Massive Defizite beim Vollzug von Tierschutzvergehen gibt es nicht nur im Bereich der industriellen Tierhaltung. Auch bei der Durchführung von Tierversuchen kommt es zu gravierenden Tierschutzverstößen. Wir berichten von Fällen aus der jüngeren Vergangenheit.
Der neueste Fall ist vom 16. Januar 2019: An diesem Tag stellte der Verein Ärzte gegen Tierversuche Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) wegen Tierquälerei und Durchführung illegaler Tierversuche. Den Forschern wird vorgeworfen Tierversuche an mindestens 76 Mäusen ohne Genehmigung durchgeführt zu haben. Den Tieren wurden Tumorzellen implantiert, an denen sie innerhalb von 36 bis 50 Tagen starben. Mindestens 6 Mäuse sind laut eigenen Angaben des DKFZ vier Tage zu spät getötet worden, d.h. sie wurden „länger anhaltenden erheblichen Schmerzen und Leiden“ ausgesetzt. Die EU stuft solche Versuche mit dem schwersten Schweregrad „schwer“ ein. Es kann sogar davon ausgegangen werden, dass es sich sogar um „schwerstbelastende“ Tierversuche handelt, die nur vorläufig genehmigt werden dürfen und bei denen das Bundeslandwirtschaftsministerium und die EU hätten unterrichtet werden müssen. Dies ist nicht geschehen. Dies ist nach dem Tierschutzgesetz eine Straftat, die mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu 3 Jahren geahndet werden kann. Es bleibt abzuwarten, wie die Staatsanwaltschaft entscheidet. Erfahrungsgemäß kommen Forscher – auch nach schweren Tierschutzvergehen – mit Auflagen oder Geldbußen davon.
Tübinger Affenversuche: Ermittlungsverfahren eingestellt
Ein weiterer aktueller Fall sind die Affenversuche in Tübringen. Kurz vor Weihnachten 2018 wurde bekanntgegeben, dass das Ermittlungsverfahren Affenversuche eingestellt werden soll. Im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik wurden über Jahre schwer belastende Affenversuche in der Hirnforschung durchgeführt. Durch Undercover-Filmaufnahmen im Auftrag zweier Tierschutzorganisationen konnte 2015 unter anderem belegt werden, dass festgelegte Kriterien zur Einschläferung ignoriert und Versuche zu spät beendet wurden. Das Tierschutzgesetz sieht für Tiermisshandlung durch Unterlassen Geldstrafen und bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. In der Folge wurden drei verantwortliche Mitarbeiter zu Geldstrafen verurteilt. Die Max-Planck-Gesellschaft entschied zudem, dass der Bereichsleiter Prof. Nikos Logothetis bis zum Abschluss des Verfahrens keine Tierversuche durchführen oder anleiten dürfte. Aufgrund des öffentlichen Drucks stellte das Institut seine Affenversuche ein. Zunächst schien dies ein Erfolg für die Tierschutzseite zu sein. Doch es kam anders.
Gutachten: „Es liegen keine Misshandlungen vor“
Der Gerichtsprozess sollte am 7. Januar 2019 beginnen. Allerdings wurde das Verfahren gegen die Mitarbeiter am 20. Dezember 2018 vorläufig eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Tübingen kam wegen eines Gutachtens der Verteidigung zu dem Schluss, dass keine Misshandlungen vorlagen. Am 12 Januar 2019 teilte das Max-Planck-Institut mit, dass Prof. Nikos Logothetis in Zukunft wieder Tierversuche durchführen darf. Damit reiht sich Tübingen in die Liste der Fälle, in denen Forscher nach schweren Tierschutzvergehen mit Auflagen oder Geldbußen davonkommen. Die meisten dürfen noch immer Tierversuche durchführen. Der Bundesverband forderte die Veröffentlichung des Gutachtens und die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Münster: Illegale Tierversuche „ordnungswidrig“
Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die illegalen Tierversuche an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Im Juni 2017 wurde durch einen anonymen Hinweis bekannt, dass im Keller der Hautklinik heimlich 77 transgene Mäuse gehalten wurden. Die Tiere sollten oder wurden in Versuchen eingesetzt. Die hinzugezogenen Amtsveterinäre stellten fest, dass sechs Tiere erheblich litten und ordneten deren Tötung an. Das Veterinäramt erstattete Anzeige. Im darauffolgenden Verfahren wurde festgestellt, dass sowohl die Haltung als auch die Experimente an den Tieren rechtswidrig waren. Doch statt die Tierquälerei als Straftat zu verfolgen, wurde sie nur als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Immerhin untersagte die Stadt Münster der verantwortlichen Wissenschaftlerin das Halten und Betreuen von Tieren für die Durchführung von Tierversuchen. Doch die betroffene Forscherin setzte sich dagegen zur Wehr. Das Ergebnis: Ende August 2018 wurde das Verbot vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen ausgesetzt. Die Begründung: Der Vorwurf die Forscherin habe die Mäuse nicht rechtzeitig getötet sei nicht haltbar außerdem sei von einem zukünftigen Fehlverhalten nicht auszugehen. Der Sachverhalt wird derzeit in einem Hauptverfahren geklärt.
