Die Wissenschaftlerin Florentine Zieglowski studierte Strategische Innovation und Nachhaltige Entwicklung in Maastricht. Hier traf sie auf das Kulturfleisch-Unternehmen Mosa Meat und schrieb ihre Masterarbeit über dezentrale Kulturfleischproduktion. Heute arbeitet sie sowohl für „Cellular Agriculture Germany“ (CellAg Deutschland e.V.) als auch für RESPECTfarms. CellAg Deutschland vertritt die Beschleunigung der Transformation der Landwirtschaft in Deutschland – hin zu zellulärer Landwirtschaft. RESPECTfarms forscht derzeit an Machbarkeitsstudien zur Produktion von kultiviertem Fleisch auf konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben. Das Team will Landwirt:innen dabei unterstützen, Teil der „größten Transformation unserer Zeit“ zu sein, um von den Vorteilen von kultiviertem Fleisch zu profitieren. Doch bisher fehlt es an ausreichender Unterstützung durch die Politik.
Frau Zieglowski, gefühlt läuft die Entwicklung von zellulärem Fleisch aktuell im Zeitraffertempo. Wie weit ist der Stand in Deutschland?
In Ländern wie den USA, Israel oder Singapur passiert relativ viel, denn hier wurde erkannt, dass kultiviertes Fleisch in Zukunft eine zentrale Rolle bei der Deckung des Proteinbedarfs spielen wird. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zelluläre Landwirtschaft in Deutschland noch zurückhaltend behandelt wird. Zudem wird zelluläre Landwirtschaft auf europäischer Ebene reguliert, was in einem einer Staatenvereinigung generell die Komplexität erhöht im Vergleich zu Ländern, die separat agieren. Für die Umsetzung einer Transformation, die auch dezentrale Produktion mit einbezieht, bräuchte es aktive politische Unterstützung und Förderung.
Was tun Sie, damit die Kulturfleischproduktion in Deutschland vorankommt?
Neben meiner aktiven politischen Arbeit bei CellAg Deutschland zum Aufbau eines Ökosystems in Deutschland führen wir momentan als RESPECTfarms Machbarkeitsstudien durch, die zeigen sollen, wie die Produktion von Kulturfleisch auf konventionellen Betrieben funktionieren könnte. Wir hoffen, dass die Ergebnisse uns dabei helfen, landwirtschaftlichen Betrieben ein neues beziehungsweise erweitertes Geschäftsmodell zu bieten sowie das Thema der Politik und Öffentlichkeit näher zu bringen. Das wäre nicht nur ein großer Schritt gegen die intensive Massentierhaltung, sondern auch eine Zukunftsperspektive für eine nachhaltige Landwirtschaft, also eine Landwirtschaft, die sowohl ökonomisch, ökologisch als auch sozial zukunftsfähig ist – und nicht nur in einer der Kategorien.
Sie sagten, die Niederländer wären schon viel weiter. An was wird dort geforscht?
In den Niederlanden fördert die Regierung derzeit ein großes Projekt für öffentlich zugängliche Forschung mit 60 Mio. Euro1. Im Rahmen des Projektes bauen die Niederländer ein Ökosystem allein für die zelluläre Landwirtschaft auf, das sowohl Präzisionsfermentation als auch kultiviertes Fleisch einbezieht. Das Funding fokussiert sich auf kritische Forschungspunkte für die Entwicklung des Innovationsstandorts Niederlande: Bildung, Forschung, und „Upscaling“. Es wird damit für die Niederlande ein immenser wirtschaftlicher Schub anvisiert, der im Jahr 2050 pro Jahr zwischen 1,25 bis 2 Mrd. Euro an zusätzlicher Ertragskraft erzeugen sowie immense CO2– und Ammoniak Einsparung erwirken soll2.
In Deutschland gibt es bisher ein paar kleinere Fördergelder, wie beispielsweise das Programm zur Innovationsförderung. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um bei der weltweiten Entwicklung nicht den Anschluss zu verlieren.
Bis kultiviertes Fleisch preislich mit herkömmlichem Fleisch konkurrieren kann, wird es aber noch lange dauern, weil dafür teure Technologien nötig sind und die Kapazitäten nicht ausreichen. Wäre ein Umstieg für die Landwirt:innen zum jetzigen Zeitpunkt nicht ein großes Risiko?
Das stimmt im Moment noch. Die Antworten auf die Fragen der Landwirt:innen sind daher auch Teil der Studien. Auf der anderen Seite denken Landwirt:innen in Zeiträumen von 20 Jahren und wie alle Unternehmer:innen müssen auch sie frühzeitig auf neue Entwicklungen reagieren. Wir arbeiten mit einem Landwirt zusammen, der unbedingt der erste „zelluläre Landwirt“ weltweit werden möchte. Er arbeitet aktiv mit an unserer Forschung und kann so die Zukunft der Landwirtschaft mitgestalten. Auch in Deutschland haben wir schon mit vielen Interessierten gesprochen und freuen uns über weitere Interessierte, die mitmachen wollen.
Wie kann man sich die Produktion von zellulärem Fleisch vorstellen? Wie so eine Art „Fleischbrauerei“?
