Margrits Kolumne

Margrits Kolumne: Synthetischer Keimling

Ende August 2022 ging es durch die einschlägige Presse: Der erste synthetische Maus-Embryo ist da. Der Keimling, altgriechisch Embryo, also ein Lebewesen in der frühen Form seiner Entwicklung, wurde von einem amerikanisch-britischen Forschungsteam aus verschiedenen Stammzelltypen von Mäusen gezüchtet, mit einem schlagenden Herzen, einer Gehirnregion, einem Neuralrohr und einem Darmrohr. Seine Existenz im Labor dauerte achteinhalb Tage.

Können bald Millionen echte Mäusekinder aufatmen? Gehen die Benzinkosten für die Spezialfahrzeuge, die die toten Tierkörper unter strengen Sicherheitsvorschriften entsorgen, auf Null zurück? Machen die Mäusefutterhersteller demnächst pleite?

Und weiter: Ist eine solche Züchtung überhaupt ethisch vertretbar?
Hat der Keimling einen rechtlichen Status und wenn ja, welchen?
Darf es einen Embryo geben, der aus Zellen von Mensch und Affe erzeugt wurde?
Auch das wurde schon 2021 in den USA erprobt.

Auf der einen Seite gibt es feinfühlige Roboter, die keinen Urlaub und keine Depressionen kennen und die sogar Operationen fehlerlos ausführen können. Auf der anderen Seite gibt es vielleicht demnächst synthetische Embryos, die heranwachsen dürfen und zu willkommenen Spendern von Organen und Gliedmaßen werden.
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René Descartes beschreibt in seinen „Meditationes“ (1641) einen bösartigen Dämon, durch den die Sinne und die Wahrnehmung getäuscht werden können. Die berühmten Worte „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) retteten ihn vor dem Zweifel, ob etwas wirklich existiert.
Muss man in Zukunft falsche Antworten geben, um zu beweisen, dass man ein echter Mensch ist, der sich irren kann?

© Margrit Vollertsen-Diewerge September 2022