Versuchstier des Jahres

Versuchstier des Jahres 2020: Der Hund in der Arzneimittel- und Chemikalientestung

Der Bundesverband ernennt jedes Jahr ein „Versuchstier des Jahres“. Aus gutem Grund haben wir in diesem Jahr nochmals den Hund ausgewählt. Im Jahr 2013 fiel die Wahl auf ihn, um die Überflüssigkeit von Langzeittests bei der Pestizidtestung zu thematisieren. In diesem Jahr wollen wir auf die qualvollen Giftigkeitstests an Hunden in der Chemikalien- und Arzneimitteltestung aufmerksam machen. Was diese Tests bedeuten können, haben die furchtbaren Bilder aus dem Tierversuchslabor in Mienenbüttel gezeigt.

Das Laboratory of Pharmacology and Toxicology (LPT) im niedersächsischen Mienenbüttel gelangte im Oktober 2019 durch die Undercover-Berichte der Soko Tierschutz zu trauriger Berühmtheit. Die Aufnahmen von misshandelten Affen und von Hunden, die in ihrem eigenen Blut dahinvegetierten, führten zu einem Aufschrei. Zehntausende forderten bei zwei Großdemonstrationen die Schließung des Labors. Im Februar entzog dann die zuständige Behörde die Betriebserlaubnis für die Standorte Mienenbüttel und Hamburg-Neugraben, unter anderem wegen schwerwiegender Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt zudem wegen gefälschter Laborergebnisse.

Leid durch veraltete Studie
Die LPT-Hunde starben möglicherweise bei einer schlampig durchgeführten sogenannten „Dosisfindungsstudie“ – eine Vorstudie zum eigentlichen Giftigkeitstest, bei der ermittelt wird, wie hoch die zu verabreichende Dosis sein muss. Dosisfindungsstudien sind heute eigentlich veraltet, weil in der Regel bereits genügend Informationen aus vorangegangenen Tests vorliegen, um die Dosis einschätzen zu können.

LPT nur die Spitze des Eisbergs?
Die furchtbaren Fotos illustrierten, was sich auch in anderen deutschen und europäischen Testlaboren abspielen könnte. War das LPT möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs? Die Labore sind für die Öffentlichkeit hermetisch abgeriegelt. Seit Jahren versuchen Wissenschaftler und Tierschützer, den Einsatz von Hunden in der Giftigkeitsprüfung zu beenden oder zumindest zu reduzieren. Doch statt zu sinken, stiegen die Zahlen von zu Testzwecken verwendeten Hunden zuletzt wieder an.

Mehr Hunde im Tierversuch
Die Zahl der im Tierversuch verwendeten Hunde im Jahr 2018 hat gegenüber den Vorjahren wieder zugenommen: Insgesamt mussten 2018 knapp 4.000 Hunde (3.993) in den Tierversuch, das entspricht einer Steigerung von fast 20 Prozent mehr gegenüber 2017 (3.330). Fast die Hälfte der Hunde (47%) wurde zum wiederholten Mal in Tierversuchen eingesetzt.
Beagles besonders beliebt
In Tierversuchen wird bevorzugt die Rasse Beagle eingesetzt, weil sie dank ihres sanftmütigen und umgänglichen Wesens leicht zu handhaben sind. Diese Liebenswürdigkeit nutzt der Mensch ganz bewusst, denn Beagles neigen nicht dazu zu beißen, obwohl der Mensch ihnen wiederholt Schmerzen zufügt. Als Meutehunde sind sie zudem sehr verträglich mit Artgenossen.

Versuche mit Hunden der Jahre 2014-2018 nach Bundesländern

NRW: Hochburg für Versuche an Hunden
Hochburgen für Tierversuche an Hunden sind die Flächenländer Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gefolgt von Baden-Württemberg und Hessen. In den letzten Jahren wurde jedoch bekannt, dass beispielsweise die Zahnmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Implantate und andere therapeutische Maßnahmen für den Menschen am Hund erforschte.

