Offiziell ist die Erkenntnis, dass wir nicht mehr weitermachen können wie bisher, auch bei der EU und der Ampel angekommen. Doch die Politik drückt sich vor den entscheidenden Maßnahmen für die notwendige Agrar- und Ernährungswende. Doch ohne die Förderung einer pflanzenbasierten Kost, einer Reduktion der Tierbestände und einer Ausstiegsprämie für Landwirt:innen, kann der notwendige Systemwechsel nicht gelingen.
Am 18. Oktober beschloss die Stadt Freiburg, nur noch vegetarische Schulgerichte anzubieten. Das Schulessen sollte günstig, nachhaltig und zukunftsweisend sein. Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los. Eltern forderten Wahlfreiheit, das Stuttgarter Agrarministerium ließ verlauten, dass zu einer ausgewogenen Ernährung Fleisch gehöre. Ähnlich erging es der Bürgerschaftsfraktion der Grünen in Bremen: Sie wollte den Konsum von Tierprodukten um 75 Prozent reduzieren. Ziel sollte eine finanzierbare, gesunde und klimafreundliche Ernährung für alle sein. Dazu sollte der reduzierte Mehrwertsteuersatz für tierische Lebensmittel fallen und im Gegenzug klimafreundliche und gesunde Lebensmittel vergünstigt werden.
„Veggiegate“ statt Ernährungswende
Weitere Maßnahmen waren mehr fleischfreie Angebote in Mensen und Kantinen, veganes Kochen als Standard in den Kochausbildungen und bei großen Veranstaltungen sollte die Hälfte aller gastronomischen Angebote vegan sein. Bremen sollte so zum Vorbild für den Rest der Republik werden. Doch auch in Bremen wiederholte sich das „Veggiegate“ der Grünen: Die Bremer Gastro-Gemeinschaft und der SPD-Bürgermeister lehnten die Pläne ab und polterten gegen die vermeintliche Bevormundung. So viel zur aktuellen Akzeptanz einer Ernährungswende.
Gemüse braucht keine Tiere
Ähnlich enttäuschend positionierte sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zur Agrarwende: Im Nachgang einer Veranstaltung mit Landwirt:innen am 19. Oktober erteilte er einer Ausstiegsprämie aus der Schweinehaltung nach dem Vorbild der Niederlande eine Absage. Diese sei nicht bezahlbar. Außerdem brauche auch sein Gemüse Tiere. Der bekennende Vegetarier Özdemir sitzt demnach noch immer dem Ammenmärchen auf, nach dem eine Kreislaufwirtschaft ohne Tiere nicht funktioniert. Dabei gibt es längst Betriebe, die erfolgreich ökologische Landwirtschaft auf rein pflanzlicher Grundlage betreiben. Dies ist sogar wesentlich effizienter und ressourcensparender.
EU will mehr Nachhaltigkeit
Es führt kein Weg daran vorbei: Ernährungs- und Agrarwende müssen Hand in Hand gehen. Der „Green Deal“ der EU legt dafür eigentlich ein gutes Fundament. Er soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Zur Erreichung dieses Ziels sollen Wirtschaft und Gesellschaft umgestaltet und das Agrar- und Lebensmittelsystem zum weltweiten Standard für Nachhaltigkeit werden. Herzstück des Green Deals ist die Farm-to-Fork Strategie (F2F). Sie soll den Übergang zu einer nachhaltigen und wirtschaftlichen Lebensmittelproduktion beschleunigen.
30 Milliarden für Bio-Landwirtschaft
Auf Bundesebene findet sich dies im nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Dieser regelt die EU-Landwirtschaft von 2023 bis 2027. In der Fassung, die am 30. September 2022 in Brüssel eingereicht wurde, ist die Rede von einem nachhaltigen und widerstandsfähigen Agrar- und Ernährungssystem, das dem Natur- und Klimaschutz wie auch der Landwirtschaft zugutekommt. Mit einem Fördervolumen von 30 Milliarden Euro sollen bis 2030 mindestens 30 Prozent der Flächen in Deutschland biologisch bewirtschaftet werden. Die Umwelt soll geschützt und Ernährungssicherheit sowie biologische Vielfalt gesichert werden. Einen Beitrag dazu soll auch der Umbau der Tierhaltung hin zu „tiergerechteren Haltungssystemen“ wie der Weidehaltung leisten.
Nötig: Mut für unpopuläre Maßnahmen
Grundsätzlich steckt in diesen Plänen von EU und Ampel das Potenzial für die dringend notwendige Transformation. Das Problem ist, dass die Politik noch immer konkrete Maßnahmen für eine Ernährungs- und Agrarwende scheut. Doch es wird nicht gehen ohne Lenkungsinstrumente, wie Ausstiegsprämien, die Förderung einer pflanzenbasierten Ernährung und des Anbaus pflanzlicher Eiweißträger. Und, ja, dazu gehört auch die unbeliebte Verteuerung tierischer Produkte. Bisher ist der hochgelobte freie Markt durch die einseitige Begünstigung tierischer zu Lasten von pflanzlichen Produkten verzerrt. Das muss sich ändern. Die Politik muss jetzt mutig sein, auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Es ist höchste Zeit.
Maßnahmen für eine Agrar- und Ernährungswende
Um der Politik konkrete Maßnahmen an die Hand zu geben, hat Menschen für Tierrechte zehn Forderungen für eine Agrar- und Ernährungswende zusammengestellt. Zentral ist die Einführung einer Strategie für tier- und klimafreundliche Ernährungsformen. Diese umfasst unter anderem eine breit angelegte Informations- und Bildungskampagne, die Erhöhung des Angebotes vollwertiger veganer Mahlzeiten in öffentlichen Einrichtungen sowie mehr Forschungsförderung für pflanzliche Alternativen. Weitere Punkte sind eine verpflichtende und umfassende Produkt-Kennzeichnung, die die Entscheidung von Konsument:innen für pflanzliche Alternativen fördert sowie Steuerermäßigungen für klimafreundliche und die gleichzeitige Verteuerung von tierischen Lebensmitteln.
Die zehn Forderungen in Kürze
1. Strategie für tier- und klimafreundliche Ernährungsformen
2. Tierbestände drastisch reduzieren
3. Weg von der Tierhaltung: Umstiegswillige Landwirt:iInnen fördern
4. Forschungsförderung für tierlose Anbausysteme
5. Tierschutzrecht, Vollzug und Gerichtsbarkeit stärken
6. Agrarsubventionen ökologisieren
7. Schädliche Subventionen beenden
8. Ökosysteme renaturieren und pflegen
9. Schluss mit der Exportorientierung
10. Regionaler Anbau statt Soja-Importe