Immer mehr Kommunen erwägen den Einsatz der Taubenpille. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte rät davon ab. Der Wirkstoff Nicarbazin ist als dauerhaftes Verhütungsmittel für Tauben bislang kaum erforscht. Es wird von lebensbedrohlichen Nebenwirkungen berichtet. Außerdem ist die Wirksamkeit des teuren Präparates zweifelhaft.
Die Taubenpille Ovistop wird von einer in Düsseldorf ansässigen Tierärztin vertrieben. Auf der Website TKK-Stadttauben wird der mit dem Wirkstoff Nicarbazin beschichtete Futtermais als Gesamtlösung zur tierschutzkonformen Kontrolle von Stadttauben bezeichnet. Diese treffen bei Behörden auf großen Zuspruch. Doch dies ist eine einseitige Darstellung, denn die die Studienlage ist unzureichend. Die langfristige Verträglichkeit für die Tauben ist zweifelhaft, ebenso wie die Wirksamkeit.
Nebeneffekt temporäre Unfruchtbarkeit
Nicarbazin wird seit den 1950er Jahren weltweit zur Bekämpfung der Kokzidiose, einer parasitären Darmerkrankung, eingesetzt. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Tierarzneimittel als Nebeneffekt zu einer temporäreren Unfruchtbarkeit führt. Nicarbazin ist als Kokzidiostatikum für zur Lebensmittelerzeugung genutzte Tiere zugelassen sowie als Verhütungsmittel in den USA, der EU und Japan. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Nicarbazin in realistischen Mengen ungiftig und sicher für Mensch, Tier und Umwelt ist (1). Die Untersuchungen der Nebenwirkungen beruhen jedoch auf dem Einsatz als Kokzidiostatikums bei „Mastgeflügel“ und damit auf einer kurzen Lebens- bzw. Behandlungszeit (Masthähnchen leben nur 28-42 Tage. Bei starker Überdosierung im Futter treten jedoch schwere Atemnot mit hoher Körpertemperatur auf, und es kommt zu Todesfällen durch Hyperthermie.
Unerwünschte Nebenwirkungen bei Hühnern
Laut Informationen der Universität Zürich (2) wurden bei Hühnern folgende Nebenwirkungen beschrieben:
- verminderte Legerate
- dosisabhängige Pigmentierung des Dotters und degenerative Veränderungen der äußeren Dotterhaut, Schalenveränderungen
- Leberverfettung
- Erhöhung der Stoffwechselrate und der Temperaturempfindlichkeit. (Die Temperaturanfälligkeit kann durch die Kombination mit Narasin gesenkt und die Mortalität um 10-20 Prozent vermindert werden)
- vermindertes Wachstum und reduzierte Futter- und Wasseraufnahme
Tauben: Nebenwirkungen nicht untersucht
Diese Effekte sind aus dem Einsatz in der Geflügelmast bekannt, wurden also nicht in Langzeitstudien an Tauben untersucht. Zudem ist die langfristige Wirksamkeit fraglich, denn Nicarbazin wirkt nur dann sterilisierend, wenn es kontinuierlich in der nötigen Dosis aufgenommen wird. Studien in Spanien (3) und Italien (4) zeigen zwar eine Reduzierung der Stadttaubenschwärme, enthalten aber keine Untersuchungen dazu, ob und wie schwer die bekannten, zum Teil lebensbedrohlichen Nebenwirkungen bei den Tauben auftreten.
Nebenwirkungen bei Überdosierung und Hitze
Die bekannten Nebenwirkungen wie geringere Gewichtszunahme sowie geringere Wasseraufnahme könnten für die ohnehin unterernährten Straßentiere lebensgefährlich sein. Ebenfalls bedenklich ist die schlechtere Toleranz von Hitze mit Todesfolge, insbesondere angesichts steigender Temperaturen. Die bei „Mastvögeln“ beschriebenen Nebenwirkungen treten während ihrer extrem kurzen Lebenszeit auf. Stadttauben, die bei guter Betreuung bis zu 10 Jahre (ohne Betreuung etwa 2-3 Jahre) alt werden, müssten ein Leben lang dauerhaft behandelt werden.
Studien fehlen
Entsprechende Studien zur Verträglichkeit fehlen. Hinzu kommt, dass der Wirkstoff zur Verhütung in höherer Konzentration als zur Behandlung gegen Kokzidien eingesetzt wird. Bei der Fütterung von Stadttaubenschwärmen ist eine Überdosierung bei dominanten Tieren wahrscheinlich. Gleichzeitig ist die tiermedizinische Überwachung fraglich, denn erkrankte und sterbende Tiere ziehen sich zurück. Angesichts der nicht kontrollierbaren Wirkstoff-Aufnahme sowie der fehlenden Behandlungsmöglichkeit kann das Mittel zu schweren Nebenwirkungen bis zum Tod führen.
