Margrits Kolumne

Margrits Kolumne: Hohe Bauschkraft

Die tote Gans ist verdaut, die gefütterte Winterjacke anprobiert – was haben sie gemeinsam? Das Fest der Liebe, Weihnachten. Wobei sich die Liebe eher auf den bezieht, der dafür Geld ausgegeben hat , als auf den, der mit Leib und Leben dafür herhalten musste: Dem Federvieh, dem bei vollem Bewusstsein die Daunenfedern ausgerissen wurden.

Das Gegenteil vom Lebendrupf ist der Totrupf. Aber während die tote Gans dann nur einmal ihre Daunen hergeben muss, ist der qualvolle Lebendrupf bis zu zehnmal möglich – wenn das Lebewesen nicht vorher gestorben ist. Der Mensch, der seinen frierenden Körper mit diesem Tierprodukt vor der Kälte schützen möchte, erwartet von seinem Schlafsack eine gute thermische Isolierung und erkundigt sich nicht nach dem Herstellungsland. Das aber ist dringend geboten, denn der qualvolle Lebendrupf ist vor allem in Osteuropa und Asien unkontrolliert und skrupellos noch immer möglich.

Was aber ist „Bauschkraft“? Wer etwas „aufbauscht“, macht es größer. Möchte man die Bauschkraft einer Flaumfeder wissen, wird sie im Messzylinder 24 Stunden lang zusammengepresst. Danach wird das Volumen gemessen, auf das sich die Probe ausdehnt. Die Isolationswirkung von 700-800 bedeutet eine hochwertige Daune, bei unseren Breiten genügt eine Bauschkraft von 500-600.

Der Overall, der Schlafsack oder die Handschuhe sind dann ein tierleidfreies Weihnachtsgeschenk, wenn sie nicht aus Gegenden stammen, in denen die Arbeiter die Gans zwischen die Beine klemmen, ihren Hals nach hinten biegen und die Daunenfedern aus dem Bauch reißen – eine Marter ohne gleichen. Zwar verbietet die EU bereits seit 1999 den Lebendrupf, aber wer kontrolliert das? Der Daune sieht man es nicht an, ob sie aus Tot- oder Lebendrupf stammt.

In unserem Zeitalter können synthetische Daunen hergestellt werden. Zwar ist deren Bauschkraft geringer, auch „daunenweich“ ist die Füllung nicht und das „federleicht“ bleibt etwas auf der Strecke. Aber sie hat einen großen Vorteil. Das Produkt kann gewaschen werden und trocknet schnell, während „echte“ Daunen Waschen und Reinigen überhaupt nicht mögen. Doch der gewaltigste Unterschied ist: Wir haben beim Kauf ein reines Gewissen. Und das ist heute eher selten geworden.

Margrit Vollertsen-Diewerge © Januar 2023