Allgemein Tierversuchsfrei

EUSAAT Kongress 2022: Lichtblicke für eine tierversuchsfreie Zukunft

Lichtblicke für eine tierversuchsfreie Zukunft 

Vom 26. bis 28. September fand der jährliche Kongress für tierversuchsfreie Forschung der European Society for Alternatives to Animal Testing (EUSAAT) in Linz statt. Nach zwei Jahren Coronabeschränkungen, konnten sich Forscher:innen, Vertreter:innen von Regulationsbehörden und NGOs endlich wieder persönlich begegnen und austauschen. Die vielen tierversuchsfreien Innovationen machen Mut, dass eine Forschung ohne Tierleid gelingen kann. 

Foto: Fotolia/tilialucida

Ein großes Thema des Kongresses war, dass trotz der Unterstützung eines schrittweisen Übergangs zu einer tierfreien Wissenschaft durch das EU-Parlament und die europäischen Bürger die gegenwärtige EU-Politik diese Verpflichtung nicht einlöst. Es liegt immer noch kein Konzept vor, wie ein solcher Übergang erreicht werden kann. Im Gegenteil: Ein Vergleich der sogenannten RAT-Liste mit den tatsächlich durchgeführten Tierversuchen ergab, dass zehn verschiedene Tierversuche immer noch durchgeführt werden, obwohl bereits anerkannte Alternativen vorhanden sind. Eine konsequente Anwendung der neuen Methoden könnte EU-weit etwa 1,5 Millionen Tiere einsparen. 

Covid-Impfstoffe trotz weniger Tierversuchen
In ihrer Eröffnungsrede wies Prof. Dr. Merel Ritskes-Hoitinga, Inhaberin des bislang einzigartigen Lehrstuhls für den evidenzbasierten Übergang zu tierfreien Innovationen an der Universität Utrecht, darauf hin, dass der Tierversuch nicht mehr dem Stand der Technik entspräche. Trotz verkürzter Zulassungszeit für Covid-19-Impfstoffe mit weniger Tierversuchen sei die Pandemie wirksam bekämpft worden. Dies sei der richtige Weg. Nötig sei die Zusammenarbeit der Wissenschaft mit den Regulationsbehörden, vor allem aber auch eine transdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Gesellschaft sowie unter den Wissenschaftler:innen.  

Vorbild Niederlande
Dafür haben die Niederlande das Partnerprogramm TPI (Transition Programme for Innovation without the use of animals) entwickelt. Es soll die Umsetzung von tierfreien Innovationen in der Arzneimittelentwicklung und Risikobewertung beschleunigen. Dabei arbeiten zehn Ministerien, nationale Institute und Akademien, gesellschaftliche Gruppierungen und Industrie zusammen. 2022 wurde zudem „Young TPI“ gegründet, eine Gruppe junger Wissenschaftler, die diesen Übergang beschleunigen wollen. Dazu sensibilisieren sie andere Studierende frühzeitig für tierfreie Optionen. 

Beeindruckende Innovationen
Neben Beiträgen und Diskussionen zu dieser grundlegenden Herausforderung, war der Kongress auch wieder eine Plattform für neue Entwicklungen im Bereich tierversuchsfreier Innovationen. Die Wissenschaftler:innen präsentierten mit viel Elan ihre neuen Verfahren. Dies stimmte hoffnungsvoll, dass es sich lohnt, weiter für eine bessere Förderung dieser Zukunftsprojekte zu kämpfen. 

Humanspezifische Strategie
Alarmierend sind indes die Pläne der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu sogenannten entwicklungsneurotoxischen Chemikalien. Diese können die Entwicklung des kindlichen Nervensystems im Mutterleid gefährden. Deshalb plant die OECD die Testung Tausender Chemikalien und Pestizide. Dr. Martin Paparella von der OECD berichtete, dass die Aussagekraft der In-vivo-Prüfung auf Entwicklungsneurotoxizität (DNT), also der Testung am lebenden Tier, begrenzt sei. Prof. Dr. Ellen Fritsche vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF), Düsseldorf, stellte die gemeinsam mit einem internationalen Team von Wissenschaftler:innen und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als EU-Regulationsbehörde entwickelte Strategie zum Testen auf DNT vor. Die Strategie basiert im Wesentlichen auf humanspezifischen Methoden mit Zellen des sich entwickelnden Gehirns. 

Durchbruch bei hormonwirksamen Substanzen
Dr. Katharina Koch vom IUF überraschte durch eine Ausweitung des am Institut entwickelten In-vitro-Testsystems auf Untersuchungen zu endokrin-wirksamen Substanzen. Diese greifen in die Hormonsysteme des Körpers ein. Der Wissenschaftlerin gelang es, die Modelle mit Frühstadien des sich entwickelnden Gehirns zu modifizieren. Daraus könnte sich eine vergleichbare Teststrategie – wie im Falle der DNT– mit menschlichen Zellkulturen entwickeln lassen. Eine solche humanspezifische Teststrategie ist dringend nötig, denn die OECD plant auch, unzählige Chemikalien auf eine mögliche Hormonwirksamkeit zu untersuchen. Das könnte mehr als 5 Millionen zusätzliche Tierversuche bedeuten. 