Potenzielle Gefahr für andere Tiere
Mehrere Studien haben wohl gezeigt, dass Nicarbazin in realistischen Mengen ungiftig und sicher für Mensch, Säugetiere und Umwelt ist. Unbeantwortet ist allerdings nach wie vor die Frage, wie verhindert werden soll, dass andere Vögel das Mittel direkt aufnehmen. Auf der Website der TKK Stadttauben heißt es zwar, dass Ovistop nicht gefährlich für andere Vögel sei, da kleine Singvögel den behandelten Mais allein durch anatomische Beschränkungen nicht aufnehmen könnten. Das ist richtig, zumal wir bei Vögeln Körnerfresser, Weichfresser und Allesfresser unterscheiden. Reine Weichfutterfresser wie Rotkehlchen, Heckenbraunelle, Zaunkönig, Amsel und Star fressen tierische Kost oder nur sehr feine Sämereien und wären davon nicht betroffen. Größere Vögel unter den Körner- und/oder Allesfresser wie Dohlen, die sich oft unter Taubenschwärme mischen, Wildtauben (z.B. die Ringeltaube, Türkentaube) oder andere Arten sind jedoch durchaus in der Lage, den Mais zu fressen.
Düsseldorf sagt „NEIN“ zu Taubenpille
Im Mai 2024 entschied sich die Stadt gegen den Einsatz von Nicarbazin. Nach eingehender Nutzen-Risiko-Abwägung sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anwendung mehr Risiko als Nutzen habe. Gründe seien unter anderem die Sorge vor Resistenzbildung gegen den Wirkstoff, aber auch potentielle Nebenwirkungen auf andere Tiere. Deshalb setzt die Stadt Düsseldorf weiterhin in bewährter Kooperation mit dem Tierschutzverein auf das tierschutzgerechte Konzept der kontrollierten Taubenschläge.
Hohe Kosten durch Dauerverabreichung
Bei dem Einsatz von Ovistop befürchtet Menschen für Tierrechte zudem für die Kommunen auch die Gefahr einer teuren Fehlinvestition. Die Taubenpille wird zwar als kostengünstige Lösung angepriesen. Das mag für die klammen Kommunen, die in Sachen Stadttauben nach schnellen, einfachen und günstigen Lösungen suchen, verlockend klingen. Unserer Ansicht nach birgt diese kurzsichtige Sichtweise jedoch auch finanzielle Risiken. Was, wenn die Taubenpille nicht hält, was sie verspricht? Abgesehen von nach wie vor ungeklärten rechtlichen Fragen (sind die Anforderungen für eine Umwidmung des Präparates als „Taubenpille“ überhaupt erfüllt?) und den möglichen schädlichen Nebenwirkungen, könnte sich die langfristige Gabe als teure Fehlinvestition herausstellen – eine Dauerverabreichung verursacht hohe Kosten. Eine Wirksamkeitsgarantie gibt es nicht.
Tierschutzkonforme Lösung: Das bewährte Stadttaubenmanagement
Unseres Erachtens ist es wichtig, die Taubenpopulationen in den Städten tierschutzgerecht zu reduzieren und damit den Tieren ein gutes Leben zu ermöglichen. Das Ziel ist eine kleine und gesunde Population. Eine etablierte und sichere Methode zur langfristigen tierschutzkonformen Kontrolle ist das Stadttaubenmanagement, das sich seit fast 30 Jahren bewährt hat. Diese Methode wird in vielen Städten erfolgreich umgesetzt, wie die Umfrage (5) des Bundesverbandes zeigte. Zentrales Element ist die Ansiedlung der Tiere in betreuten Taubenschlägen, in denen sie artgerecht gefüttert und ihre Eier gegen Ei-Attrappen ausgetauscht werden. Auch der Großteil der Hinterlassenschaften sammelt sich innerhalb der Schläge. Zudem bleiben die Tauben durch gezielte Fütterung mit artgerechtem Futter gesund und der ätzende Hungerkot wird vermieden.
Kommunen zu tierschutzkonformen Lösungen verpflichtet
Dies ist nicht nur eine sichere und tierschutzkonforme Lösung, genaugenommen sind die Kommunen auch dazu verpflichtet, sich um die Stadttauben zu kümmern. Das Problem der Stadttauben ist menschengemacht und die Tiere sind abhängig von der menschlichen Versorgung. Ohne Versorgung durch den Menschen verelenden die Tiere und haben ein meist leidvolles Leben, die Lebensbedingungen in den Städten sind katastrophal. Methoden zur Abwehr von Stadttauben sollten immer verhältnismäßig sein (6). Die vielen ehrenamtlich tätigen Menschen, die in den Stadttaubenvereinen eine hervorragende Arbeit leisten, berichten täglich von schlimmen Tierleid wie Hungertod, Krankheiten und Verstümmelungen.
Maßnehmen müssen wirksam und tierschutzgerecht sein
Da uns die Probleme mit großen Populationen, insbesondere in Großstädten bewusst sind, verschließen wir uns nicht grundsätzlich einem Maßnahmenmix, der auch verhütende Maßnahmen flankierend einschließen könnte. Allerdings, und das ist wichtig, sollten diese auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen tierärztlich begleitet und tierschutzgerecht untersucht sein. Und genau dies ist aus unserer Sicht bei Ovistop derzeit nicht der Fall.