Tierrechte sind ein Weg, um den Tieren als unseren Weggefährten endlich das zuzugestehen, was sie verdienen. Lasst uns dieser Gesellschaft ein Bild des Menschen vermitteln, das Humanität und Tierrechte im Sinne von Gerechtigkeit und Frieden zwischen Mensch und Mitwelt stärkt. Der Gewaltabbau insgesamt kann umso besser gelingen, je mehr wir Mitgefühl und Empathie mit Tieren praktizieren. Außerdem: Kräfte bündeln in weiten Netzwerken, fokussieren auf gemeinsame Ziele jenseits dogmatischer Scheuklappen. Wenn daraus sogar Dank, Verbundenheit und interdisziplinäres Zusammenwirken erwachsen, wird es sich für uns und für die Gesellschaft gewinnend auswirken.

14. Wenn du könntest, was würdest du unserem grünen Landwirtschaftsminister ganz oben in seine Agenda schreiben?

Wenn nicht jetzt, wann dann? Es gilt, die in den letzten Jahrzenten viel zu bruchstückhaft genutzte Chance auf eine echte Wende aufgrund der Existenzfrage des Klimaschutzes jetzt zu realisieren. Die Anerkennung der Tierrechte kann in Kombination mit dem notwendigen Umbau der Landwirtschaft gelingen. Agrar- und Umweltressort müssen mit unser aller Unterstützung auf die befreiende, flächendeckende Wende hinarbeiten.

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Der Jurist Dr. Eisenhart von Loeper ist überzeugter Tierrechtler und Kommentator des Tierschutzgesetzes. Geboren 1941 in Potsdam, engagiert er sich seit gut 56 Jahren für die Rechte von Tieren. Dabei nutzt er alle Mittel, die unser Rechtsstaat erlaubt. Die Palette reicht vom wissenschaftlichen Gutachten bis zur Verteidigung von Tierrechtsaktivistinnen. Von 1987 bis 2006 war er Vorsitzender unseres Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. In dieser Funktion hat er an vorderster Front für die Abschaffung der Käfighaltung von Hühnern und für die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz gekämpft. Dafür wurde er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Das Interview führte Christina Ledermann.