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Bürgerschaftswahl in Bremen am 14. Mai 2023: So stehen die Parteien zum Tierschutz

Am 14. Mai wählt Bremen eine neue Landesregierung. Um den Wähler:innen eine Orientierung zu geben, hat der Bundesverband Menschen für Tierrechte die stärksten Parteien zu ihren Tierschutzplänen befragt. In ihren Antworten auf die Wahlprüfsteine sind zum Glück bei allen Parteien mehr Ambitionen zu erkennen als ein Blick in die Wahlprogramme befürchten lässt. Die Grünen zeigen dabei den größten Willen, etwas am gegenwärtigen Agrar- und Ernährungssystem zu ändern. Ihre Pläne zum Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung sowie zur Stärkung der pflanzlichen Ernährung sind gute Ansätze, um den großen Herausforderungen durch Klimakrise und Artensterben zu begegnen.

Die Weidehaltung, die Grünlandbewirtschaftung und die Milchviehhaltung spielen für die Bremer Landwirtschaft und für die Stadt Bremen als Grünlandstandort eine große Rolle. Dabei setzen sich immer mehr Akteure aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft für eine Ernährungswende hin zu pflanzlichen Eiweißträgern ein. Führende Klimaforscher:innen fordern eine deutliche Reduktion von Konsum sowie Produktion tierischer Lebensmittel (1). Dies seien zentrale Hebel, um das globale Ernährungssystem resilienter, fairer und nachhaltiger zu gestalten. Die Forderungen werden gestützt von der neuen Studie „Gesundes Essen fürs Klima“ (2), in welcher die Autor:innen die Umsetzung der hauptsächlich pflanzenbasierten „Planetary Health Diet“ (3) dringend empfehlen. Die ernsthafte Bereitschaft, einen solchen Wandel zügig zu verfolgen, sucht man in Anworten der stärksten Parteien auf die Wahlprüfsteine des Bundesverbands jedoch vergebens. Lediglich die Grünen zeigen den Willen für Veränderung. Der Rest setzt zum Großteil lediglich auf Verbesserungen des maroden System.

Im Vorfeld der Landtagswahl stellte der Bundesverband den fünf größten Parteien folgende Fragen als Wahlprüfsteine:

  1. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um die eklatanten Defizite bei Gesetzgebung, Kontrollen und bei der Strafverfolgung von Tierschutzvergehen abzustellen?
  2. Plant Ihre Partei weitere Maßnahmen, um die Mitwirkungs- und Klagerechte von Tierschutzorganisationen in Bremen zu effektivieren?
  3. Um Rechts- und Vollzugslücken zu schließen, soll in diesem Jahr auf Bundesebene das Tierschutzgesetz überarbeitet werden. Außerdem sollen Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überführt und das maximale Strafmaß erhöht werden. Wird Ihre Partei dies im Bundesrat unterstützen?
  4.  Was plant Ihre Partei, um die Tierzahlen in der Landwirtschaft zu reduzieren?
  5. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren?
  6. Was plant Ihre Partei, um Produktion und Konsum von pflanzlichen Nahrungsmitteln zu steigern?
  7. Die zelluläre Landwirtschaft hat das Potenzial, Umwelt, Klima und Gesundheit zu schützen. Planen Sie Fördermaßnahmen in diesem Bereich?
  8. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um ausstiegswillige Landwirt:innen zu unterstützen?
  9. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um Tierversuche zu reduzieren bzw. den perspektivischen Ausstieg einzuleiten?
  10. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um die tierversuchsfreie Forschung in Bremen zu fördern?

Hier lesen Sie die ausführlichen Wahlprüfsteine und Antworten in einem PDF (die Antworten der Links-Partei waren bis zum Redaktionsschluss nicht eingegangen).

Zusammenfassende Übersicht der Inhalte:

CDU setzt weiter auf Tierhaltung
Die CDU als eine der zuletzt stärksten Parteien gibt sich zukunftsorientiert im Sinne von Klima- und Umweltschutz oder auch einer Verbesserung der Tierhaltung im Sinne des Tierwohls. Eine politisch induzierte Reduzierung der Tierzahlen wird allerdings nicht angestrebt, umstiegswillige Landwirt:innen sollen jedoch Unterstützung erfahren. Kurz: Das System soll erhalten bleiben, lediglich verbessert werden, mit dem Fokus auf extensiveren Tierhaltungssystemen wie der Weidewirtschaft und der Unterstützung kleinerer Familienbetriebe. Ihre Ernährungspolitik wollen die Konservativen nicht nur ökologisch, sondern auch sozialverträglich und gesundheitsfördernd gestalten. Die Reduktion des Fleischkonsums wird als ein Ziel in der Ernährungspolitik erwähnt. Bezüglich Kontrolle und Strafverfolgung von Tierschutzvergehen versichert CDU, die entsprechenden Institutionen gemäß ihrer Aufgaben weiterhin ausreichend auszustatten. Zum Thema Tierversuche versichern die Konservativen, hinter dem 3R-Prinzip (Reduce, Refine, Replace) zu stehen und sich bezüglich der Affenversuche an der Universität Bremen für einen Ausstieg einzusetzen. Im Wahlprogramm finden sich außerdem noch Pläne für einen tiergerechten Umgang mit Stadttauben.

