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Ethikrat: Schallende Ohrfeige für Deutschlands Tierschutzpolitik

Am 17. Juni 2020 veröffentlichte der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme „Tierwohlachtung – Zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren“. Darin verlangt er das, was Tierschutzorganisationen und Wissenschaftler schon lange fordern: eine grundsätzliche Wende in der Tierhaltung. Statt um Übergangsfristen zu feilschen oder mit juristischen Winkelzügen illegale Zustände nachträglich zu legalisieren, wird es für die Bundesregierung nun höchste Zeit, diese Empfehlungen endlich umzusetzen. Die nötigen Ausstiegspläne liegen längst vor.

Während viele Formulierungen in dem Papier des Deutschen Ethikrats eher harmlose Allgemeinplätze sind, wenn es um „Respekt vor den Tieren“, „den Eigenwert des Tierlebens“ oder um „Tierwohl“ geht, wird die Stellungnahme da interessant, wo sie konkret wird. Gegen Ende findet sich ein Absatz, indem der Ethikrat darlegt, was er für nicht vertretbar hält. Dies sind: Hochleistungszuchten, die den Tieren schaden, nicht artgerechte Lebensbedingungen und die Trennung von Mutter- und Jungtieren direkt nach der Geburt. Dazu schreibt Hilal Sezgin in ihrem taz-Kommentar: „Wenn wir diesen Absatz ernst nähmen, würde die Nutztierhaltung im Land komplett zusammenbrechen. Irreversibel. (…)“ Denn dies bedeute, dass es eine verantwortliche Nutztierhaltung nach derzeitigem Wissen nicht gibt.

Rechtsstaat schützt die Tiere nicht
Interessant ist auch die Aussage von Steffen Augsberg, Sprecher der Arbeitsgruppe „Tierwohl“ im Deutschen Ethikrat: „Ich kenne kein einziges Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht“. Nach seinen Angaben sei es eher die Ausnahme, dass das, „was oben (im Gesetz) drinstehe, unten auch so ankomme“. Dies können wir nur bestätigen: Trotz Staatsziel Tierschutz und einem umfangreichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere nicht zuverlässig. Fast täglich erfahren wir von Tiermisshandlungen, die auf ein schlecht funktionierendes Vollzugssystem zurückzuführen sind.

Watsche für Klöckner
Insgesamt ist die Positionierung des Ethikrats eine schallende Ohrfeige für Landwirtschaftsministerin Klöckner. Diese hatte Anfang Juni noch versucht, eine Änderung der Haltungsverordnung durch den Bundesrat zu bekommen, die es den Schweinezüchtern erlaubt hätte, Millionen von Sauen zehn weitere Jahre lang in sogenannten Kastenständen zu fixieren, obwohl dies bereits seit 28 Jahren illegal ist. Glücklicherweise konnte dies durch die massiven Proteste der Tierschutzorganisationen und das Einlenken der Grünen in der Länderkammer gerade noch verhindert werden.

Industrielle Tierhaltung hat keine Zukunft
Der Kastenstand ist nur ein Beispiel, wie das Landwirtschaftsministerium immer wieder versucht, offensichtlich tierquälerische und sogar illegale Praktiken im Sinne der Fleisch- und Agrarindustrie weiter zu ermöglichen. Aus diesem Grunde werden jedes Jahr immer noch fast 50 Mio. Eintagsküken direkt nach dem Schlupf getötet, 20 Mio. männliche Ferkel betäubungslos kastriert, Schwänze- und Schnäbel kupiert, Rinder ganzjährig angebunden, eklatante Missstände bei Schlachtung und Transporten hingenommen, etc. Tierschutz-Verstöße sind überall an der Tagesordnung: Bei Aufzucht, Haltung, Transport und bei der Schlachtung. Der Ethikrat ist nicht das erste Gremium, das deswegen eine radikale Wende in der Tierhaltung für überfällig hält. Schon 2015 kam der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die industrielle Tierhaltung in Deutschland keine Zukunft hat.

Ausstiegspläne liegen längst vor
Das Gutachten enthielt neben einer Analyse auch eine Gesamtstrategie, wie diese Wende gelingen kann. Es liegt längst alles auf dem Tisch – nun ist die Politik am Zug. Statt um Übergangsfristen zu feilschen oder mit juristischen Winkelzügen illegale Zustände nachträglich zu legalisieren, wird es höchste Zeit, die Empfehlungen der eigenen Berater endlich umzusetzen. Wenn ethische Gründe nicht ausreichen, so sollten die Corona-Pandemie und der Klimawandel überzeugend genug sein. Die EU-Kommission scheint hier schon weiter zu sein. Wenn die ambitionierten Pläne im Rahmen des „European Green Deals“ angenommen werden, könnte dies die lange überfällige Agrarwende einläuten, ob Deutschland will oder nicht.