Agrar- und Ernährungswende Industrielle Tierhaltung

Das System der Tierhaltung ist nicht reformierbar!

Gegen die industrialisierte Tierhaltung spricht – neben der zutiefst unethischen Tierqual – auch die skandalöse Verschwendung von Leben. Diese ist weder effizient noch wirtschaftlich und ihre negativen Effekte werden zum Großteil auf die Allgemeinheit abgeschoben. Alle bisherigen Versuche, das System zu reformieren sind gescheitert. Die „Kollateralschäden“ betreffen Tiere, Gesundheit, Ressourcen und die Landwirt:innen selbst.

In der industrialisierten Landwirtschaft leiden „Milchkühe“, „Legehennen“, Schweine, Hühner, Puten und andere Tiere an verschiedenen Haltungs- und zuchtbedingten Krankheiten und Störungen. Sie sterben früh, entweder, weil ihnen beispielsweise als „Masthuhn“ nicht mehr als 33 Lebenstage zugestanden werden oder weil sie vorzeitig versterben. Ganz nüchtern betrachtet, müsste ein effizientes System die Tiere eigentlich optimal nutzen. Doch dies ist nicht der Fall.

Skandalös hohe Sterblichkeitsraten
Aus rein wirtschaftlicher Sicht müsste das Ziel bei der Tierhaltung sein, mit einem Maximum an Tiergesundheit und Lebensdauer und einem Minimum an externalisierten Kosten und Ressourcen gesunde Lebensmittel zu produzieren. Doch jedes Jahr sterben über 13 Mio. Tiere vorzeitig (dies umfasst nur einige Tierarten. Die tatsächlichen Todesraten liegen höher). Die Gründe sind: schlechte Haltungsbedingungen, mangelhaftes Haltungsmanagement und falsche Zuchtziele.
Die skandalös hohen Sterblichkeitsraten sind teilweise von vornherein einkalkuliert. Hinzu kommen die ungewollten männlichen Nachkommen: Bei sogenannten Legehühnern und Milchrindern sind Hähne und Bullenkälber, also 50 Prozent der Nachkommen, schlicht „Abfallprodukte“ eines lebensverachtenden Systems.

Bullenkälber geben keine Milch und lassen sie sich wirtschaftlich mästen. Deswegen verenden Schätzungen zufolge bis zu 600.000 Kälber jährlich in den ersten drei Lebensmonaten oder werden getötet.

Abfallprodukte: Hahn und Bulle
Der Grund: Sie können weder Eier legen noch Milch geben noch lassen sie sich wirtschaftlich mästen. Deswegen wurden bisher 45 Mio. männliche Küken direkt nach dem Schlupf vergast oder geschreddert. Und deswegen verenden Schätzungen zufolge bis zu 600.000 Kälber jährlich in den ersten drei Lebensmonaten oder werden getötet. Die restlichen werden gemästet und dann auf lange Tiertransporte teilweise in den Tod geschickt. Durch das Verbot des Kükentötens, das 2021 beschlossen wurde, müssen die männlichen Küken nun entweder vor dem Schlupf (rechtzeitig vor der Entstehung eines funktionsfähigen Nervensystems) erkannt oder mit aufgezogen werden. Die Konsequenz: Das Töten wird dadurch auf einen Zeitpunkt vor dem Schlupf verlagert. Ob dies Tierleid verhindert, ist möglich, aber nicht sicher. Sicher ist aber, dass dies das bestehende System erhält, statt auf tierfreundliche Alternativen zu setzen.

Getötete männliche Küken

Falsche Richtung: Terminator-Gen
Um es den Kükenerzeugern noch einfacher zu machen, haben israelische Forschende kürzlich ein Patent auf eine gentechnische Veränderung angemeldet. Durch den Einbau eines speziellen Gens werden männliche Küken bereits im Ei abtötet. Dies könnte die, unter anderem von Bioverbänden, angestrebte grundsätzliche Reform der Hühnerhaltung zurück zum „Zweinutzungshuhn“ zunichtemachen. (Diese Hühner können beides: Eier legen und Fleisch ansetzen). Eine weitere Konsequenz ist, dass es dadurch zu einer genetischen Modifikation in der Nahrungskette kommt. Diese lehnen die Verbraucher ab und ihre Risiken sind unbekannt. Und was geschieht mit den aussortierten Eiern und den darin befindlichen toten Küken? Diese sind in jedem Fall genetisch verändert und müssen entsorgt werden. Diese Folgen und Kosten werden erst später in der praktischen Anwendung offensichtlich – und sie werden höchstwahrscheinlich externalisiert, also auf die Allgemeinheit abgeschoben.