SPD: Kein Treiber für echten Wandel
Ganz ähnlich sieht es zum Thema Reduktion der Tierzahlen in der Landwirtschaft bei der Regierungspartei SPD aus. Auch die Sozialdemokraten wollen die Landwirt:innen bei den Transformationsprozessen unterstützen. Diese beinhalten aber in erster Linie lediglich Haltungsverbesserungen und keine Ausstiegskonzepte aus der Tierhaltung. Insgesamt stehen die Maßnahmen im Zeichen einer mehr tierwohlorientierten und klimafreundlicheren Gestaltung der Fleischindustrie. Um einen strukturellen Wandel des Ernährungssystems herbeizuführen, setzt die SPD auf intensive Bildungsanstrengungen gepaart mit konkreten Handlungsanleitungen. Angestrebt wird für alle Menschen eine gesunde und ökologische Ernährung, weg von industriell hochverarbeiteten Lebensmitteln und hin zu naturbelassenen Produkten. Eine Reduktion tierischer Produkte wird erwähnt, scheint aber nicht der Hauptfokus der Ernährungswende zu sein. Um den Missständen im Strafvollzug bezüglich Tierschutz-Vergehen zu begegnen, sollen Rechts- und Vollzugslücken geschlossen, Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überführt und das maximale Strafmaß erhöht werden. Auch die Sozialdemokraten verweisen auf das 3R-Prinzip zum Thema Tierversuche und die aktuellen Verbesserungen im neuen Hochschulgesetz, welche die Förderung der Entwicklung von Methoden und Materialien, die die Verwendung von lebenden und eigens hierfür getöteten Tieren verringern bzw. ersetzen können vorsieht. Die begrenzte Handlungsfähigkeit der Behörden bei der Genehmigung bzw. Ablehnung von Tierversuchsanträgen wird als problematisch anerkannt.

FDP plant keine Ausstiegsprogramme für Tierhaltungsbetriebe
Auch die Liberalen winden sich um eine konsequente Reduktion von Tierzahlen in der Landwirtschaft herum. Es wird von effizienter, emmissionsarmer Produktion gesprochen, aber hier liegt der Fokus auf neuen Technologien anstelle einen echten Systemwandels. Zumindest bei den Kontrollen und offiziell festgestellten Tierschutzverstößen fordern die Liberalen ein konsequentes Handeln. Behörden müssen besser ausgestattet werden, sowohl für die Strafverfolgung als auch für notwendige Kontrollen. Geltendes Recht sollte in erstern instanz endlich stärker umgesetzt werden. Die Liberalen erwarten durch die Änderung des Tierschutzgesetzes eine Schließung bestehender Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung und unterstützen dies grundsätzlich. Dazu gehört die Konkretisierung der Qualzucht, die Reduzierung nicht-kurativer Eingriffe und die Beendigung der Anbindehaltung. Im Bezug auf Fleischersatzprodukten bzw. altenativen Proteinquellen setzen sich die Liberalen für die zügige Zulassung von In-Vitro-Fleisch in der EU ein und verweisen ansonsten auf die die Unterstützung der geplanten Eiweißpflanzenstrategie der Bundesregierung. Eine verstärkte Promotion pflanzenbasierter Ernährung sucht man auch bei den Liberalen vergeblich. Ein selbstbestimmtes Konsumverhalten soll durch Aufklärungsarbeit bekräftigt werden. Die FDP begrüßt, wie die anderen Parteien alternative Forschungsmethoden, die dazu führen, dass Tierversuche entweder reduziert, vermieden oder, dass die Schmerzen der Tiere minimiert werden, betrachtet Tierversuche in der Forschung jedoch als unverzichtbar. Tierversuche sollen zwar auf das absolut notwendige Maß beschränkt sein, doch Pläne für eine Ausstiegsstrategie sucht man auch bei der FDP vergeblich.

