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08. Juli 2021: Das Versuchstier des Jahres ist das Kaninchen im Pyrogentest

Beim sogenannten Pyrogentest werden die Kaninchen in kleinen Kästen fixiert. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene injiziert. Foto: iStockphoto/ unoL

Tierleidfreie Verfahren können viele Kaninchen-Versuche ersetzen

In diesem Jahr hat der Bundesverband Menschen für Tierrechte das Kaninchen in der Pyrogentestung zum Versuchstier des Jahres ernannt. In der dazugehörigen 20-seitigen Broschüre werden aktuelle Versuchstierzahlen und andere Tierversuche mit Kaninchen sowie mögliche tierversuchsfreie Verfahren vorgestellt. Mit der Ernennung will der Tierrechtsverband auf das versteckte Leid der Tiere in den Laboren aufmerksam machen und am Beispiel Pyrogentest aufzeigen, dass leistungsfähige tierleidfreie Verfahren schon jetzt viele qualvolle Kaninchen-Versuche beenden könnten. Es fehlt jedoch am politischen Willen.

Jedes Jahr leiden und sterben in Deutschland noch immer knapp 6.500 Kaninchen für sogenannte Pyrogentests (1), obwohl es seit 2010 eine anerkannte tierversuchsfreie Testmethode gibt. Der tierversuchsfreie Monozyten-Aktivierungstest (MAT) (2) arbeitet mit menschlichen Blutzellen statt mit Kaninchen.

Erfolg: künftig keine Kaninchen mehr für Pyrogentests
Doch obwohl der MAT bereits vor elf Jahren in das Europäische Arzneibuch aufgenommen wurde, stieg die Zahl der Kaninchen, die EU-weit im Pyrogentest eingesetzt wurden, zwischen 2008 und 2011 um 10.000 auf 170.000 pro Jahr. Dabei ist die Gesetzeslage eindeutig: Ein Tierversuch muss unerlässlich sein. Das bedeutet, wenn eine adäquate tierfreie Ersatzmethode zur Verfügung steht, darf der Tierversuch nicht mehr durchgeführt werden. Die Europäische Pharmakopoe hat kürzlich ein Machtwort gesprochen: In den nächsten fünf Jahren sollen Pyrogentests am Kaninchen endgültig durch das validierte und etablierte tierfreie Verfahren abgelöst werden. Die Hersteller sollen den MAT möglichst schnell anwenden (3) und die überholten Tierversuche sollen aus dem europäischen Arzneibuch gestrichen werden.

Verstoß gegen Tierschutzrecht: lange Übergangzeit
„So erfreulich diese Nachricht ist, so skandalös ist es, dass es nach der Aufnahme des MAT in das Europäische Arzneibuch noch elf Jahre lang gedauert hat, bis dem Tierversuch endlich eine verbindliche Absage seitens der Kommission erteilt wurde – ein klarer Verstoß gegen nationales und internationales Tierschutzrecht. Außerdem ist eine weitere Frist von fünf Jahren viel zu lang. Um dies in Zukunft zu verhindern, muss der Tierversuch im Arzneibuch gestrichen werden, sobald ein tierfreies Verfahren existiert. In der Praxis müssen außerdem verbindliche Übergangsfristen für die Hersteller vereinbart werden“, fordert Dr. Dr. Stefanie Schindler, Tierärztin und Fachreferentin für tierversuchsfreie Methoden beim Bundesverband.

Auch Impfstoffe können kaninchenfrei produziert werden
Ein weiteres Beispiel für Tierversuche an Kaninchen ist die Routineherstellung unter anderem von Stoffen, Produkten und Organismen, für die im Jahr 2019 über 74.500 Kaninchen sterben mussten. Dazu gehört maßgeblich die Produktion von Antikörpern, beispielsweise für die Diagnostik. Um Antikörper zu produzieren, wird den Tieren ein Antigen gespritzt. Dieses ist oft häufig mit Hilfsstoffen versetzt, um eine stärkere Immunreaktion und damit auch eine stärkere Antikörperbildung auszulösen. Dies kann für die Tiere sehr schmerzhaft sein. Nach einigen Wochen werden die Kaninchen getötet, um die Antikörper aus ihrem Blut und ihrer Milz zu gewinnen.

Die versuchstierfreie Lösung: das Phagen-Display
Doch auch für die Produktion von Antikörpern existiert ein tierversuchsfreies Verfahren: das Phagen-Display. Bei diesem werden die Antikörper durch Selektion aus Antikörper-Genbibliotheken gewonnen und mithilfe von Bakterien produziert. Mit dieser Methode lassen sich große Mengen an Antikörpern in gleichbleibender Qualität produzieren.