Ein Wurf umfasst mittlerweile durchschnittlich 15,5 Ferkel. Viel zu viele im Verhältnis zur Anzahl der Zitzen.

Veto gegen „Vielferkler“
Ähnlich absurd geht es in der Schweinezucht zu: Die Anzahl der durchschnittlich 15,5 Ferkel pro Wurf ist mittlerweile so hoch, dass viele dies mit ihrem Leben bezahlen. Denn bei steigenden Wurfgrößen erhöht sich auch die Zahl der nicht lebensfähigen beziehungsweise totgeborenen Ferkel, weil ihr Geburtsgewicht sinkt. Hinzu kommt, dass die Milchleistung der Sau insgesamt gleichbleibt. Daran ändert auch eine erhöhte Zahl an Zitzen nichts. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass die Sauen mit den meisten Zitzen die höchsten Ferkelverluste haben. Es stellt sich daher die Frage, was die Zucht auf höhere Wurfgrößen und mehr Zitzen bringen soll. Die Bundestierärztekammer legte deswegen bereits 2014 ein Veto gegen diese „Vielferkler“ ein. Diese seien Qualzuchten und es sei nicht nachvollziehbar, warum lebensschwache Ferkel erst produziert und dann getötet würden.

„Zuchtsäue“ leben kurz
Aufseiten der Sau sieht es keinesfalls besser aus: Die schnelle Folge von über zwei Würfen pro Jahr lässt ihr keine Erholungsphase, beispielsweise für die Rückbildung der Gebärmutter. Folgerichtig sinkt die Wurf- und Aufzuchtleistung und es erhöhen sich Erkrankungen und Zahl der Totgeburten. Deswegen beträgt die Lebenserwartung einer sogenannten Zuchtsau nicht mehr als drei Jahre. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Sau bis zum Erreichen der Geschlechtsreife auch Ressourcen verbraucht, fällt es schwer, hier die Wirtschaftlichkeit zu erkennen, ganz abgesehen von Tierleid und Lebens-Verschwendung.

Für die Produktion des Hormonpräparats PMSG werden trächtige Stuten zur Ader gelassen – eine grausame und oft tödliche Prozedur. Foto: Animal Welfare Foundation

Ausbeutung trächtiger Stuten
Ein weiterer, lange unbeachteter Kollateralschaden ist die hormonelle Synchronisation der Zuchtsauen, damit möglichst viele Ferkel gleichzeitig zur Welt kommen. Das dazu notwendige Hormon, das „pregnant mare serum gonadotropin“ (PMSG), wird aus dem Blut trächtiger Stuten gewonnen. Diese werden unter unsäglichen Bedingungen hauptsächlich in Argentinien, Uruguay und Island gehalten. Die Blutentnahme erfolgt unter höchst tierschutzwidrigen Bedingungen und führt nicht selten zum Tod der Tiere. Und auch hier gibt es ein „Abfallprodukt“: Das Fohlen, das niemand braucht.

Vorzeitig geschlachtet: Die „Hochleistungskuh“
Die Probleme bei den sogenannten Milchrindern sind ähnlich gelagert: Wie Prof. Dr. Wilfried Brade erläutert, ist eine einseitige Fokussierung auf die Milchleistung kein Indikator für Wirtschaftlichkeit. Die Deutsche Holsteinzucht hat in den letzten 20 Jahren sehr intensiv auf Körpergröße und Milchcharakter selektiert. Dies führte dazu, dass die Kühe immer größer wurden. Hierbei wurde allerdings die Futtereffizienz vergessen. Diese geht ab einem Gewicht von 725 Kilo deutlich zurück, denn mit steigender Lebendmasse des Tieres nimmt auch der Nährstoffbedarf für die Erhaltung zu (1). Hinzu kommt die vergleichsweise kurze „Nutzungsdauer“ der Tiere. Durch die ständigen Schwangerschaften ohne Erholungsphasen werden viele Kühe vorzeitig unfruchtbar und werden geschlachtet.

