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Klimawandel: Ein „Weiter so“ gibt es nicht

Um den Klimawandel noch aufzuhalten, wird die Menschheit ihren Lebensstil komplett verändern müssen. Dabei geht es nicht nur um Energie- und Mobilität, sondern auch um unsere Ernährung. Denn die Nahrungsmittelproduktion, allen voran die tierischer Produkte, verursacht fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen. Doch den Appellen der Wissenschaftler zum Trotz wird mehr Fleisch statt weniger produziert.

Prof. Pete Smith von der Universität Aberdeen ist Hauptautor des Berichtes des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)). Außerdem fordert er mit der Initiative Scientists4LessMeat Bürgermeister dazu auf, das Fleischangebot in öffentlichen Kantinen zur reduzieren.

Eine Fülle von Studien aus den vergangenen Jahren machen die verheerenden Auswirkungen der Produktion tierischer Produkte deutlich. Die Mehrheit der Wissenschaftler kommt zu dem Ergebnis: Um dem globalen Bevölkerungswachstum, dem Klimawandel und dem Verlust der Biodiversität zu begegnen, müssen die Menschen ihren Lebensstil, insbesondere ihre Ernährungsgewohnheiten, ändern.

In einer kürzlich erschienenen Studie (1), die im Auftrag des EU-Parlaments erstellt wurde, fordern die Wissenschaftler einen „Great Food Trans-formation“-Prozess. Damit verbunden ist unter anderem eine massive Reduzierung des Fleischkonsums. Dies fordert auch der Weltklimarat (IPCC). Der diesjährige Bericht (2) ruft zu einem schnellen Wandel in der Lebensmittelproduktion auf, damit das anvisierte Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden kann.

Tierhaltung frisst über 80 Prozent der Nutzfläche
Eine weitere umfassende Studie (3) kommt zu dem Ergebnis, dass ein Verzicht auf tierische Produkte ein riesiges Transformationspotenzial hat. Nach den Autoren liefern Fleisch- und Milchprodukte nur 18 Prozent der Kalorien und 37 Prozent des Proteins, gleichzeitig benötigen sie mit 83 Prozent den größten Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche und verursachen 60 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft.

FLEISCHATLAS 2018 / TUOMISTO ET AL

Wichtigster Hebel: vegane Ernährung
Eine vegane Ernährung ist nach Ansicht der englischen Wissenschaftler der beste Weg, um die gefährlichen Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf der Erde zu verringern. Dies umfasse nicht nur die Treibhausgase, sondern auch die globale Versauerung, Eutrophierung* sowie die Verschwendung von Land und Wasser. Eine weitgehend pflanzliche Ernährung könne zudem die weltweite Nutzung von Ackerland um mehr als 75 Prozent reduzieren. Dies wäre auch die Rettung für viele Wildtiere, denn der Verlust von naturnahen Flächen in der Landwirtschaft gilt als Hauptursache für das massive Artensterben.

Planetarische Gesundheits-Ernährung
Eine internationale Wissenschaftskommission (4) stellte kürzlich die erste sogenannte „planetarische Gesundheits-Ernährung“ vor. Sie besteht größtenteils aus Gemüse, Obst und Vollkorngetreide. Das meiste Protein stammt dabei aus Hülsenfrüchten und Nüssen. Die neue Ernährungsform soll einerseits elf Millionen Menschen aus den Industrieländern vor einem vorzeitigen Tod durch ungesunde Ernährung bewahren. Andererseits soll sie dafür sorgen, dass auch für zwei Milliarden Unterernährte und 800 Millionen Hungernde ausreichend wertvolle Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Dazu, so die Forscher, muss jedoch der weltweite Verbrauch von rotem Fleisch halbiert werden.
Fleischproduktion wächst
Dass wir um eine Reduktion unseres Konsums an tierischen Produkten nicht herumkommen, meint auch Prof. Dr. Harald Grethe. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik und berät die Bundesregierung, insbesondere das Bundeslandwirtschaftsministerium. Doch trotz all dieser geballten wissenschaftlichen Argumente für einen Paradigmenwechsel, sieht die Realität anders aus: Die globale Fleischproduktion hat sich in den letzten 50 Jahren fast vervierfacht von 84 Millionen Tonnen im Jahr 1965 auf 330 Millionen in 2017. Der Weltagrarbericht geht davon aus, dass dieser Trend anhält. Der Grund: Die Schwellenländer nähern sich an die fleischlastigen Ernährungsgewohnheiten Nordamerikas und Europas an. Bis 2050 rechnet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) mit einer Steigerung der Fleischproduktion auf 455 Millionen Tonnen.