Modelle für Leberschädigungen 

Durch Arzneimittel ausgelöste Leberschädigungen sind eine der Hauptursachen für die Rücknahme zugelassener Arzneimittel, Außerdem gefährden sie die Patientensicherheit. Das Schweizer Unternehmen InSphero entwickelte deswegen ein standardisiertes 3D-Leber-Mikrogewebe, das sich für Langzeitversuche eignet. Diese sogenannten Leberspheroide konnten die Wirkung stark leberschädigender Medikamente sehr genau vorhersagen.  

Menschliche Herz-Organoide 

Fehler in der Herzentwicklung sind die häufigste Ursache für den Tod von menschlichen Föten. Die Arbeitsgruppe von Sascha Mendjan des Instituts für Molekulare Biotechnologie in Wien hat aus diesem Grund humane Herz-Organoide entwickelt. Mit diesen sogenannten Kardioiden kann erstmals Entwicklung und Funktion der wichtigsten embryonalen Zellbereiche des Herzens beobachtet und der Einfluss von genetischen und Umweltfaktoren untersucht werden. 

Barrierefreier Arnzeimitteltransport  

Claus-Michael Lehr, Professor für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie der Universität Saarbrücken, forscht zum Thema Wirkstofftransport von Arzneimitteln zum Ort ihrer Bestimmung. Dafür haben er und sein Team die letzten Jahre tierversuchsfrei die zu überwindenden Barrieren, beispielsweise der Lunge, in vitro entwickelt und sich erfolgreich mit dem Arzneimitteltransport in Nanopartikeln beschäftigt.  

Dreidimensionales Wundmodell
Einem anderen Problem stellt sich Jana Wächter, eine der 17 Preisträgerinnen des Young Scientist Travel Awards, vom Institut für Pharmazeutische Technologie der Goethe-Universität Frankfurt: In Biofilmen eingebettete Bakterien sind vor Angriffen des Immunsystems geschützt und deshalb unempfindlicher gegen Antibiotika. Der Nachwuchs-Forscherin ist es gelungen, ein dreidimensionales in-vitro-Biofilm-Wundmodell auf menschlicher Haut für die Forschung und Wirkstoffentwicklung herzustellen. 

Hoffnung für Darmkranke
Dr. Brigitta Loretz vom Helmholtz Institut für Pharmazeutische Forschung des Saarlands berichtete über ein komplexes Modell der entzündeten Darmschleimhaut, das Durchlässige-Darm-(Leaky-Gut)-Modell. Es ahmt chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nach und ermöglicht die Erforschung von Wirkstoffen und Trägermolekülen. 

Lungenmodell erkennt unsichere Arzneimittel
Es kommt immer wieder zum Rückruf unsicherer Medikamente. Oft sind dann jedoch schon Pateinten geschädigt worden. Das Schweizer Organs-on-Chip Unternehmen Alveolix entwickelte deswegen ein Barrier-on-Chip System. Dafür wurden menschliche Zellen auf jeder Seite einer ultradünnen porösen Membran, die physiologische Bedingungen schafft, unter 3D-Bewegung kultiviert. Diese Modelle, darunter auch ein Lungen-Infektionsmodell, haben das Potenzial, unsichere Arzneimittel frühzeitig zu erkennen und Tierversuche zu reduzieren oder zu ersetzen.  

Hunde-Chirurgie-Modell: An diesem können angehende Tierärzt:innen chirurgische Eingriffe trainieren, ohne dass dafür Hunde getötet werden. Foto: Syndaver

Tierfreie Aus- und Weiterbildung
Nick Jukes von InterNICHE, dem internationale Netzwerk für eine humane Ausbildung, das sich für tierfreie Verfahren einsetzt, stellte seine Dokumentarfilmreihe für die Aus- und Weiterbildung von Tierärzt:innen vor. Die Filme informieren über Innovationen von der vergleichenden Anatomie bis zur Bauch-Chirurgie, wie zum Beispiel den Syndaver Hunde-Chirurgietrainer. Der Film belegt anhand mehrerer Fallstudien, dass Lernziele mit diesen tierfreien Alternativen besser erfüllt werden als mit Tieren, die für diesen Zweck getötet werden müssen. 

Wir können Ihnen hier nur eine Auswahl der tierfreien Innovationen vorstellen, ausführlichere Informationen finden Sie auf www.invitrojobs.de. 

((Merel Ritskes-Hoitinga)) Sie ist die Inhaberin des bislang einzigartigen Lehrstuhls für den evidenzbasierten Übergang zu tierfreien Innovationen: Prof. Dr. Merel Ritskes-Hoitinga von der Universität Utrecht. Foto: Christiane Hohensee 

((Hunde-Chirurgiemodell)) Was hier wie ein echter Brustkorb aussieht, ist nur ein Hunde-Chirurgiemodell. An diesem können angehende Tierärzt:innen chirurgische Eingriffe trainieren, ohne dass dafür Hunde getötet werden. Foto: Syndaver 

((ggf. noch ein Symbolfoto, wie: Fotolia_137752462_L)) 

Dr. Christiane Hohensee
Dr. Claudia Gerlach
Carolin Spicher