Fataler Fehler darf sich nicht wiederholen
„Es muss unbedingt vermieden werden, dass sich beim Phagen-Display der gleiche fatale Fehler wiederholt wie beim Pyrogentest. 2018 erhielt das Phagen-Display den Nobelpreis für Chemie und die europäische Validierungsbehörde ECVAM kam zu dem Schluss, dass das tierfreie Verfahren erhebliche wissenschaftliche und wirtschaftliche Vorteile bietet. Dennoch setzen Forscher und Hersteller noch immer Kaninchen ein, weil der Tierversuch parallel weiter zugelassen ist. Dies ist ein absolutes Unding und konterkariert die Bemühungen um eine wissenschaftlich fundierte Abschaffung des Tierversuchs“, kritisiert die Tierärztin Dr. Dr. Stefanie Schindler.

Tierfreie Verfahren: schnellere und konsequentere Umsetzung nötig
Der Bundesverband fordert eine deutlich schnellere und konsequentere Umsetzung validierter und etablierter versuchstierfreier Methoden. Es ist nach Ansicht des Tierrechtsverbandes ein Skandal, dass im Falle des MAT nach offizieller behördlicher Akzeptanz elf Jahre lang kein Zwang auf die Verwender ausgeübt wurde, den Tierversuch abzuschaffen und den tierleidfreien MAT einzuführen. Hier muss der Gesetzgeber klare Strukturen schaffen. Der Tierversuch muss im Arzneibuch gestrichen werden, sobald ein tierfreies Verfahren existiert. Zudem muss es verbindliche Fristen und Sanktionsmöglichkeiten geben, falls der Tierversuch dennoch weiter durchgeführt wird.

Ausführliche Informationen zum Versuchstier des Jahres 2021 unter: www.tierrechte.de

Hier können Sie sich die eine ausführliche Broschüre zum Versuchstier des Jahres 2021 (21 Seiten) herunterladen: www.tierrechte.de

Gerne steht Ihnen unsere Fachreferentin Dr. Dr. Stefanie Schindler für Rückfragen und Interviews zur Verfügung: schindler@tierrechte.de

Der Bundesverband dankt Prof. Dr. Dr. Thomas Hartung herzlich für die Übernahme der Schirmherrschaft für dieses Projekt.

Unterzeichnen Sie auch die Online-Petition unseres Partnervereins „Ärzte gegen Tierversuche e.V.“: „6.000 Kaninchen retten – Pyrogentest stoppen!“, damit der Tierversuch umgehend verboten wird – und nicht erst 2026.

(1) Der sogenannte Pyrogentest am Kaninchen wird seit Jahrzehnten standardmäßig durchgeführt, obwohl der Test als unzuverlässig gilt. Er fällt unter den Bereich der Qualitätskontrollen, zu denen auch sogenannte Chargen-Unbedenklichkeits-Prüfungen gehören. Für den Test werden die Kaninchen in kleinen Kästen so fixiert, dass sie fast völlig bewegungsunfähig sind. Schon allein dies ist für die besonders bewegungsfreudigen Tiere eine Qual. Zudem sind Kaninchen Fluchttiere und neigen in dieser Situation zu Panikreaktionen. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene injiziert. Rektal befindet sich ein Fieberthermometer, das kontinuierlich die Temperatur der Tiere misst. So müssen die Kaninchen für mehrere Stunden ausharren. Wenn sie Fieber entwickeln gilt die Produktionseinheit als verunreinigt und darf nicht vermarktet werden.. Die Tiere werden in der Regel mehrfach eingesetzt.
(2) Entwickelt wurde der Monozyten-Aktivierungstest (MAT), auch „Konstanzer Methode“ genannt, von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Dr. Thomas Hartung, Doerenkamp-Zbinden-Professor und Prof. Dr. Albrecht Wendel an der Universität Konstanz. ER arbeitet mit menschlichem Blut und nutzt eine humane Immunreaktion. Dazu wird die Probe mit dem Blut in Kontakt gebracht und bei 37 Grad in einem Brutschrank kultiviert. Wenn die Probe mit Pyrogenen verunreinigt ist, wird eine Abwehrreaktion ausgelöst. Als Anzeiger wirkt der weiße Blutzelltyp (Monozyt). Es wird kein Fieber ausgelöst wie beim Kaninchen, sondern es bilden sich bestimmte Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) im Blut. Dieser Botenstoff kann dann mit einer Farbreaktion sichtbar gemacht. Damit ist die Verunreinigung mit den schädlichen Pyrogenen belegt.
(3) https://www.edqm.eu/en/news/european-pharmacopoeia-put-end-rabbit-pyrogen-test
(4) EURL ECVAM (2020). JRC Science for Policy report. Recommendation on Non-Animal-Derived Antibodies. https://ec.europa.eu/jrc/en/science-update/better-antibodies-without-using-animals

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Pressestelle:
Christina Ledermann
Tel.: 05840/99 99 790
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Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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