Agrar- und Ernährungswende Zelluläre Landwirtschaft

Stufenmodell hin zur pflanzlichen Ernährung  

Ob Kulturfleisch oder zelluläre Milch und Eier: Wir stellen in diesem Magazin die Frage, ob die zelluläre Landwirtschaft eine Lösung für die existenziellen Krisen unserer Zeit darstellt. Die Antwort ist ein pragmatisches „jein“. Einerseits ist die Wende hin zu einer pflanzlichen Ernährung unausweichlich. Andrerseits lebt die Mehrheit nach wie vor flexitarisch. Die zelluläre Landwirtschaft könnte daher ein Baustein der Transformation sein, sie sollte gefördert, aber auch reglementiert werden. 

Anlässlich zur Landwirtschaftsmesse Grüne Woche fand am 21. Januar auch die Demo „Wir haben es satt!“ in Berlin statt. Die Teilnehmer:innen fordern eine sozial-ökologische Transformation der Agrarwirtschaft. Der Bundesverband war dabei und trat konkret für eine pflanzenbasierte Ernährung und den Ausstieg aus der Tierhaltung ein.

Bei der zellulären Landwirtschaft stehen momentan die folgenden Fragen im Vordergrund: Besteht die Möglichkeit, dass dies ein Geschäftsmodell für Landwirte sein kann? Und: Kann diese Technologie die Transformation zu einer tierfreien Agrarproduktion unterstützen? Im Hinblick darauf, dass die zelluläre Landwirtschaft zweifellos eine große Wirkung unter anderem auf den Flächenverbrauch, die Reduktion der Tierbestände und damit von Emissionen aus der Tierhaltung sowie die menschliche Gesundheit haben kann, bleibt für den Bundesverband dennoch die Hinwendung zu einer vermehrt pflanzlichen Ernährung vorrangig.

Steuerliche Anreize schaffen
Eine Mehrheit der Deutschen würde eine Fleischsteuer befürworten. Diese Steuer oder Abgabe sollte nach Ansicht des Bundesverbandes direkt in die Transformation der Landwirtschaft hin zu einer verstärkten pflanzlichen Ernährung fließen. Gleichzeitig sollte die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte abgeschafft werden. 

Ernährungsstrategie ergänzen
Der Bundesverband begrüßt die Ernährungsstrategie der Bundesregierung, in der die Transformation des gesamten Ernährungssystems hin zu einer pflanzenbetonten Ernährungsweise als die wichtigste Stellschraube im Ernährungsbereich bezeichnet wird, um unsere nationalen und internationalen Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. In einem Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat der Bundesverband jedoch deutlich gemacht, dass diese Transformation nur parallel zu einer Agrarwende hin zu pflanzlichen Eiweißträgern funktionieren kann. Um dies zu erreichen, brauchen wir Übergangsförderungen für Landwirte, die ihre Tierbestände abbauen und beispielsweise auf den Anbau pflanzlicher Produkte umstellen. Ergänzend dazu müssen kostenlose Beratungsangebote für umstiegswillige Landwirte zur Verfügung gestellt werden. Auch die zelluläre Landwirtschaft kann sich hier mittel- und langfristig als alternatives Geschäftsmodell anbieten. 

Umfassende Informationskampagne
Der Bundesverband fordert zudem eine umfassende Informationskampagne für pflanzliche Ernährungsformen. Dazu sollte in allen öffentlichen Einrichtungen und Kantinen sowie in Schulen und Kitas das Angebot geschmackvoller vollwertiger veganer Mahlzeiten, inklusive pflanzlicher Fleischalternativen, deutlich ausgebaut werden. Pflanzliche Mahlzeiten sollten in Zukunft als Standardgerichte angeboten werden. Nötig sind außerdem bundesweite Plakataktionen, Siegel, Informationsbroschüren, Ernährungsapps, Aktionstage, Kampagnen in den sozialen Medien sowie Lernmodule für den Unterricht in Schulen und Kitas. 

Forschungs- und Bildungsetats
In Bezug auf die Forschung zur Kulturfleischproduktion hinkt Deutschland hinterher. Der Bundesverband fordert daher einen zusätzlichen Forschungsetat. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Mittel zur Förderung eines pflanzenbasierten Anbaus und Konsums stattdessen in die zelluläre Landwirtschaft fließen. Eine pflanzenbasierte Ernährung und tierlose Anbausysteme sollten als die beste Lösung prioritär gefördert werden. Dazu müssen die Lehrinhalte an landwirtschaftlichen Bildungsstätten sowie in den Ernährungswissenschaften und der Ernährungsmedizin angepasst werden. Außerdem sollten Startups gezielt gefördert werden, um tierliche Produkte schnellstmöglich durch pflanzliche oder zelluläre Produkte zu ersetzen. Auf regulatorischer Ebene muss die Zulassung von Produkten aus zellulärer Landwirtschaft vereinfacht werden.  

Nötig: Regeln zum Schutz der „Spendertiere“
Wie im Statement von Arianna Ferrari dargestellt, führen Tierschutz- und Tierrechts-Aspekte in der aktuellen Debatte ein stiefmütterliches Dasein. Deswegen ist es nötig, den Umgang mit den Tieren zu regeln, von denen die Zellen entnommen werden. Es muss sichergestellt sein, dass diese optimal und artgerecht zusammen mit Artgenossen in Weidehaltung gehalten werden. 

Ausweg immortalisierte Stammzellen?
Bei der Entnahme von Biopsien aus Fischen sind die Leiden noch so stark, dass die Tiere hinterher getötet werden müssen. Bei Säugetieren stellt sich die Frage nach der Häufigkeit der Biopsie und der Art des Verfahrens. Ein Ausweg wäre die Herstellung von immortalisierten Stammzellen, was die Zahl der Biopsien begrenzen würde. Gleichzeitig ist aber ein regulatorischer Ansatz nötig, um die Zahl dieser Stammzelllinien zu begrenzen und Tierleid zu verhindern. 

Moralisches Dilemma bleibt
Einer der Hauptkritikpunkte an der zellulären Landwirtschaft ist, dass die Grundprämisse: „Man kann und darf Tiere essen“ nicht infrage gestellt wird. Dieses moralische Dilemma bleibt. Grundsätzlich sollten weder Tiere noch deren Produkte, inklusive ihrer Zellen, aus Achtung vor der Tierwürde verzehrt werden. Der Bundesverband verfolgt hier dennoch eine pragmatische Herangehensweise: Die zelluläre Landwirtschaft ist zwar nicht die optimale Lösung. Sie stellt aber auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation dar. Und: Es bringt nichts, auf der rein pflanzlichen Ernährung als einzige Lösung zu beharren, wenn davon nicht alle überzeugt werden können.  

Anreize für pflanzliche Ernährung schaffen
Nach dem moralischen Stufenmodell ist die zelluläre Landwirtschaft nicht die beste, jedoch die zweit- oder drittbeste Lösung. Menschen, die auf dem Konsum tierischer Produkte beharren, sollten Anreize erhalten, auf kultivierte tierische Produkte umzusteigen. Flexitarier, die offen für pflanzliche Ernährung sind, sollten wiederum motiviert werden, auf diese optimale Ernährungsform umzustellen. Die pflanzliche Ernährung sollte als die beste Lösung kommuniziert und gefördert werden. 

Lesen Sie dazu auch unsere aktualisierte Broschüre „Wege aus der Tierhaltung. Maßnahmen für eine Agrar- und Ernährungswende“ .