Margrits Kolumne

Margrits Kolumne: Ein Esel ist kein kleines Pferd

„Etwas Besseres als den Tod findest du überall“. Diesen Satz spricht der Esel in „Grimms Märchen – Die Bremer Stadtmusikanten“. Das Denkmal steht auf dem Bremer Marktplatz, das vor 5000 Jahren domestizierte Haustier trägt Hund, Katze und Hahn aus Bronze auf dem Rücken.

Diese leichte Fracht entspricht jedoch nicht der Wirklichkeit. Ein Esel ist kein kleines Pferd, und so werden die grauen Langohren oft bis zum Zusammenbrechen überladen. Obgleich er nur bis zu 20 Prozent seines Eigengewichts tragen dürfte, lassen sich Touristen mit mehr als 100 kg von ihm bergan tragen. Dabei werden Rücken und Gelenke geschädigt, provisorische Sattelgurte aus Plastikschläuchen scheuern blutige Wunden.

Die Inselgruppe Santorini in Griechenland ist ein bekanntes Beispiel. Vom malerischen Hafen, der bevorzugt von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wird, führt eine „Esel-Treppe“ mit 587 Stufen, die sehr ungleichmäßig sind, hinauf bis zum Kraterrand. Dabei ist ein Höhenunterschied von mehr als 220 Metern zu überwinden. Ohne Pause geht es bergauf und bergab, auch nachts müssen die Esel arbeiten. Dann tragen sie schwere Müllsäcke aus dem Hafen und der Altstadt zur Entsorgung. Und das ein Eselleben lang, das normalerweise 40-45 Jahre beträgt – allerdings nur bei guter Haltung.

Außer der Möglichkeit, zu Fuß zu gehen, gibt es noch eine schnellere: Die Seilbahn. Sie überwindet die 220 Höhenmeter in drei Minuten, die einfache Fahrt kostet 4,- Euro. Der Esel, der schon vor mehr als 2.000 Jahren Maria zur Volkszählung nach Bethlehem getragen hat, ist ein Beispiel an Geduld und keineswegs störrisch. Wenn er etwas sieht, was ihm Angst macht, bleibt er wie angewurzelt stehen. Wenn er seinen Partner verliert, trauert er. Wenn er 587 Stufen hochgehen soll, tut er es. Er ist und bleibt ein Esel.

© 1. August 2023 Margrit Vollertsen-Diewerge