Das Coronavirus hat unsere Gesellschaft derzeit fest im Griff. Mehr medizinische Forschung bedeutet heutzutage leider immer noch mehr Tierversuche. Aber geht es auch anders? Viele Fragen stellen sich uns in dieser Situation: Was steckt hinter Covid-19? Wie kann man es bekämpfen? Warum werden Tierversuche dafür gemacht und welche Erfolge konnten durch tierleid-freie Methoden schon erzielt werden? Diese und andere Fragen möchten wir in der folgenden Übersicht für Sie erörtern.
Was sind Coronaviren, was ist Covid-19?
Coronaviren tragen ihren Namen durch ihr kranzförmiges Aussehen und können eine Vielzahl an Erkrankungen verursachen, von einer leichten Erkältung bis hin zu einem schweren Atemwegssyndrom (1). Coronaviren sind schon seit den 60er-Jahren bekannt, das neuartige jedoch, dass die Menschheit derzeit plagt, heißt Sars-CoV-2 und wurde im Dezember 2019 erstmals beim Menschen entdeckt. Die Erreger der Krankheitswellen von SARS in den Jahren 2002/2003, MERS und mehreren Erkältungsformen zählen ebenfalls dazu (2). Es verursacht die Erkrankung Covid-19 (Englisch für „coronavirus disease 2019“).
Menschen, die sich mit diesem Coronavirus infiziert haben, können keine oder nur leichte – für Grippe oder Erkältung typische Symptome – entwickeln (Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Husten, Schnupfen, Durchfall, Halsschmerzen). Aber auch schwere Verläufe von Lungenentzündungen bis hin zum akuten Lungenversagen mit Todesfolge sind möglich (1, 3). Das Virus kann zudem auch neurologische Symptome wie einen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen verursachen (4).
Da das Virus hoch infektiös ist, setzen Wissenschaft und Politik derzeit alles daran, durch Vorgaben zur Kontaktreduzierung (5) den Anstieg der Neuinfektionen möglichst stark zu bremsen. Dabei deuten neuere Erkenntnisse darauf hin, dass das Virus über Oberflächen (6), aber vor allem auch über Aerosole in der Luft, also die Atemluft, übertragen werden kann (7,8). Ziel ist es, ausreichend medizinische Behandlungskapazitäten für die ernsten Fälle bereithalten zu können. Das A und O ist aber, einen Impfstoff zu entwickeln.
Bekannt ist, dass das Coronavirus bei einer Infektion über einen Zellrezeptor mit der Bezeichnung ACE2 (Rezeptor-Angiotensin-Converting-Enzyme II) in die Zellen eindringt (9,10). Das Enzym kommt nicht nur in Lungenzellen, sondern auch in Herz, Niere, im Endothel und Magen-Darm-Trakt vor (11,12). Es spielt eine wichtige Rolle beim Herz-Kreislauf- und Immunsystem und ist unter anderem an der Herzfunktion und an der Entwicklung von Bluthochdruck und Diabetes mellitus beteiligt (13). Dabei könnte es jedoch genetische Unterschiede zwischen den Menschen im Aufbau dieses Rezeptors geben, was dazu führt, dass auch jüngere Menschen von ernsthaften Lungenkomplikationen betroffen sein können. Hierzu laufen derzeit Studien (14).
Es gibt aktuell noch keinen Impfstoff und viele Forscher arbeiten weltweit daran, einen solchen zu entwickeln. Mindestens 68 Impfstoffprojekte sind bereits angelaufen (2) und insgesamt werden derzeit schon über 80 klinische Studien (15) durchgeführt.
Was steckt hinter einer “verkürzten Entwicklungszeit“?
Aber ein Impfstoff für die breite Masse wird noch auf sich warten lassen und nach Angaben von Experten in frühestens 12-18 Monaten verfügbar sein. Eine zeitliche Verkürzung des Entwicklungsprozesses erfolgt schon jetzt durch die Verwendung von genetisch modifizierten Viruspartikeln (Vakzinevektoren, 16) und Impfträgersysteme, für die bereits Verträglichkeitsstudien vorliegen.
