Versuchstier des Jahres

Grusswort: „An Ideen mangelt es nicht“

Der Wissenschaftler Prof. Dr. Dr. Thomas Hartung ist Schirmherr des diesjährigen Versuchstiers des Jahres. Er ist nicht nur im Jahr des Kaninchens gebohren, er erweist den Tieren mit seiner Forschung an und Entwicklung von tierfreien Methoden seit fast 30 Jahren auch einen großen Dienst.

Grußwort von Prof. Dr. Thomas Hartung:
Kaninchen – gewidmet dem Versuchstier des Jahres

Prof. Dr. Dr. Thomas Hartung. Foto: privat

Als ich gefragt wurde, ob ich als Schirmherr für das Versuchstier des Jahres – das Kaninchen – fungieren würde, habe ich nicht lange überlegt. Nicht nur dass ich im chinesischen Sternzeichen des Kaninchens geboren wurde. Vermutlich ist meine einzige Chance auf einen Platz auf Wolke 7, wenn Gott ein Kaninchen ist…

Nach der aktuellen EU-Statistik verbrauchen wir rund 350,000 Kaninchen in Europas Laboratorien pro Jahr. Es gibt ein paar Tierversuche, die wirklich viele Versuchstiere verbrauchen. Der Kaninchen-Pyrogentest gehört bzw. inzwischen darf man erfreulicherweise sagen: gehörte (zumindest in Europa) dazu. Hier habe ich mir meine Sporen für Alternativmethoden verdient. 2008 hat dieser Test allein in Europa 170,000 Kaninchen verbraucht – mehr als die gesamte Chemikalientestung oder Pestizidprüfung. 2017 waren es noch 37,000, rund 80% weniger, und die Zahlen fallen weiter, wie einzelne Mitgliedsstaaten zeigen.

Warum testen wir auf Pyrogene? Im Wesentlichen hat das mit Paul Ehrlich zu tun und seiner Erfindung von Salvarsan im Jahr 1910, dem ersten Medikament für Syphilis. Das musste gespritzt werden, da es nicht im Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. Damit kamen injizierte Medikamente (Parenteralia) insgesamt in eine breitere Anwendung. Bei solchen Injektionen beobachtete man immer wieder Fieberreaktionen, auch wenn das Material steril war. Man schrieb dies damals nicht identifizierten Pyrogenen zu („Feuer-generierend“). Kaninchen ka -men dann schnell als Stellvertreter des Menschen zum Einsatz, obwohl wir heute wissen, dass es auch einige Unterschiede in ihrer Reaktion gibt. Sie sind z. B. zehnmal weniger empfindlich als Menschen und reagieren weniger stark auf Pyrogene von Gram-positiven Bakterien.

Seit fast 30 Jahren beschäftige ich mich wissenschaftlich mit dem Thema, wie man für die Pyrogentestung stattdessen die menschliche Fieberreaktion verwenden kann. Ich würde mir wünschen, ich könnte sagen, dass Albrecht Wendels und mein gemeinsam entwickelter Pyrogentest von 1995 für die massive Einsparung von Kaninchen verantwortlich ist. Leider nein, aber er war meine Motivation dafür, eine Validierungsstudie für alle Pyrogentests auf der Basis der menschlichen Fieberreaktion auf die Beine zu stellen. Ich glaube immer noch, dass „mein Baby etwas schöner ist als andere“, aber ich weiß, dass das allen Eltern so geht. Dies war eine Reise, die mein Verständnis des Ersatzes von Tierversuchen geprägt hat (für Details 1,2 ). Ein paar Beispiele: Ersatzmethoden – insbesondere, wenn sie auf menschlichen Zellen und relevanten Pathomechanismen basieren – können besser sein als der Tierversuch, den sie ersetzen. Insbesondere eröffnen sie komplett neue Anwendungen; es ist verblüffend, dass diese auch nach Jahrzehnten kaum genutzt werden, in unserem Fall bei der Testung von Pyrogenen in der Luft, Zelltherapien oder auf Implantaten. Unsere Prozesse der Validierung, Akzeptanz und Implementierung dauern viel zu lang – mehr als 20 Jahre in unserem nicht untypischen Fall. In einer globalen Wirtschaft hat keine Methode eine Chance, die nicht in allen wesentlichen Märkten akzeptiert ist. Überhaupt ist die ganze Diskussion viel mehr ökonomisch als ethisch oder technisch. Dazu gehört auch der Widerstand einer Industrie, die ihren Markt, ihre Produkte und ihre etablierten Sicherheitsprüfungen verteidigt – manchmal mit Messern und Zähnen, auf alle Fälle mit jeder Menge schmutziger Tricks.
Der Pyrogentest ist nicht der einzige Bereich, in dem wir Fortschritte gemacht haben. Das Kaninchen als Quelle für polyklonale Antikörper kann zunehmend durch rekombinante Verfahren ersetzt werden. Die Verwendung von Kaninchen als zweite Spezies für Entwicklungs- und Reproduktionstoxikologie kann hoffentlich bald durch Stammzelltests ersetzt werden.

An Ideen mangelt es nicht. Wenn man einmal anfängt, darüber nachzudenken, wie man Tierversuche ersetzen kann, dann kommen die Ideen. Wie John Steinbeck sagte: “Ideen sind wie Kaninchen. Man bekommt zwei und lernt, wie man sie angeht, und ziemlich schnell hat man ein Dutzend.“ 3 Lassen wir uns wünschen, dass im Jahr des Kaninchens weitere Fortschritte zum Ersatz der verbleibenden Versuchskaninchen dazu kommen.

Professor Dr. Dr. Thomas Hartung ist Experte in der klinischen und experimentellen Pharmakologie und Toxikologie und Autor von mehr als 350 Publikationen, die sich mit dem Ersatz von Tierversuchen befassen. Ehemals Direktor des Europäischen Zentrums für die Validierung von Alternativmethoden zum Tierversuch (ECVAM), ist er seit 2009 Direktor des Zentrums für Alternativen zum Tierversuch (Center for Alternatives to Animal Testing, CAAT) in Baltimore, USA.