 

 


Hundeversuche: Trügerische Sicherheit

Warum werden gerade Hunde in der Chemikalien- und Arzneimitteltestung eingesetzt? Chemische Substanzen – zu denen auch Arzneimittel gehören – müssen auf Unbedenklichkeit getestet werden. Hierfür erfolgen einerseits Giftigkeitstests, um die Sicherheit bewerten zu können. Doch diese Sicherheit trügt, denn Tiere reagieren aufgrund der physiologischen Unterschiede meist anders als Menschen. Hinzu kommen völlig unterschiedliche Krankheitshintergründe. Bei den Arzneimitteln kommen noch Wirksamkeitstests dazu. Je nach Teststoff müssen neben Kaninchen und Affen als zweite, sogenannte Nicht-Nagerspezies, auch Hunde in den Versuch.

Studienziele bei den gesetzlich vorgeschriebenen Toxizitäts-, Wirkungs- und Toleranztests und anderen Sicherheitstestungen mit Hunden in 2018. Quelle: Tierversuchsstatistik BMEL 2018

Langsame Vergiftung
Um herauszufinden, ob bestimmte Substanzen bei oraler Einnahme giftig sind, wird dabei die Schädlichkeit des Stoffs nach täglicher Gabe auf längere Zeit (sub-chronisch oder chronisch) untersucht. Dazu erhalten die Hunde die Prüfsubstanz über 90 Tage oder sechs Monate lang in verschiedenen Dosierungen. Sie werden den Tieren täglich mit dem Futter, mit einem Pillengeber oder über eine Magensonde verabreicht. Dabei soll überprüft werden, welche Wirkungen bei einer langen Einnahmezeit und gegebenenfalls einer Ansammlung (Kumulation) der Testsubstanz im Körper auftreten. Die Hunde werden während der laufenden Versuche auf Vergiftungssymptome hin untersucht. Zu festgelegten Zeitpunkten werden auch Proben (Blut, Urin, Galle) genommen. Gestorbene Tiere werden seziert, alle überlebenden Tiere werden nach Abschluss des Prüfungszeitraums getötet und ebenfalls untersucht.

Welche Art gesetzlich vorgeschriebener Tierversuche wurden mit Hunden gemacht?

In Tierversuchen verwendete Hunde 2014-2018, aufgegliedert nach Zwecken. Quelle: Tierversuchsstatistik BMEL 2018.

Biologika (Antikörper)
2016 wurde ein Antrag zur Untersuchung des Einflusses einer Trägersubstanz auf das Verhalten eines Wirkstoffes mit 300 Hunden genehmigt. Dabei wurde die Substanz den Tieren auf den verschiedensten Wegen verabreicht: oral per Schlundsonde, als Kapsel oder spezielle Formulierung via Futter oder Trinkwasser, intravenös, über Haut, Muskulatur, Auge, Gelenk, Scheide, das Nervensystem oder das Rektum.
Künstlich erzeugter Bluthochdruck
Um Präparate gegen Bluthochdruck zu testen, wurde Hunden beispielsweise ein Herzschrittmacher implantiert. Damit wurde gezielt eine Herzfrequenz bis etwa 220 Schlägen pro Minute am wachen Hund ausgelöst. Die normale Frequenz liegt bei etwa 80 bis 100 Schlägen. Dadurch kam es zur Herzinsuffizienz. Für eine andere Testung von Bluthochdruckmedikamenten wurde den Tieren unter Narkose der Brustkorb eröffnet, ein extrem schmerzhafter Eingriff. Danach wurde ihnen das Medikament Sildenafil verabreicht, das zu Lungenhochdruck führt. In diesem Zustand wurden sie, in einer Schlinge hängend, in eine Kammer mit sauerstoffarmer Umgebung gesperrt.

Immer schön lächeln: noch 2016 wurden Tierversuche mit Hunden für die Implantatforschung genehmigt. Foto: pixabay

Medizinprodukte
Andere Untersuchungen waren Unbedenklichkeitsprüfungen von sogenannten “Medical Devices” (hier Zahnimplantate), oder Untersuchungen für die Veterinärmedizin. Dies sind häufig Studien zu Futtermittelunverträglichkeiten.
Pflanzenschutzmittel (Pestizide)
Im Jahr 2017 wurden 495 Hunde für die Testung von Pflanzenschutzmitteln genehmigt. In diesen wurden ihnen Dosierungen bis zur maximal tolerierbaren Menge verabreicht.