Für ein Impfstoffdesign müssen zuerst die in einem Impfstoff einzusetzenden Antigene identifiziert werden. Durch diese in der Impfung enthaltenden Antigene soll das adaptive Immunsystem, also die Antikörper-produzierenden B-Zellen, T-Helferzellen und zytotoxischen T-Zellen aktiv werden (17). Durch diese Antikörper kann das Virus dann von anderen Zellen des Immunsystems neutralisiert werden. Die Crux liegt im Detail: Nach Angaben von Prof. Christian Drosten, Virologe der Charité Berlin (18) erfordert das Coronavirus besondere Aufmerksamkeit. Die angreifbare Domäne des Virus zeige sich nur in bestimmten Entwicklungsstadien der Virusinfektion. Produziert man Antikörper gegen Antigene anderer Virusstadien, kämen nach der Impfung im schlechtesten Fall nicht die gewünschten neutralisierenden, sondern allgemeine Antikörper zum Zuge. Diese können mit dem Virus zwar eine Verbindung eingehen und von Monozyten, den Zellen des angeborenen Immunsystems aufgenommen werden. Dort könnte das Virus jedoch weiter aktiv bleiben. Die Folge könnte eine sogenannte unbalancierte Immunantwort mit einer Verschlimmerung der Krankheit sein.
Probleme bei den Artunterschieden
Nach einem „Tiermodell“, welches die Infektion des Menschen widerspiegelt, werde derzeit weltweit dringend gesucht. Nach Angaben der ersten Ergebnisse des Friedrich-Loeffler-Instituts kommen Frettchen möglicherweise als Modelltiere für die Infektion des Menschen mit dem neuartigen Coronavirus und zur Erprobung von Impfstoffen oder Medikamenten in die engere Wahl (19). In den letzten Jahren wurden knapp zwei Drittel aller Versuche an Frettchen zur Untersuchung menschlicher Infektionskrankheiten durchgeführt. Das Frettchen wird dabei weltweit als alternatives Testsystem zu nichtmenschlichen Primaten gehandelt (20). Aber viele Forscher wollen das Coronavirus scheinbar auch mit genmanipulierten „Tiermodellen“ erforschen. So bietet das Jackson Laboratory bereits genmanipulierte Mäuse an. Von Natur aus ist die Maus aufgrund der Unterschiede beim ACEII-Protein nicht geeignet. Das Jackson Laboratory hat jedoch auf der Grundlage früherer Forschungen am ACEII-Protein die sogenannte transgene Maus K18-hACE2 aus dem Hut gezaubert. Dabei wurde die Geninformation des menschlichen ACEII-Proteins in die mauseigene Erbinformation eingebracht. Eine Coronavirus-Infektion ist für die Maus sehr qualvoll: Sie verursacht unter anderem eine Hochregulation von Entzündungsbotenstoffen in Lunge und Gehirn. Drei bis fünf Tage nach der Infektion kommt es zu erschwerter Atmung und Lethargie. Die Tiere sterben innerhalb von sieben Tagen (21).
Das Immunsystem ist ein empfindliches „Organ“: Selbst verschiedene Mäuse- und Rattenstämme zeigen eine Variabilität zwischen Größe eines Infarkts und Schlaganfall, was auf Unterschiede des Immunsystems zurückzuführen sein könnte (22). Nicht zu vernachlässigen sind geschlechtsspezifische Unterschiede des Immunsystems bei Säugern wie beim Menschen.