Grüne für pflanzliche Ernährung
Die Grünen zeigen in ihren Antworten von den großen vier Parteien das stärkste Tierschutz-Engagement und beweisen gerade im Bereich Ernährungswende Mut und Vision.
Im Allgemeinen fordern die Grünen eine möglichst pflanzliche Ernährung im Sinne der Planetary Health Diet, wonach der Konsum tierischer Lebensmittel um mindestens drei Viertel sinken muss und damit auch die Tierbestände. Sie wollen Landwirt:innen Perspektiven geben für wirtschaftliche Betätigung und Landwirtschaft auch ohne Tierleid, auch mit gezielter Förderung. Sie wollen öffentliche Mensen und Kantinen zu Vorbildern machen. Das bedeutet z. B. in den meisten Fällen, dass kein Fleisch mehr angeboten wird (Brandbreite ist 0 bis 1 Mal pro Woche). Pflanzliche Angebote sollen aus grüner Sicht Standard sein. Tierische Lebensmittel sollten nicht länger durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz subventioniert werden, dafür sollten klimafreundliche und gesunde Lebensmittel vergünstigt werden. Eine breit angelegte öffentliche Kampagne soll über die Vorteile pflanzlicher Ernährung, die Folgen der Tierhaltung für Umwelt, Klima, Gesundheit und Tiere sowie über klimakompatible Ernährungsweisen aufklären. Kochen ohne Tierprodukte sollte nach Ansicht der Grünen zum Standard werden, dazu sollten auch die Regeln der Ausbildung von Köch:innen geändert werden, in denen Fleisch heute noch obligatorisch ist.
Die Bremer Grünen wollen die rechtlichen Möglichkeiten auf Landesebene ausschöpfen, den vollständigen Ausstieg aus Tierversuchen zu erreichen und sind somit die einzigen, die in ihren Anworten über die Umsetzung der 3R hinaus gehen.
Missstände im Strafvollzug wollen die Grünen beheben, indem zuständige Ämter besser ausgestattet werden und beispielsweise eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft Tierschutz eingerichtet wird. Tierversuche sollen Teil des Verbandsklagerechts werden können und sie wollen die Klageberechtigung für alle Klagearten auf Vereine ausweiten, die bundesweit tätig sind, aber ihren Hauptsitz nicht in Bremen haben. Mit Taubenhäusern soll das Konfliktpotenzial um Stadttauben verringert und die Tiere besser geschützt werden. Insgesamt gehen die Grünen mit ihren Plänen am weitesten, was Tierschutzbelange und die dringend notwenige Agrar- und Ernährungswende betrifft.

Linke setzt auf Schutz von Heimtieren
Im Wahlprogramm der Linken findet sich ebenfalls ein Bekenntnis zur Planetary-Health-Diet und die Notwendigkeit der Reduktion des Konsums tierischer Produkte. Sie setzen sich für eine Verschärfung des Tierschutzrechts ein, um Tierversuche mehr zu begrenzen und Affenversuche, wie an der Uni Bremen in Zukunft zu verhindern. Tierheime sollen besser unterstützt und Misstände in der Heimtierhaltung durch Prävention verhindert werden. Allgemein wollen die Linken sich auf Bundesebene für ein strengeres Tierschutzrecht einsetzen, u. a. für ein Verbot des Internethandels mit Tieren, ein Verbot des Imports von lebenden Wildtieren, strengere Haltungs- und Transportbedingungen und eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Heimtiere. Außerdem setzen sie sich für ein Stadttaubenmanagement nach dem Augsburger Modell ein.

Fazit: Klimakrise und Missstände im Tierschutz erfordern schnelle und konsequente Maßnahmen
Statt strengeren gesetzlichen Vorgaben und einer Priorisierung des Anbaus pflanzlicher Lebensmittel, setzen CDU, SPD und FDP auf den Verbesserungswillen von Landwirtschaft und Industrie und auf die Konsumenten als Regulativ und Aufklärung als Steuerorgan. Dies wird die Tierhaltung als ausbeuterisches System nur weiter zementieren, anstatt die für Tier, Mensch und Umwelt dringende Agrar- und Ernährungswende herbeizuführen. Echte Tierschutzverbesserungen können nicht durch Freiwilligkeit erreicht oder herbeigefördert werden. Die Klimakrise und das dramatische Artensterben erfordern schnelle und konsequente Maßnahmen. Dafür bedarf es Parteien mit guten Zukunftskonzepten und dem Mut diese auch umzusetzen.

Bei allen Angaben handelt es nicht um eine Wahlempfehlung. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte e.V. ist politisch neutral.

Hier lesen Sie die Wahlprogramme von: CDU, FDP, Bündnis90/Grüne, SPD, Linke

Weitere Informationen:
(1) Policy Brief: Für Ernährungssicherheit und eine lebenswerte Zukunft – Pflanzenbasierte Ernährungsweisen fördern, Produktion und Verbrauch tierischer Lebensmittel reduzieren
(2) Studie „Gesundes Essen fürs Klima“, Ökoinstitut Deutschland
(3) Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.: Planetary Health Diet