Der Hamster in der Infektionsforschung
In diesem Jahr hat der Bundesverband den Hamster in der Infektionsforschung zum „Versuchstier des Jahres“ ernannt. Der Hamster wird vor allem in der Erforschung des Coronavirus eingesetzt, obwohl die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen unsicher ist. Mit der Ernennung will der Tierrechtsverband auf das versteckte Leid der Tiere in den Laboren aufmerksam machen. Gleichzeitig fordert er die verstärkte Entwicklung tierfreier Verfahren ein.
Einst war der Hamster ein häufig vorkommender Feldbewohner in Mitteleuropa. Heute ist der hübsche Nager vom Aussterben bedroht. Seit 2020 steht der Feldhamster (Cricetus cricetus) auf der Roten Liste. Seine Hauptfeinde sind die Versiegelung der Landschaft und die intensive Landwirtschaft. Anders sieht es in Tierversuchslaboren aus: Hier sind seit den 50er Jahren Goldhamster und chinesische Streifenhamster hoch willkommen – Tendenz steigend. Schon die Laborhaltung in engen Makrolon-Käfigen ist für den lauffreudigen Goldhamster eine Qual. Die Pandemie hat es für den Nager noch verschlimmert. Denn seitdem hat das Interesse am Hamster als „Versuchstier“ stark zugenommen.
Zahlen verzehnfacht
Waren die genehmigten Tierzahlen 2019 in Deutschland mit 184 Goldhamstern noch relativ gering, stieg deren Zahl 2020 auf 1.095 und 2021 nochmals auf 10.708 Tiere. Damit haben sich die Zahlen fast verzehnfacht. Die meisten Hamster werden in Deutschland für die Sars-Cov-2-Forschung eingesetzt, einige für die Erforschung anderer Impfstoffe, für Untersuchungen des Stofftransports zwischen Körperflüssigkeiten und Geweben sowie für Studien bestimmter menschlicher Nervenleiden. Für letztere werden die Tiere teilweise gentechnisch manipuliert, was mit erheblichem Tierleid verbunden ist.
Übertragbarkeit zweifelhaft
Der Hamster ist deswegen für die Covid-Forschung interessant, weil Forscher:innen meinen, dass sich an ihm der Krankheitsverlauf im Menschen gut simulieren lasse. Grund ist der bei der Infektion entscheidende sogenannte ACE2-Rezeptor, über den das Virus in den Körper eintritt, besonders über Bronchien, Lunge und den Nasen-Rachen-Raum. Da der Hamster auch über diese Rezeptoren verfügt, fällt die Wahl auf ihn. Ob dies zu belastbaren Erkenntnissen über die Infektion beim Menschen führt, ist jedoch unklar. Denn es gibt keine übereinstimmenden Angaben in der Literatur, in welchen Organen beim Hamster diese „vergleichbaren“ Rezeptoren zu finden sind. Die Schlussfolgerung, dass Impfstoffnebenwirkungen beim Hamster der Situation im Menschen entsprechen, sind deshalb auch alles andere als sicher.
Schmerzhafte Entzündungen
Für den Versuch werden die Tiere durch eine Injektion in die Bauchhöhle narkotisiert und über die Nase mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert. Zur Testung von Impfstoffen, wird ihnen der Impfstoff vorab oral verabreicht und nochmals einige Stunden nach der Infektion. Nach der Ansteckung werden die Hamster 14 Tage auf Krankheitsanzeichen beobachtet und ihr Gewicht dokumentiert, da es oft zu Gewichtsverlusten kommt. Am Ende der Versuche werden sie getötet. Danach werden Blut und Organe analysiert. Die Tiere leiden bei den Versuchen. Denn auch bei ihnen kommt es zu schmerzhaften Entzündungen im Rachen- und Atemtrakt und zu Beeinträchtigungen der Lungenfunktion.
Organoide und 3D-Modelle statt Tiereinsatz
Dabei geht es auch anders: Auch in der Infektionsforschung wird in der Grundlagen- und der angewandten Forschung zunehmend mit Zellkulturen, Organoiden oder Modellen gearbeitet. Weitere Möglichkeiten sind der Einsatz von künstlicher Intelligenz oder die Entnahme von menschlichem Material für Untersuchungen. Menschliche Darm-Organoide eignen sich beispielsweise gut, um zu erforschen, wie das SARS-CoV-2-Virus in die Zellen des Darms eindringt. Um neue Behandlungsstrategien zu entwickeln, eignen sich auch bestimmte menschliche Zellkulturen. An ihnen können beispielsweise die Mechanismen der Signalmoleküle des menschlichen Immunsystems untersucht werden. Eine weitere humanspezifische Möglichkeit sind menschliche 3D-Modelle des oberen und unteren Atemtrakts. An ihnen lassen sich die Treiber der überschießenden Immunreaktion aufdecken, an der viele Covid-Erkrankte starben.
Nötig: mehr tierfreie Verfahren
Diese wichtigen Modelle sind geeignet, einzelne Aspekte des Infektionsgeschehens tierfrei zu untersuchen. So tragen sie schon jetzt dazu bei, Tierversuche zu reduzieren. Um die Tierversuche in diesem Bereich komplett zu ersetzen, müssten jedoch weitere Verfahren entwickelt werden. Doch dies passiert nicht, weil immer noch zu wenig Wissenschaftler:innen an und mit neuen tierfreien Methoden forschen – es fehlt an Geld und Anreizen. Hier muss die Politik ansetzen und diese Anreize schaffen. Ein Lichtblick ist das EU-Projekt Inno4Vac, das 2021 startete. Es soll die Impfstoffentwicklung beschleunigen – mit tierfreien Verfahren. Und das tut Not, denn die Entwicklung von Impfstoffen kostet nicht nur tausenden von Tieren das Leben, sie dauert mit rund zehn Jahren immer noch viel zu lang und verschlingt über 800 Millionen Euro für die Entwicklung eines Impfstoffes in der EU. Der Nationale Ausschuss der Niederlande (NCad) zeigte sich in seinem Ausstiegsszenario 2016 überzeugt, dass sich Tierversuche zumindest für die Herstellung und Freisetzung von biologischen Produkten, wie Impfstoffen, schrittweise bis zum Jahr 2025 beenden lassen – unter Beibehaltung des Sicherheitsniveaus. Doch damit dies möglich wird, müssen dringend mehr tierversuchsfreie Verfahren entwickelt werden. Um dies auch in Deutschland voranzubringen, hat der Bundesverband einen umfassenden Maßnahmenplan entwickelt.
Hier lesen Sie die ausführliche Broschüre des Versuchstier des Jahres 2022.