Tierversuche parallel zu klinischen Studien
Dass viele Forscher erst einmal ohne Tierversuch erste klinische Studien gestartet haben, dürfte damit zusammenhängen, dass bereits Sicherheitsinformationen für die Medikamente vorliegen, in die man große Hoffnungen steckt. Denn sie wurden für einen anderen Zweck entwickelt und in diesem Zusammenhang schon früher umfangreich auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit bzw. Unbedenklichkeit getestet, so z.B. das in den 1930er Jahren entwickelte Medikament zur Malariaprophylaxe Resochin (23), das Antikörper-Produkt Trimodulin der Firma Biotest (24, 25) oder das ursprünglich gegen Ebola entwickelten Präparat Remdesivir (26). Das Vorgehen ist nicht unumstritten und nicht immer ist eine Wirksamkeit deutlich nachgewiesen (27, 28). So ist Remdesivir beispielsweise nur in bestimmten schwerwiegenden Fällen zugelassen, wenn Patienten bereits künstliche Beatmung brauchen (29). Dies heißt zudem nicht, dass Tierversuche nicht parallel laufen oder zu einem späteren Zeitpunkt noch nachgeschoben werden.
Neue humanspezifische Methoden leisten einen großen Beitrag zur Aufklärung der Infektionsmechanismen. Es soll an dieser Stelle der Verdienst von in vitro-Methoden und ihre große Bedeutung bei der Aufklärung von Infektionsmechanismen hervorgehoben werden. Einige Beispiele:
Zelllinien und Organoide
Ein deutsches Forscherteam unter Beteiligung von Infektionsbiologen des Deutschen Primatenzentrums, Wissenschaftlern der Charité, der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, der BG-Unfallklinik Murnau, der LMU München, des Robert-Koch-Instituts sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung hat mit Hilfe von Zellkulturen ein wichtiges Protein gefunden, das einen möglichen Angriffspunkt gegen das Eindringen des Virus in die Lungenzellen bieten könnte (9). Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler eine Vielzahl an Zelllinien und Primärzellen und infizierten diese mit dem Virus.
Sie identifizierten dabei ein zelluläres Protein mit dem Namen TMPRSS2, welches für das Eindringen des Coronavirus in Zellen wichtig ist. Durch ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler einen Ansatzpunkt zur Bekämpfung des Virus gefunden.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin um Direktor Thomas F. Meyer haben ein Modell des menschlichen Lungenepithels entwickelt, an dem sie Wirkstoffe gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 untersuchen können (30). Die Organ-ähnlichen Kulturen (Organoide) entstehen aus menschlichen Epithelzellen der unteren Atemwege, die sich dann zu Oberflächenzellen der Lungenbläschen entwickeln. SogenannteTyp-2-Pneumozyten produzieren lebenswichtige Proteine, die die Oberflächenspannung der Lungenbläschen reduzieren und so verhindern, dass diese zusammenfallen. Zahlreiche Krankheitserreger, darunter auch das Sars-CoV-2-Virus, greifen an den Typ-2-Pneumozyten an. Mit den Lungen-Organoiden können die Forscher die Wirkung von antiviralen Medikamenten und Impfstoffen gegen das neue Virus erproben (30).
Lungenbläschen-on-a-Chip
Das Jenaer Startup-Unternehmen Dynamic42 GmbH hat in Kooperation mit weiteren Partnern des Forschungsclusters InfectoGnostics – dem Center for Sepsis Care and Control (CSCC), dem Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) dem Universitätsklinikum Jena (UKJ) sowie der Universität Jena – ein künstliches Modell eines Lungenbläschens („Alveolus-on-a-Chip“) entwickelt, welches es ermöglicht, direkt mit menschlichen Zellen zu arbeiten. Das künstliche Lungenbläschen liefert Ergebnisse, die näher an der menschlichen Situation als der Tierversuch sind. Mit Hilfe des Alveolen-Chips konnten die Forscher bereits zeigen, dass bei gleichzeitiger Infektion von Viren und Bakterien – Influenza mit bakterieller Superinfektion durch Staphylokokken – die schützende innere Schicht von Blutgefäßen geschädigt wird. Auf diese Weise verbreiten sich Erreger und ihre giftigen Stoffwechselprodukte schneller in der Lunge und führen zu teilweise schweren Lungenentzündungen (31, 32).
