Am 16. Juni 2023 hat der Bundestag für das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gestimmt. Menschen für Tierrechte und andere Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen hatten zuvor dazu aufgerufen, die Haltungskennzeichnung nicht in dieser Form zu beschließen – vergeblich. Die Kennzeichnung, die schon in ihrer ursprünglichen Fassung von Tierschutzseite geschlossen abgelehnt wurde, war nach Verhandlungen innerhalb der Ampel nochmals verschlechtert worden. In dieser Form wird die Kennzeichnung nicht die gewünschte Lenkungswirkung hin zu einer besseren Tierhaltung bewirken. Im Gegenteil: Eine Kennzeichnung, die Tierleid weiterhin festschreibt und teilweise sogar auszeichnet, nützt lediglich der Fleischindustrie. Denn sie macht sogar schlechte Tierhaltung förderungsfähig. Statt das System der Tierausbeutung zu zementieren, brauchen wir endlich eine echte Ernährungswende weg von der Tierhaltung.
Besonders problematisch sind die untersten Haltungsformen „Stall“ und „Stall+Platz“.
Die schon im Vorentwurf völlig unzureichenden Vorgaben für die zweite Stufe „Stall+Platz“ wurden im aktuellen Entwurf nochmals zu Lasten der Tiere verschlechtert. Statt 20 Prozent mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard (konventionelle Massentierhaltung), soll den Schweinen jetzt nur noch 12,5 Prozent mehr Platz zugestanden werden – ein Etikettenschwindel, der diese tierquälerische Haltungsform salonfähig macht. Denn die neutrale Benennung „Stall+Platz“ suggeriert, dass den Tieren erheblich mehr Platz zur Verfügung steht. Dabei leben sie nach wie vor in einer engen Mastanlage. Spaltenböden, Kastenstände, Amputationen und tierquälerische Betäubungsmethoden sind noch immer zulässig. Ein Auslaufen der untersten beiden Stufen ist nicht vorgesehen.
Außenklimaeinfluss reicht nicht
Auch die Vorgaben bei der Haltungsform „Frischluftstall“ sind noch verschlechtert worden. Während es den Schweinen vorher möglich gewesen wäre, durch eine geöffnete Stallseite Zugang zu Außenklima zu haben, muss nun nur noch sogenannter Außenklimaeinfluss im Stall herrschen. Von echtem Zugang nach draußen keine Spur.
Hofgang statt Weide
Die Umbenennung der ursprünglich geplanten Haltungsform „Auslauf/Freiland“ in „Auslauf/Weide“ suggeriert, dass die Schweine tatsächlich Zugang zu einer Weide haben. Dabei reicht es nach den Vorgaben, wenn ihnen lediglich ein kleiner betonierter Auslauf zur Verfügung steht. Die kleinen Verbesserungen, dass beispielsweise Raufutter in allen Stufen und Einstreu in der Stufe „Auslauf/Weide“ vorgeschrieben sein sollen, können diese Verschlechterungen nicht aufwiegen.
Kennzeichnung legitimiert schlechte Haltungsbedingungen
In dieser Form wird die Kennzeichnung nicht die gewünschte Lenkungswirkung hin zu einer besseren Tierhaltung bewirken. Im Gegenteil: Eine Kennzeichnung, die Tierleid weiterhin festschreibt, teilweise sogar auszeichnet, nützt lediglich der Fleischindustrie. Denn sie wertet Fleisch aus schlechten Tierhaltungsbedingungen auf. Statt mehr Transparenz zu schaffen, gaukelt sie den Konsument:innen vor, ein tierfreundliches Produkt zu kaufen. Dies zementiert und legitimiert das herrschende System der Tierausbeutung.
Nicht erfasst: Bedingungen bei Aufzucht, Transport und Schlachtung
Erschwerend kommt hinzu, dass die Kennzeichnung nicht einmal alle Aspekte der Tierhaltung erfasst. Anders als im Koalitionsvertrag angekündigt, werden – außer bei der höchsten Stufe – nur die Haltungsstandards in der Mast erfasst, die Bedingungen bei Aufzucht, Transport und Schlachtung fließen in die Kennzeichnung nicht ein. Dabei kommt es auch in diesen Bereichen zu massiven Tierschutzverstößen. Außerdem soll zunächst nur das Frischfleisch von Schweinen gekennzeichnet werden, d.h. es wird nur ein Drittel des Fleisches von nur einer Tierart überhaupt von der Kennzeichnung erfasst.
Schlechte Tierhaltung könnte gefördert werden
Und es kommt noch schlimmer: Weil finanzielle Förderungen und privilegierte Baugenehmigungen auf den im Tierhaltungskennzeichnungsgesetz festgelegten Haltungsformen basierten, könnte sich dies negativ auf den gesamten Prozess des Umbaus der Tierhaltung auswirken, weil es schlechte Haltungsvorgaben förderungsfähig macht. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz wird voraussichtlich nach der 2. und 3. Lesung im Juni 2023 beschlossen.
Nötig: Echte Maßnahmen für eine Agrar- und Ernährungswende
Statt die industrielle Tierhaltung weiter zu legitimieren und zu zementieren, brauchen wir eine echte Agrar- und Ernährungswende weg von der Tierhaltung, hin zu pflanzlichen Eiweißträgern. Um der Politik konkrete Maßnahmen an die Hand zu geben, hat der Bundesverband Menschen für Tierrechte zehn Forderungen für eine Agrar- und Ernährungswende veröffentlicht. Darin fordert er neben einer breit angelegten Informations- und Bildungskampagne für eine pflanzenbasierte Ernährung eine Abschaffung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Nahrungsmittel sowie eine zusätzliche Abgabe für tierische Produkte. Außerdem setzt sich der Verband für eine drastische Reduzierung des Fleischkonsums und der Tierbestände, sowie für Ausstiegsprämien für Landwirt:innen ein, die aus der Tierhaltung aussteigen.
Hier können Sie sich die 10-seitige Broschüre mit den Forderungen für eine Agrar- und Ernährungswende als PDF herunterladen.