EU-Direktzahlungen fördern industrielle Tierhaltung

Die Förderpolitik der EU heizt diese fatale Entwicklung noch zusätzlich an: Aktuell subventionieren mehr als 70 Prozent der EU-Direktzahlungen die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern. Die Deutschen essen zwar immer weniger Fleisch, dies bewirkt jedoch nicht, dass weniger Tiere gehalten werden – im Gegenteil: Die grausame industrielle Tierhaltung wächst und es wird immer mehr Fleisch exportiert. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Export von Fleisch- und Milchprodukten nach China verdreißigfacht. Eine fatale Fehlentwicklung. Eine
2019 veröffentlichte Studie des Öko-Instituts (5) kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimaziele nur mit einer deutlichen Abstockung der Tierbestände erreicht werden können.

Die Zukunft der Ernährung ist pflanzlich
Doch wie soll es weitergehen? Bis 2050 wird die Weltbevölkerung fast 10 Milliarden Menschen erreichen. Gleichzeitig warnen Wissenschaftler, dass der „Kipp-Punkt“, an dem der Prozess der Erderhitzung völlig außer Kontrolle gerät, bald erreicht sein könnte. Jetzt zeigt sich, dass eine pflanzenbasierte Ernährung nicht nur eine Spinnerei urbaner Öko-Romantiker und Tierrechtler ist. Die Zukunft der Ernährung ist pflanzlich, oder es gibt keine Zukunft.

Maßnahmen für eine Agrar- und Ernährungswende
Wenn wir die Klimakatastrophe noch aufhalten wollen, brauchen wir eine Agrar- und Ernährungswende. Der Bundesverband tritt als Tierrechtsorganisation schon aus ethischen Gründen für eine vegane, rein pflanzliche Ernährung ein. Um den überfälligen Paradigmenwechsel hin zu einer tier- und klimafreundlichen Ernährung voranzubringen, hat er einen Katalog aus 14 Einzelmaßnahmen zusammengestellt.

* Eutrophierung stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „gut ernährt“ (eu = gut; trophein = nähren, ernähren). In der Ökologie steht es jedoch für eine unerwünschte Zunahme von Nährstoffen in einem Gewässer und dem damit verbundenen schädlichen Algenwachstum, das zum „Umkippen“ des Gewässers führen kann.
(1) Study requested by the AGRI committee, European Parliament: Megatrends in the agri-foodsector: global overview and possible policy response from an EU perspective. Policy Department for Structural and Cohesion Policies, Directorate-General for Internal Policies.September 2019.
(2) IPCC Special Report on Climate Change, Desertification, Land Degradation, Sustainable Land Management, Food Security, and Greenhouse gas fluxes in Terrestrial Ecosystems. August 2019
(3) Poore, J., and T. Nemecek. „Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers (vol 363, eaaw9908, 2019).“ Science 363.6430 (2019): 939-939. PE629.205–Februar 2019.
(4) Willett, Walter, et al. „Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems.“ The Lancet 393.10170 (2019): 447-492., siehe https://eatforum.org/eat-lancet-commission/
(5) Scheffler M. und Wiegmann K. „Quantifizierung von Maßnahmenvorschlägen der deutschen Zivilgesellschaft zu THG-Minderungspotenzialen in der Landwirtschaft bis 2030“. April 2019