Die Massentierhaltung ist nur mit dem Einsatz von Antibiotika überhaupt möglich.

Bankrotterklärung Antibiotika
Dies sind nur einige Beispiele für das Leid der Tiere und die skandalöse Verschwendung von Leben. Eine weitere Bankrotterklärung des landwirtschaftlichen Systems liegt in der Anwendung von Antibiotika und den daraus resultierenden Resistenzen. Die Massentierhaltung ist nur mit dem Einsatz von Antibiotika überhaupt möglich (2). Deswegen scheiterte auch die 2014 eingeleitete Reform des Arzneimittelrechts zur Senkung des Antibiotikaverbrauchs. Dadurch sank zwar der Verbrauch in Tonnen. Dies lag jedoch nicht daran, dass tatsächlich weniger Antibiotika verabreicht wurden, sondern daran, dass die Tierhalter auf hochwirksame Reserveantibiotika (Colistin) zurückgriffen, die niedriger dosiert werden müssen. So kam es wie es kommen musste: Am 25. August 2017 wurde erstmals ein Bakterium identifiziert, das gegen alle bekannten Antibiotika resistent ist. Die zeigt das Beharrungsvermögen des Systems. Die Gabe von Reserve-Antibiotika hat dazu geführt, dass die vorerst letzte Waffe gegen gefährliche Infektionen stumpf geworden ist, und wir uns schlimmstenfalls auf ein postanti-biotisches Zeitalter zubewegen. Trotz aller Bemühungen: Die resistenten Keime werden bleiben und sich vermehren. Wenn es eine wirklich fatale und nicht mehr rückgängig zu machende Folge der modernen Landwirtschaft gibt, dann ist es diese.

Preiskampf und Höfesterben
Und was ist mit den Landwirt:innen? Zwischen 2003 und 2016 ist fast ein Drittel der Höfe in Deutschland verschwunden. Von den verbliebenen rund 10 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben werden bis 2040 weitere zwei Drittel aufgeben. Grund ist eine verfehlte EU-Subventionspolitik, die die Fördergelder immer noch hauptsächlich nach Fläche ausschüttet und damit einseitig die Großbetriebe begünstigt. Hinzu kommen die Zunahme von Extremwetterereignissen, steigende Getreide- und Energiekosten, die Konsequenzen auch der Pandemie (Stichwort Schweinestau) und von Tierseuchen. Viele Betriebe befinden sich zudem in einer ruinösen Abwärtsspirale durch die Marktmacht von Discountern, Molkereien und Schlachthöfen. Verbesserungen in der Tierhaltung sind ohne Zuwendungen von außen oft gar nicht mehr möglich.

System schafft nur Verlierer
Außer einigen Nutznießern schafft dieses System nur Verlierer. Es ist schädlich für Tiere, Umwelt und Menschen. Es verursacht millionenfaches Leid und verschwendet Leben und Ressourcen. Jeder Versuch einer Veränderung zum Positiven führt in die nächste Sackgasse. Dies zeigt: Dieses System ist aus sich selbst heraus nicht reformierbar. Wir brauchen einen Neustart, bei dem sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.

1) Vetimpulse (4), Februar 2022, S. 7
2) Kritischer Agrarbericht: 2017 (kritischer-agrarbericht.de)
3) Puten in der Massentierhaltung Albert Schweitzer Stiftung (albert-schweitzer-stiftung.de)
4) Statistisches Bundesamt
5) Steckbrief_Schweine.pdf (thuenen.de)
6) Steckbrief_Legehennenhaltung_2021_ET_1200dpi (thuenen.de)
7) Topagrar 5/2022, S. 22
8) Steckbriefe zur Tierhaltung in Deutschland: Mastgeflügel (thuenen.de)