Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Tobias Gaugler forscht an der Technischen Hochschule Nürnberg zum True Cost Accounting von Lebensmitteln, einer neuen Methode zur Ermittlung der tatsächlichen Kosten. Im Interview berichtet er, warum konventionell hergestellte tierische Nahrungsmittel zu den höchsten externen Folgekosten führen, dass Verbote der falsche Ansatz sind und welche Maßnahmen nötig wären.
Herr Professor Gaugler, der Grillfleisch Check hat ergeben, dass Grillfleisch derzeit für 10 Euro je Kilo angeboten wird, während pflanzliche Alternativen durchschnittlich 11,64 Euro das Kilo kosten. Wie kann das sein?
Konventionell erzeugtes Schweinefleisch kann nur deswegen so billig angeboten werden, weil Schäden und Folgekosten nicht an der Ladenkasse bezahlt werden. Möglich ist dies nur auf Kosten von Tieren, Umwelt und der menschlichen Gesundheit. Würde man diese externen Effekte miteinrechnen, müssten tierische Lebensmittel deutlich teurer sein.
Könnten Sie konkretisieren, wie sich tierische Produkte verteuern würden, wenn man die Folgekosten miteinbezieht?
Wir haben 2020 im Auftrag der zu REWE gehörenden Penny-Märkte die externen Kosten handelsüblicher Lebensmittel ausgerechnet. Das Ergebnis war, dass die Produktion konventionell hergestellter tierischer Nahrungsmittel zu den höchsten externen Folgekosten führt. Für den Endkunden müssten Fleischwaren danach 173 Prozent, also knapp dreimal so teuer sein. Direkt danach folgen mit 122 Prozent konventionell hergestellte Milchprodukte.
Welche Nahrungsmittel haben auf der anderen Seite die beste Bilanz?
Die niedrigsten Folgekosten haben Bio-Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs. Da kommen alle Studien zu ähnlichen Ergebnissen. Ein konventionell produzierter Apfel müsste inklusive der Folgekosten etwa 8 Prozent teurer sein, Kartoffeln und Tomaten 12 Prozent. Bei Produkten aus biologischem Anbau sind die prozentualen Preisaufschläge – verglichen mit konventioneller Herstellung – in etwa halb so groß. Kurz gesagt: bio ist besser als konventionell und pflanzlich besser weit besser als tierisch.
Welche Treiber sind besonders schädlich?
Die aktuelle Form der Nutztierhaltung ist weder ethisch noch von den Folgekosten her zu verantworten. Schon allein die Klimaeffekte durch die Freisetzung von Treibhausgasen sind gewaltig. Aber es gibt noch andere Treiber wie Futtermittelanbau, Pestizide, Energieaufwand oder die Folgen der Stickstoff-Austragungen. Hinzu kommen die Schäden für Biodiversität, Tierwohl, menschliche Gesundheit oder die Abholzung des Regenwaldes.
Dann kommt es beim Preis darauf an, welche Treiber Sie einrechnen?
Ja genau, es kommt immer darauf an, welche Indikatoren man wählt. Je mehr wir einbeziehen, umso höher wird der Preisaufschlag. Allerdings ist es methodisch nicht möglich, alle externen Effekte realistisch zu quantifizieren. Wir haben bei unserer Berechnung beispielsweise die Auswirkungen von Antibiotikaresistenzen oder des Einsatzes von Pestiziden nicht berücksichtigt. Es reicht aber schon, ein paar dieser Treiber zu betrachten, um zu verdeutlichen, dass die aktuellen Preise völlig verzerrt sind.
Kommen Sie beim True Cost Accounting nicht schnell an die Grenzen der Quantifizierung. Was kostet zum Beispiel das Aussterben einer Art?
Wir stehen hier vor dem Problem, dass es methodisch nicht möglich ist, solche Folgekosten realistisch zu erfassen. Wir können uns nur die einzelnen Treiber vornehmen und uns Stück für Stück annähern. Aber darum geht es auch gar nicht. Das Problem ist doch, dass der Preis für die Folgekosten aktuell gleich null ist.
Was wären die richtigen Instrumente, um unsere schädlichen Konsummuster zu verändern?
Ich denke, dass ein ganzes Bündel von Maßnahmen nötig ist. Der entscheidende Hebel ist jedoch aus meiner Sicht die Preiswahrheit. Denn grundsätzlich handelt es sich hier um eine Form von Marktversagen, dem mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Nicht nur bei den Konsument:innen sondern auch innerhalb der Kette, also auch zwischen den Unternehmen. Das würde allerdings voraussetzen, dass die Politik ihre Aufgabe erledigt und dafür sorgt, dass Produkte verursachergerecht bepreist werden. Diese Preiswahrheit würde schnell zu Konsumveränderungen führen. Pflanzenmilch beispielsweise ist bezüglich Produktion und Inhaltsstoffen wesentlich günstiger herzustellen als Tiermilch. Ein mediterranes Essen zu produzieren, ist wesentlich billiger als ein teures Stück Fleisch.
Auf der einen Seite haben wir einen enormen Handlungsdruck, auf der anderen lassen sich Menschen nicht gerne vorschreiben, was sie essen sollen…
Deswegen sind Verbote der falsche Ansatz. Sie sind von der Bevölkerung nicht gewollt und politisch nicht durchsetzbar. Wir müssen die Preise so wahr und fair setzen, dass sie der Kostenwahrheit entsprechen und nicht zu Lasten anderer billig gehalten werden. Das geht nur über den Preis. Dazu müssen wir den Menschen die Wahrheit sagen, dass es so nicht weitergehen kann.