Leid trotz Schmerzmitteln
Auch wenn die Tiere unter Narkose operiert und ihnen Schmerzmittel gegeben werden, so können sie dennoch leiden. Die ungewohnte Versuchssituation und die gleichzeitige Abwesenheit der vertrauten Tierpfleger sowie (durch die versuchsbedingte Einzelhaltung) der gewohnten Artgenossen sowie die notwendige Fixierung können Angst und Stress verursachen. Substanzen aller Art können Übelkeit und Erbrechen sowie Durchfall hervorrufen. Gegen all das hilft kein Schmerzmittel. All dies muss vor den Hintergrund betrachtet werden, dass nach wie vor unsicher ist, inwieweit Hunde und andere Tiere in ihrer toxischen Reaktion dem Menschen ähneln.
Tierversuche: Leid und Risiko
Tierversuche werden an jungen gesunden Tieren durchgeführt, während die meisten Medikamente Patienten fortgeschrittenen Alters mit Bluthochdruck, Diabetes und anderen Krankheiten verabreicht werden. Dazu kommen eventuell vorhandene Einschränkungen der Leber- oder Nierenfunktion bei alten Menschen. Selbst Forscher kritisieren, dass kurzfristige präklinische Sicherheitsstudien am Tier keine chronischen Ergebnisse am Menschen nachbilden können. Abgesehen vom Krankheitshintergrund gibt es zudem diverse physiologische Unterschiede. So kommt zum Leid der Tiere das Risiko für den Menschen hinzu: Unvorhergesehene negative Auswirkungen von Medikamenten treten oft erst in der klinischen Anwendung auf, wenn die Substanzen direkt am Menschen getestet werden.

Trostloses Leben im Labor
Doch die Hunde leiden nicht nur im Versuch. Hinzu kommt die reizarme Haltung in der Laborumgebung. Hunde sind hochsoziale Tiere. Nach der EU-Tierversuchsrichtlinie EU/63/2010 soll auch diesen Hunden zwar soweit wie möglich Auslauf im Freien ermöglicht werden. Für den Tierversuch selbst werden die Tiere jedoch häufig in Betonzwingern auf wenigen Quadratmetern allein oder in Gruppen gehalten. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen in Privathaltung kennen sie keine natürlichen Gerüche, sie kennen kein Tollen im Gras, keinen duftenden Waldboden, kein Bad im Fluss. Und sie werden all dies auch nie kennenlernen, denn nach Abschluss invasiver Versuche werden die Hunde in der Regel getötet.


Es gibt andere Wege!

Für die Prüfung von Arzneimitteln und Chemikalien gibt es inzwischen viele tierfreie Verfahren. Der Trend geht dahin, mit Kombinationen aus verschiedenen tierfreien Methoden viele Tierversuche ersetzen zu können. Hemmend wirken jedoch die unterschiedlichen Regularien in OECD- und Nicht-OECD-Ländern und die mangelnde Bereitschaft, den Ausstieg aus dem Tierversuch endlich entschieden anzugehen.
Am 23. Februar dieses Jahres machte die Absichtserklärung „Auf dem Weg zu einer chemie-pestizidfreien Landwirtschaft“ Hoffnung, dass in absehbarer Zeit keine Hunde mehr für die Testung von Pestiziden eingesetzt werden könnten. Unter deutsch-französischer Leitung arbeiten 24 europäische Forschungsinstitute daran, den Übergang zu einer chemikalienfreien Landwirtschaft voranzutreiben. Hier ist die Rechnung denkbar einfach: Wenn man keine neuen Pestizide mehr entwickelt, müssen auch keine entsprechenden neuen Substanzen getestet werden.

Technisch revolutionär: Multi-Organ-Chips
Voran geht es aber auch in Bereichen, wo noch Test durchgeführt werden müssen: beispielsweise bei der Prüfung von Arzneimitteln. Hier werden weltweit ständig neue tierfreie Verfahren entwickelt. An der Spitze stehen die sogenannten Multi-Organ-Chips. Dabei werden teils mehrere menschliche Organe im Miniaturformat auf einem sogenannten mikrofluidischen Chip gespeichert. Sie können Hinweise geben, um Wirkungen und Nebenwirkungen einzelner Substanzen, insbesondere bei der Medikamentenentwicklung, zu bestimmen. Die Chip-Technologie wird ständig weiterentwickelt, so dass sie schon jetzt bessere Testergebnisse als der Tierversuch liefert.

