Allgemein Missstände beim Vollzug Tierrechte

Neue Studie: Warum werden Tierschutzverstöße so selten bestraft?

In einer aufwendigen Studie sind zwei Juristinnen der Frage nachgegangen, warum Tierquälerei sogenannter Nutztiere in den meisten Fällen nicht bestraft wird. Sie sprachen mit Staatsanwälten, Amtstierärzten, Tierschutzbeauftragten und Tierschutzorganisationen. Im Interview mit der Zeit beschreiben sie die Vielschichtigkeit des Problems, schlagen aber auch Lösungen vor.

Die meisten Ermittlungsverfahren bei Tierschutzverstößen von sogenannten Nutztieren werden eingestellt. Dabei gibt es gravierende Missstände auf allen Ebenen, bei Haltung, Transport und bei der Schlachtung. Von den 150 Fällen, deren Akten, die Juristinnen eingesehen haben, kamen nur elf Verurteilungen heraus, davon zehn Geldstrafen. Nur in einem einzigen Fall wurde jemand zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Staatsanwaltschaften sehen keinen Grund zu ermitteln
Die Gründe dafür sind vielschichtig: Zu einen schaffen es viele Fälle gar nicht erst zu den Staatsanwälten. Es werden keine Ermittlungen angeschoben, weil kein Handlungsbedarf gesehen wird. Wenn es zu Ermittlungen kommt, sehen die meisten Staatsanwaltschaften keinen Grund, zu ermitteln, wenn nur ein üblicher Verlust von Tieren vorliegt. Fünf Prozent der Hähnchen, so die Faustformel, dürfen beispielsweise zugrunde gehen. Wird diese Rate nicht überschritten, wird nicht ermittelt.

Absurd: „Nutztiere“ werden sowieso getötet
Ein wichtiger Aspekt ist auch die psychologische Seite: Obwohl das Gesetz nicht zwischen „Nutztieren“ und „Haustieren“ unterscheidet, geht man bei sogenannten Nutztieren davon aus, dass sie sowieso getötet werden: „Ob die jetzt auf dem Weg zum Schlachthof noch mal misshandelt werden – was soll’s?“, sagt resigniert eine der Studienautorinnen, Elisa Hoven, die Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig ist.

Schwierige Beweisführung
Hinzu kommt, dass unser Strafrecht es Staatsanwälten nicht leicht macht, eine Straftat nachzuweisen. Um Tierquälereien zu verurteilen, müssen sie nachweisen, dass gegen Tierschutzvorschriften verstoßen wurde und die Tiere länger anhaltende, erhebliche Schmerzen erlitten haben. Dies ist im Nachhinein schwer zu beweisen, weil die Tiere meist nach kurzer Zeit geschlachtet werden. Da die Behörden meist überlastet sind, wird oft gar nicht versucht, diese schwierige Beweisführung anzutreten.

Beißhemmung durch enge persönliche Bindungen
Ein weiteres Problem liegt im Personalmangel in den Behörden: Kontrollen von Betreiben finden im Schnitt nur alle 17 Jahre statt, in Bayern alle 48 Jahre. Hinzu kommen die engen persönlichen Verbindungen zwischen Landwirten, Amtstierärzten und Ermittlern. Man kennt sich. Es geht um Arbeitserleichterungen, Gefälligkeiten und persönliche Beziehungen. So entsteht eine große Beißhemmung. Teilweise wird Amtstierärzt:innen sogar vom Amtsleiter untersagt, bestimmte Betriebe zu kontrollieren.

Tierschützer stehen unter Ideologieverdacht
Nun könnte man sagen, dass glücklicherweise Tierschutzorganisationen diese Lücke füllen, Tierschutzmissstände melden und ausführlich dokumentieren. Leider hilft dies nicht entscheidend weiter, denn Fotos und Filme von Tierschützern stehen für die Behörden oft unter Ideologieverdacht. Bei den Verfahren, die von Tierschutzorganisationen angestoßen wurden, folgte nie eine Hauptverhandlung vor Gericht. Anders sieht es bei Fällen aus, die von der Polizei entdeckt werden, hier wird eher ermittelt.

Strafrecht konkretisieren und Tieranwalt einführen
Zur Lösung dieser vielschichtigen Problematik, schlagen die zwei Juristinnen vor, die neue Position des Tieranwalts zu schaffen, der in einer staatlichen Behörde angesiedelt ist. Dieser Tieranwalt muss eigene Rechte im Strafverfahren bekommen. Zudem müsse das Strafrecht konkreter werden. Künftig sollte bestraft werden, wer Tieren zu wenig Platz gibt oder wer ein Tier ohne Betäubung schlachtet. Dies ist – im Gegensatz zu Leiden und Schmerzen der Tiere – leicht nachzuweisen.

Hier lesen Sie das Interview auf Zeit online: www.zeit.de
Hier lesen Sie den Beitrag „Massenhafte Tierquälerei ohne Folgen“.
Hier lesen Sie weitere Informationen zum Thema Missstände beim Vollzug: tierrechte.de