Mit einem geeigneten Bioreaktor könnte es so ähnlich aussehen. Grundsätzlich ist auf den Höfen vieles bereits vorhanden, was für die Produktion von Kulturfleisch benötigt wird: Platz für die eigentliche Anlage sowie für Überwachung und Verpackungsbereich und für die nötige regenerative Energie. Die Landwirt:innen liefern die nötigen tierischen Zellen, sowie das Getreide, das zum „Füttern“ der Zellen im Reaktor gebraucht wird. Wenn der Erntegrad erreicht ist, wird das Kulturfleisch geerntet, verpackt und ausgeliefert. Die Idee ist, dass Landwirt:innen damit mehr Fleisch mit deutlich weniger Tieren erzeugen können. Unser Ansatz ist, dass die Landwirt:innen nur noch ein paar Kühe, Schweine – oder welches Tier auch immer – gut halten. Von diesen Tieren werden dann die Biopsien entnommen.
Aber ist der Betrieb eines Bioreaktors technisch nicht hochkompliziert?
Das System muss praktikabel sein, das ist klar. Wir können von den Landwirt:innen nicht erwarten, dass sie auch noch Biotechnologie studieren. Dazu brauchen wir eine einsatzbereite Komplettlösung, die individuell an den Betrieb angepasst wird und bei der Landwirt:innen Fleischproduzenten bleiben. An dieser Lösung arbeiten wir.
Die Produktion von Kulturfleisch ist aufwendig und kostenintensiv. Wir als Tierrechtsorganisation empfehlen den Landwirt:innen den Umstieg auf den Anbau von pflanzlichen Proteinen. Wäre es nicht besser, wenn wir uns von tierischen Nahrungsmitteln komplett verabschieden?
Ich glaube nicht an die eine Lösung und wir können weltweit sehen, dass pflanzenbasierte Produkte allein es nicht geschafft haben, eine Proteinwende anzutreiben. Wir wollen nicht mit pflanzenbasierten Produkten konkurrieren. Wir wollen stattdessen eine weitere Route in der Transformation unseres Lebensmittelsystems schaffen, die die anspricht, die weiter tierische Produkte konsumieren wollen. Das schafft mehr Vielfalt auf dem Markt. Auch die Produkte werden vielfältig sein. Pflanzenbasiert und kultiviert können sich sogar gegenseitig unterstützen. Derzeit handelt es sich bei vielen Kulturfleischprodukten um hybride Produkte, bei denen beispielsweise eine pflanzliche Basis mit kultiviertem tierischem Fett als Geschmacksträger angereichert wird. In Singapur wird ein solches Produkt bereits kommerziell verkauft: kultiviertes Hühnchen.
Ein ethischer Problembereich sind noch die Biopsien und die Lösung, in denen die Zellen kultiviert werden. Die Zellentnahme ist schmerzhaft für die Tiere und die Nährlösung besteht oft noch aus tierquälerisch erzeugtem fötalem Kälberserum.
Derzeit wird intensiv an Alternativen gearbeitet und es gibt längst Nährlösungen auf pflanzlicher Basis. Ich kenne kaum ein Unternehmen das fötales Kälberserum nicht pflanzenbasiert ersetzen will beziehungsweise bereits ersetzt hat. Aber das ist das Ergebnis von jahrelanger Forschung, was mich zurückbringt auf die Notwendigkeit öffentlich zugänglicher Forschung – und der Förderung dieser. Was die Biopsie betrifft, so wird lediglich eine Gewebeentnahme notwendig, die einem Pfefferkorn gleicht. Wir gehen davon aus, dass dies auch weitgehend schmerzfrei geht. Aber auch hier sind wir und viele andere im Austausch mit Tierrechtsorganisationen, denen diese Frage wichtig ist und die Teil unserer Forschung geworden sind. Andere Zellquellen können auch Federn sein oder das Ei, wobei es hier Unterschiede in der Effizienz und der Qualität gibt.
Ein weiteres Gegenargument ist der hohe Ressourcenverbrauch von kultiviertem Fleisch…
Der Ressourcenverbrauch beziehungsweise die ökologischen Auswirkungen müssen weiterhin erforscht werden. Es gibt bereits Studien, die darlegen, dass kultiviertes Rind oder Schwein eine bessere Klimabilanz haben als das konventionelle Produkt, je nachdem welche Energieressourcen verwendet werden. Für eine Ernährungswende braucht es daher auch eine Energiewende. Die Hühnerhaltung ist ökologisch gesehen eine der effizientesten Arten Fleisch zu produzieren. Ob wir so die Zukunft der Hühnerhaltung gestalten wollen, ist eine andere Frage.
Aus tierethischer Sicht ist es bedenklich, dass kultiviertes Fleisch dazu führen könnte, dass wir weiterhin meinen, bedenkenlos Fleisch essen zu können.
Ja, das stimmt. So kommen wir von dem tierischen Produkt nicht komplett weg. Aber wenn wir realistisch sind, wollen die Menschen das auch gar nicht. Die Zahl der Vegetarier und Veganer stagniert weltweit bei etwa vier Prozent. Wir haben nicht die Zeit zu warten, bis alle zu Veganern werden. Wir brauchen schnell andere Lösungen.
Das Interview führten Christina Ledermann und Dr. Stefanie Schindler.