Lebermodell erkennt schädliche Substanzen
Ein amerikanisches Wissenschaftlerteam hat beispielsweise mit einem Leber-on-a-Chip-Modell untersucht, ob die Toxizität von Medikamenten frühzeitig erkannt werden kann. Das Testsystem besteht aus verschiedenen menschlichen Zellen (1). Mit diesem System konnten die Forscher eine Arzneimittelnebenwirkung in Form eines Gallenstaus feststellen, die bei Studien mit Ratten und Hunden nicht entdeckt worden war. Zudem haben Forscher des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) die Rolle eines bislang noch nicht erforschten Immunzelltyps, die Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen), bei einer Leberschädigung durch Medikamente untersucht. Sie fanden in vitro heraus, dass die NK-Zellen den Verlauf einer toxikologischen Leberschädigung beeinflussen und betroffene Leberzellen direkt töten. Hier steckt die Forschung jedoch noch in den Anfängen.

Humanes Darm- und Herz-Modell
Ebenfalls effektiv für die Testung von Medikamenten ist das menschliche Darmmikrogewebe des US-Unternehmens MatTek™. Dieses Modell kann eine Medikamenten-Komplikation (Durchfall) zuverlässiger vorhersagen als Tierversuche mit Ratten und Hunden. Ein weiteres vielversprechendes Computer-Modell ist das „Living Heart“-Projekt der Universität Hohenheim. Mit diesem können die Auswirkungen von Arzneimitteln auf die Herzfunktion tierfrei simuliert werden.

Foto: Pixabay

Sicherheitsprüfungen – es bewegt sich etwas
Noch gibt es sie, die Richtlinie über die 12-Monatsstudie mit Hunden. Allerdings ist sie nach der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht mehr vorgeschrieben. Ein Erfolg, der auf die jahrelange Überzeugungsarbeit von Tierschutzorganisationen und Wissenschaftlern zurückgeht. In einer Richtlinie der International Conference on Harmonization (ICH), die bereits im Jahr 1998 verabschiedet wurde, hatte sich eine Experten-Arbeitsgruppe der drei Regulationsbehörden der EU, der USA und Japans darauf geeinigt, dass Studien von 12-monatiger Dauer gegenüber einer 9-monatigen Testdauer keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen. Dennoch können die 12-Monatsstudien mit Hunden in manchen Ländern weiterhin gefordert werden. Der Grund: Die betreffenden Regularien sind weltweit noch nicht harmonisiert. Während die Regulationsbehörden der Entwicklung hinterherhinken, sind die Wissenschaftler schon viel weiter: Durch in-vitro-Methoden in Kombination mit Datenbanken, epidemiologischen Informationen sowie in-silico-Methoden können beispielsweise Herzgiftigkeitstests schon jetzt mit einer abgestuften Teststrategie beendet werden.

USA und die Niederlande gehen voran
Schon 2009 förderten die USA mit dem Programm Toxicology in the 21st Century (Tox21c) Giftigkeitsprüfungen ohne den Einsatz von lebenden Tieren. 2016 folgten die Niederlande mit dem erwähnten Ausstiegsplan des Nationalen Komitees zum Schutz von Versuchstieren (NCad). Dies verfolgen auch die USA: Statt Tests an Tieren sollen abgestufte Teststrategien mit computergestützter Toxikologie und in-vitro-Studien durchgeführt werden. Mit seiner neuen gemeinsamen Ausstiegskampagne „Ausstieg aus dem Tierversuch. Jetzt!“ setzt sich der Bundesverband dafür ein, dass Deutschland endlich diesen positiven Beispielen folgt.

(1) Das Testsystem besteht aus Leberzellen, Endothel- und Kupffer-Zellen (Abwehrzellen) sowie Sternzellen, die bei Reparaturarbeiten des Gewebes aktiv werden.

Weitere Informationen zum Versuchstier des Jahres 2020 lesen Sie in der ausführlichen Broschüre, die wir Ihnen als PDF zum kostenlosen Download anbieten.

Der Bundesverband dankt der Schweizer Tierärztin und Juristin Dr. Julika Fitzi für die Übernahme der diesjährigen Schirmherrschaft. Lesen Sie hier ihr Grußwort.