Jena: 13.000 Mäuse unnötig getötet
Für negative Schlagzeilen sorgte 2016 auch das Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena. Institutsmitarbeitern wurde vorgeworfen, rund 13.000 Mäuse aus Platzgründen getötet zu haben. Hinzu kamen Fehler bei Tierversuchsanträgen, nicht korrekte Dokumentationen sowie zu hohe Zucht- und Versuchstierzahlen. Obwohl die Ermittlungen noch laufen, wurden die Hälfte der gestoppten Versuchsreihen nach einem Jahr wieder aufgenommen und weitere Versuchsanträge bewilligt. Bisherige Konsequenzen: Die Leiterin des Tierhauses wurde ausgewechselt und der wissenschaftliche Direktor wurde wegen grob fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gerügt.
Bad Nauheim: Jahrelange grausame Experimente
Zu gravierenden Tierschutzverstößen kam es auch am Franz-Groedel-Institut in Bad Nauheim. Auch dort hatten Wissenschaftler seit 2006 über Jahre hinweg besonders schmerzhafte Tierversuche an Mäusen und Schweinen durchgeführt, obwohl diese von den Behörden explizit untersagt worden waren. Die Genehmigungsbehörde in Darmstadt sammelte nach Hinweisen eines Whistleblowers über zwei Jahre lang Beweise gegen die Forscher. Trotzdem beendete die Staatsanwaltschaft Gießen das Verfahren Ende 2014 gegen eine Geldstrafe von 72.000 Euro. Die Täter wurden nicht verurteilt und sind weiterhin in der Forschung tätig.
Hamburg Mienenbüttel: Skandale im LPT-Labor
Knapp zwei Jahre nach den Enthüllungen der Zustände in dem LPT-Tierversuchslabor bei Hamburg hat das Amtsgericht im niedersächsischen Tostedt Ende Mai 2022 ein erstes Urteil wegen Tierquälerei gefällt. Videoaufnahmen belegen, dass ein Tierpfleger einen Affen mit einer Metallstange derart bedrohte, dass das Tier zitterte. Außerdem erschreckte er die Tiere durch Schläge gegen einen Türrahmen. Der ehemalige LPT-Mitarbeiter wurde zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Er wird trotz der Verurteilung weiter mit Tieren arbeiten können. Das Verfahren gegen den damaligen Chef des Labors (Herr L.) wurde kurzerhand gänzlich eingestellt. Die Begründung: „Zu alt, nicht vorbestraft, hat unter Tierfreunden hart gelitten“.
Die Nachfolgefirma muss 75.000€ Strafe zahlen, Herr L. kommt straflos davon.
Angesichts der Tatsache, dass in dem Auftragslabor die Misshandlung von Affen, Hunden und Katzen an der Tagesordnung war, ist dies ein schwaches Signal und ein weiterer Beleg, dass der Rechtsstaat die Tiere nicht ausreichend schützt.
Wichtig: Spezialisierung von Staatsanwaltschaften und Richtern
Nach Ansicht des Bundesverbandes untergraben diese laschen Strafen bei schweren Tierschutzvergehen geltendes Tierschutzrecht und offenbaren ein gravierendes Vollzugsdefizit. Dies zeigt, wie wichtig es wäre, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Tierschutz einzuführen. Zumindest müssten einzelne Staatsanwälte pro Anwaltschaft sowie Richter auf den Bereich Tierschutz spezialisiert sein. Denn um rechtswidrige Haltung sowie Schmerzen, Schäden und Leiden der Tiere einstufen zu können, sind Spezialkenntnisse notwendig.
Nötig: Aufstockung und Spezialisierung der Behörden
Hinzu kommt, dass fast alle Verstöße in den Laboren nur durch Whistleblower bekannt wurden. Dies zeigt, dass die Aufsichtsbehörden auf solche Hinweise angewiesen sind, um überhaupt von Tierquälereien zu erfahren. Es ist davon auszugehen, dass die Beispiel-Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Die meisten Tierschutzverstöße in Laboren werden höchstwahrscheinlich nie bekannt. Unrechtmäßige Versuche könnten von Genehmigungsbehörden und Veterinärämtern frühzeitig entdeckt werden, wenn diese mehr Personal hätten. Wichtig wären zudem engmaschigere und vor allem unangekündigte Kontrollen.
4-Punkte-Plan: Tierschutzrecht überarbeiten und Vollzug gewährleisten
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte hat jüngst einen Plan vorgelegt, der detailliert aufzeigt, was passieren muss, damit Tiere zuverlässig geschützt werden. Zum einen müssen Bundes- und Landesregierungen optimale Arbeitsvoraussetzungen für Amtstierärzte, Staatsanwälte und Richter schaffen. Zudem müssen die Schwachstellen im Vollzugs- und Rechtssystem geschlossen werden. Dazu gehört auch die Überarbeitung des Tierschutzrechts. Statt schwammigen Formulierungen und unbestimmten Rechtbegriffen, muss es konkret und gerichtsfest sein.