Gibt es Vorbilder, wie wahre Preise sozial-gerecht umgesetzt werden könnten?
Eine Möglichkeit wäre die Einführung einer Klimadividende für alle Produkte. Das ist eine sehr effiziente Umverteilungs-Methode, die diejenigen belohnt, die unterdurchschnittlich viel CO₂ verbrauchen. Dabei wird das CO₂, das bei der Produktion eines Gutes entstanden ist, konsequent eingepreist. Über das geplante CO₂-Grenzausgleichssystem würden auch Importe erfasst. So entsteht ein Preis, den alle bezahlen müssen. Die Wohlhabenden, die eher große Häuser haben, Fernreisen machen und ins Steakhouse gehen, hätten einen entsprechend großen CO₂-Fußabdruck und würden entsprechend mehr zahlen. Die Mehreinnahmen würden aufkommensneutral in gleichen Teilen an die Bürger zurückgegeben. Ich gehe davon aus, dass 75 Prozent der Bürger durch diesen Mechanismus mehr Geld in der Tasche hätten. Dies würde auch die soziale Frage lösen. Und es wäre auch kein Konsumverzicht, denn es kann sich jeder überlegen, ob er oder sie zu einem doppelt so teuren Steak greift oder lieber zu einem deutlich günstigeren pflanzlichen Produkt.
Sie sprachen von einem Bündel von Maßnahmen…
Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die Außerhausverpflegung. Vielen Kantinen gelingt es schon heute, vollwertige pflanzliche Gerichte gut zu vermarkten. Nicht, indem sie sie als vegetarisch bezeichnen, sondern indem sie als gesunde und günstige mediterrane Alternative angeboten werden. Außerdem müssten wir beim Marketing ansetzen. Es kann nicht sein, dass auf den Verpackungen noch immer eine Kuh auf der Wiese abgebildet ist, obwohl die Tiere nie eine Weide gesehen haben. Entscheidend ist auch die Bildung: Eine gesunde und nachhaltige Ernährung muss auf den Stundenplan und in die Kitas.
Doch wie schaffen wir das Bewusstsein für diese notwendigen Veränderungen?
Das könnte gelingen über die Änderung gesellschaftlicher Konventionen. Dabei hilft beispielsweise, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre Konsumempfehlungen für die Menge tierischer Produkte deutlich reduziert. Doch das allein reicht nicht. Damit erreichen wir gebildete, gutverdienende Frauen in den Städten. Doch was ist mit älteren Männern auf dem Land? Dort hält sich der Irrglaube vom Stück Fleisch, das vermeintlich ein Stück Lebenskraft ist, am hartnäckigsten. Hier könnten gezielte Aufklärungskampagnen helfen.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich dafür ausgesprochen, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu streichen. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Die Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte abzuschaffen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig sollte jedoch auch die Mehrwertsteuer für Fleisch und Co. erhöht werden. Mit den Mehreinnahmen könnten höhere Tierhaltungsstandards und die Erzeugung pflanzlicher Nahrungsmittel gefördert werden. Allerdings ist die Mehrwertsteuer dazu nicht gedacht. Hinzukommt, dass die Bundesregierung Steuererhöhungen ausgeschlossen hat.
Sehen Sie bei der Bundesregierung sonst sinnvolle Ansätze?
Ja, die kürzlich beschlossene Tierwohlkennzeichnung beispielsweise. Doch es geht trotzdem viel zu langsam. Die Niederlande sind bei der Klimagesetzgebung wesentlich weiter. Dort werden Prämien zur Abstockung der Tierbestände gezahlt. Das bräuchten wir auch in Deutschland. Nötig wären Anschubfinanzierungen und gezielte Programme für die Transformation, die für die Landwirtinnen und Landwirte attraktiv sind und Planungssicherheit geben.
Welche Rolle spielt die aktuelle Subventionspolitik?
Eine sehr große! Die Politik darf nicht weiter fördern, dass wir auf Kosten der künftigen Generationen leben. Wir sehen das am Beispiel Billigflüge: Es ist grotesk, dass wir diese klimaschädliche Mobilität subventionieren, indem wir das Kerosin nicht besteuern. Deswegen müssen wir auch an die Agrarsubventionen ran: Mit ihnen könnten wir steuern, dass die Landwirte mehr nachhaltige Produkte produzieren.
Glauben Sie daran, dass wir den Wandel schaffen können?
Wann wir wahre Preise haben, werden sich nach der ökonomischen Logik die günstigeren pflanzlichen Lebensmittel gegen die teuren tierischen Produkte durchsetzen. Aktuell ist es umgekehrt. Pflanzliche Produktalternativen sind meist teurer, weil sie einen geringeren Marktanteil haben. Dies würde sich durch eine realistische Preisgestaltung umdrehen und pflanzliche Alternativen durch Größen- und Verbundvorteile günstiger machen. Das in Verbindung mit einem Bewusstseinswandel und einer positiven Kommunikation könnte ein Weg sein – zusammen mit Landwirten und Lebensmittelkonzernen.
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