Trotz jahrelanger Proteste haben die Deutsche UNESCO-Kommission, die Kultusministerkonferenz (KMK) und Kulturstaatsministerin für die Aufnahme des Brieftaubenwesens in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes gestimmt. Dies erfolgte, obwohl der Bundesverband Menschen für Tierrechte die Gremien über die Tierschutzmissstände informierte. Neuliche Fragen an die Gremien wurden mit allgemeinen Erklärungen abgefertigt, ohne Antworten, wie die tierschutzwidrigen Praktiken zu rechtfertigen sind. Auf diese skandalöse Ignoranz hin fordern wir Erklärungen vom Verband Deutscher Brieftaubenzüchter.
Wenn Brieftauben, das „Glück“ haben, für Wettflüge geeignet zu sein und nicht vorher getötet wurden, geben sie auf den Flügen alles, um zu Partner oder Jungtieren zurückzukommen. Etliche sterben dabei oder stranden in Städten, in denen die Haustiere ums Überleben kämpfen und das Stadttaubenproblem vergrößern (1). Umso schockierender war die Anerkennung des Brieftaubenwesens als Immaterielles Kulturerbe im März 2022, zumal die erste Bewerbung 2018 aufgrund von Zweifeln am Tierschutz abgelehnt wurde.
Genannte Maßnahmen weder neu noch angemessen
In der Antwort der Deutschen UNESCO-Kommission und der KMK auf unseren Offenen Brief wurde zu keiner der Tierschutzprobleme Stellung bezogen (2). Leiden und Tod der Tauben wurden nicht einmal negiert. Es heißt, dass kontinuierliche und dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt entsprechende Anpassungen der Praktik an die Anforderungen des Tierwohls adressiert wurden. Die genannten Maßnahmen – Transportvorgaben, GPS-Tracker in Fahrzeugen, Ruhezeiten, Abstimmungen mit Wetterdiensten, Taubenklinik, Aufklärungsarbeit bei den Züchter:innen, Notfall-Nummer für die Rückführung von Brieftauben – sind weder neu noch beheben sie die Kritikpunkte.
Tierquälerische Tradition nicht schützenswert
Der Wettbewerb mit Brieftauben und die Methoden sind unethisch und widersprechen dem Wertewandel unserer Gesellschaft, zumal es nicht zeitgemäß ist, nur die Starken überleben zu lassen. Das Tierleid kann durch keinen vernünftigen Grund gerechtfertigt werden, insbesondere da es sich um ein Hobby mit Absichten auf Gewinn und Anerkennung handelt. Nachdem die Gremien verweigerten, Stellung zu beziehen, wie das Leid der Brieftauben mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist, hat Menschen für Tierrechte nun Erklärungen vom Verband der Brieftaubenzüchter gefordert. Bereits 2020 konnten auf Nachfrage zur angeblich zentralen Rolle des Tierschutzes die Tierschutzverstöße nicht widerlegt werden.
Verantwortung im Nachhinein auf Tierschutzorganisationen übertragen
Der aktuelle Offene Brief (3) fordert Erklärungen zu den Methoden, dem Unterlassen der Flugverlust-Auswertung, der Nachverfolgung von Tauben und von Auflassverboten bei schwierigen Wetterlagen und fragt, wie das damit verbundene Tierleid bzw. Tiertötung begründet werden angesichts des Tierschutzgesetzes (§1), das regelt, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Wir fordern, die Missstände zu beheben. „Da sich laut der Deutschen UNESCO die Brieftaubenzüchter einem Dialog geöffnet haben, um den strittigen Punkten der Praktik stärker gerecht zu werden und eine vertiefte Zusammenarbeit der Züchter mit Tierschutzorganisationen und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit deren konstruktiver Kritik in Zukunft unerlässlich sei, erwarten wir eine grundlegende Neugestaltung der Praktik. Da dies jedoch sicher nicht in naher Zeit geschieht, gehört die Auszeichnung aberkannt“, fordert Dr. Claudia Gerlach, Biologin und Fachreferentin beim Bundesverband Menschen für Tierrechte.
(1) Stadttauben sind in Deutschland immer Haustiere. Sie sind entflogene Brief-, Hochzeits- oder sonstige Haustauben und deren Nachkommen, siehe Rechtsgutachten: Arleth C., Hübel J. Rechtsgutachten Stadttaubenschutz. Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung; 29.10.2021. PDF online
(2) Bei der Züchtung von „AS-Tauben“ werden „ungeeignete“ Tauben getötet. Die Selektion erfolgt auch während der Trainings- und Wettflüge. Dabei kommt es zu regelmäßigen Verlusten. Zur Motivationssteigerung werden die monogamen Tiere überwiegen getrennt gehalten und für kurze Zeit vor dem Flug zusammengeführt oder ein Elterntier wird vom Nachwuchs getrennt. In dem Offenen Brief fragte Menschen für Tierrechte wie das Leiden und Sterben der Tiere für ein Kulturerbe zu rechtfertigen sind und welche neuen Verbesserungen folgten. Hier lesen Sie den Offenen Brief an das Expertenkomitee Immaterielles Kulturerbe vom 22.3.2022.
(3) Offener Brief an den Verband Deutscher Brieftaubenzüchter e.V., 17.6.2022. PDF online
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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.