Die Revision der Europäischen Chemikalienrichtlinie REACH, die zu vielen zusätzlichen Tierversuchen führen könnte, ist auf das vierte Quartal 2023 verschoben worden. In dieser Verzögerung liegt eine Chance für die Tiere, denn die Zeit kann dazu genutzt werden, um die EU davon zu überzeugen, statt leidvollen Versuchen am Tier bereits vorhandene tierfreie Verfahren (NAMs) einzusetzen. Außerdem können Tierschutzorganisationen die Entwicklung der noch fehlenden Verfahren einfordern.
Europas Tierschützer befürchten, dass durch die von der EU geplante Überarbeitung der Rechtsvorschriften zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien (REACH) unzählige zusätzliche Tiere in Versuchen leiden müssen. Der Entwurf des Anhangs der REACH-Verordnung sieht zusätzliche Tierversuche auch in den Endpunkten vor, für die bereits tierfreie Verfahren nach OECD-Testrichtlinien zugelassen sind. Dies beträfe z.B. die Hautverätzung/-reizung und Hautsensibilisierung, bei der Versuche am Tier nicht gestrichen werden sollen, obwohl entsprechende In-vitro-Methoden bereits in den Testrichtlinien aufgelistet sind. Im Entwurf wurden sogar bereits gelistete in-vitro-Ersatzmethoden gestrichen.
EU muss auf tierfreie Teststrategien setzen
„Der REACH-Gesetzentwurf ist nicht mit der europäischen Zielsetzung vereinbar, wonach Tierversuche nur als letztes Mittel zum Einsatz kommen sollen“, kritisiert Christina Ledermann, Vorsitzende des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. „Die EU muss stattdessen auf tierfreie Teststrategien für die Risikobewertung von Chemikalien setzen. Die USA zeigen, dass dies bei der Arzneimitteltestung möglich ist. Das Ergebnis der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative zeigt, dass die EU-Bürger:innen einen Ausstieg aus dem Tierversuch wollen. Dem muss die EU folgen“, fordert Ledermann.
Neue Tierversuche müssen verhindert werden
Neben der Tatsache, dass diverse Tierversuche beibehalten werden sollen, sind für die akute Toxizität, die Toxizität bei wiederholter Verabreichung, die Reproduktions-/Entwicklungstoxizität und die (Entwicklungs-)Neurotoxizität ausschließlich Testmethoden mit Tieren aufgeführt. Es wird sogar vorgeschlagen, hier neue Tierversuche hinzuzufügen, so z.B. bei der Entwicklungsneurotoxizität, obgleich es hier ein neues, mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) entwickeltes Integriertes Konzept zur Prüfung und Bewertung (IATA) gibt. Ebenso wird bereits an tierleidfreien Verfahren zum Testen auf hormonwirksame Substanzen gearbeitet.
Wettbewerbsvorteile rechtfertigen kein Tierleid
In der Ökotoxikologie sieht es nicht besser aus: Hier wurden zwölf neue Tiertests hinzugefügt.
Eine im Vorfeld durchgeführte öffentliche Umfrage zur REACH-Verordnung war voreingenommen und hatte die bereits vorhandenen tierversuchsfreien Methoden untergraben (1). Mit ihrem Vorhaben zielt die EU eigenen Angaben zufolge auf Wettbewerbsvorteile und Innovationen durch die Förderung nachhaltiger Chemikalien ab. Sie will den Chemikalienregulierungsprozess vereinfachen und straffen, die Belastung durch Chemikalien verringern sowie den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt sichern.
Verschiebung bringt Chancen für die Tiere
Die Wirtschaft ist indes kein Freund der Überarbeitung von REACH. Sie fürchten zusätzliche Kosten und Bürokratie. Ihrem Wunsch nach einer Verschiebung kommt die EU nun nach. Hintergrund sind unter andererem die schwierigen Bedingungen auf den Rohstoffmärkten. Die Verzögerung könnten bedeuten, dass sich die Verhandlungen über REACH und CLP noch bis nach den EU-Wahlen 2024 verschieben. Darin sehen die Tierschutzverbände eine Chance, ihren Einfluss für einen verstärkten Einsatz von neuen tierfreien Methoden (NAMs) geltend zu machen.
(1) www.eurogroupforanimals.org
(2) www.eurogroupforanimals.org