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des IMBA in Wien verwendet erstmals Organoide, um zu zeigen, wie SARS-Cov-2 Blutgefäße und Nieren befällt, und wie sich der Virenbefall durch den Wirkstoff hrACE2 ausbremsen lässt. Es zeigte sich, dass das Virus die Organoide direkt infizieren und sich in diesen Geweben vervielfältigen kann. Dies liefert wichtige Informationen über die Entwicklung der Krankheit und die Tatsache, dass schwere Fälle von COVID-19 mit Multiorganversagen und Anzeichen von Herz-Kreislauf-Schäden einhergehen (33).
Es gibt auch Überlegungen, zukünftig digitale Modelle einzusetzen, die mit Patientendaten arbeiten und auf den Zwischenschritt Tierversuche verzichten. Diese Modelle haben das Potenzial, zumindest einen Teil der Experimente zu vermeiden (34).
Humanrelevante Forschung muss die Zukunft sein
Diese Auswahl an Beispielen zeigt das Potenzial von neuen, humanspezifischen Methoden, die zunehmend für wichtige Fragestellungen zur Verfügung stehen und zuverlässige Ergebnisse produzieren. Der Nationale Ausschuss der Niederlande (NCad) als ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union zeigte sich in seinem Ausstiegsszenario bereits im Jahr 2016 überzeugt, dass sich der Einsatz von Versuchstieren für die Herstellung und Freisetzung von biologischen Produkten, wie z.B. Impfstoffen, schrittweise bis zum Jahr 2025 beenden lässt – unter Beibehaltung des Sicherheitsniveaus. Allerdings gelte dies nicht für die regulatorische vorklinische Forschung, die mehr Zeit in Anspruch nehmen werde (35).
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte fordert einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch. Dieser Masterplan sollte unter Federführung der Bundes- und Länderregierungen unter Beteiligung von Vertretern aller Stakeholder (Wissenschaft, Industrie, Behörden, Tierschutz/Tierrechte) erstellt werden. Er muss folgende Einzelmaßnahmen enthalten:
- Massive Erhöhung der Forschungsgelder für tierversuchsfreie Verfahren in Deutschland und in der EU und die Festlegung von Forschungsbereichen, für die am dringendsten solche Verfahren entwickelt werden müssen
- Ausweitung der Verbotsregelungen bestimmter Tierversuche: Durch erste Sofortmaßnahmen müssen Tierversuche in bestimmten Bereichen gesetzlich verboten werden, wie z. B. das Verbot von Tierversuchen für Haushaltsprodukte sowie durch ein EU-weites Vermarktungsverbot, Verbote von Tierversuchen der Kategorie „schwer“ und ein Verbot des Tierverbrauchs im Studium
- Ausweitung der tierversuchsfreien Wissenschaft: Die Einrichtung von Lehrstühlen und Professuren für tierversuchsfreie Verfahren, die Etablierung tierverbrauchsfreier Studiengänge und die Einführung weiterer Forschungspreise für tierversuchsfreie Verfahren
- Erfolgskontrolle über die Zunahme tierversuchsfreier Verfahren und Abnahme der Tierversuche: Dazu ist eine Reform der Versuchstiermeldeverordnung (Erfassen aller betroffenen Tiere), die Einführung einer Jahresstatistik über Entwicklung und Anwendung tierversuchsfreier Methoden und eine rückblickende Bewertung in Form einer Schaden-Nutzen-Analyse für alle durchgeführten Tierversuche notwendig
- Einrichtung eines nationalen Kompetenzzentrums als Auskunftsstelle für Behörden und Wissenschaftler
- Drastische Verkürzung der zeitlichen Prozesse für Prüf- und Anerkennungsverfahren für tierversuchsfreie Verfahren, Einführung der Tierschutz-Verbandsklage auf Länder-, bzw. Bundes- und EU-Ebene.
Unterstützen Sie unsere Forderungen und unterzeichnen Sie die Petition unserer neuen Gemeinschafts-Kampagne Ausstieg aus dem Tierversuch.JETZT!
Quellen: