Stadttauben

Skandalös: Brieftaubenwesen ist Immaterielles Kulturerbe

Die Deutsche UNESCO-Kommission gab am 9. März fünf Neueinträge in die Liste des bundesweiten Immateriellen Kulturerbes bekannt, darunter auch das Brieftaubenwesen. Beschlossen hat dies die Kulturministerkonferenz (KMK) nach Empfehlung des UNESCO-Expertenkomitees.

Diese Entscheidung ist schockierend, wurde doch diese als Tierliebhaberei verschleierte tierquälerische Tradition bei der ersten Bewerbung 2018 abgelehnt. Gründe waren Zweifel an der vollumfänglichen Einhaltung der Tierschutzgesetze, wie uns mitgeteilt wurde. In der Presse hieß es, die KMK hatte unter anderem eine mangelnde Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Kontroversen um Tierhaltung und -nutzung bemängelt.

Tierschutzmissstände seit langem bekannt und nicht widerlegt

Der Bundesverband sowie andere Tierschützer:innen informierten die Entscheidungsträger während der damaligen wie auch der erneuten Bewerbung 2019 über die Tierschutzmissstände. Die 2019 dargestellten Verbesserungen stellten sich nach unserer Befragung als Mindeststandards bei der gesundheitlichen Versorgung heraus. Jedoch gab es keine Entwicklungen, die die leidvollen Bedingungen bei Haltung, Selektion und Wettflügen verbessern. Weiteres Tierleid folgt durch entflogene Brieftauben, die zur Vergrößerung der Stadttaubenschwärme beitragen, was auch die Kommunen belastet.

Zur Selektion „geeigneter“ Brieftauben werden viele Tiere getötet, meist bei vollem Bewusstsein durch Umdrehen des Kopfes. Die Selektion erfolgt auch während der Flüge. So kommt es nachweislich zu regelmäßigen Verlusten während der Trainings- und Wettflüge[1]. Der Züchterverband argumentierte mit geschulten Flugleitern, Auflassprotokollen, allmählicher Distanzsteigerung sowie „nicht korrekten Verlustraten“. Doch auch wenn die Verlustrate schwierig zu ermitteln ist, so lassen regelmäßig aufgefundene Tiere eine hohe Dunkelziffer erahnen.

Die Frage ist auch, wie die Getrennthaltung der monogamen Tiere für ein bloßes Hobby mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Nach dem Züchterverband kehren die Tauben aufgrund der Bindung zum Züchter, Orientierungsfähigkeit und Heimatliebe wieder. Doch diese beschönigenden Worte sind realitätsfern. Die Züchter nützen die Partner- und Standorttreue aus. Mit der sogenannten Witwermethode werden die, zum Teil über die gesamte Flugsaison, getrennt gehaltenen Partner für kurze Zeit vor dem Flug zusammengeführt [2] S.15. Weiterhin ist ein Minimum an Freiflügen nicht festgelegt, ein täglicher Freiflug wurde nur für die Sommermonate angegeben. Auch gibt es keine verpflichtenden Kontrollen für eine tierschutzgerechten Durchführung der Flüge, des Trainings und der Haltung.

Brieftaubenwesen darf kein Kulturerbe bleiben – Hobby rechtfertigt kein Tierleid

Der Bewerbungsprozess war nicht transparent. Eigentlich wurden die Traditionen der letzten Bewerbungsrunde Mitte 2021 ausgezeichnet, doch wie der Bundesverband auf Nachfrage nun erfahren hat, wurde das Brieftaubenwesen zurückgestellt, um in den fehlenden Dialogmit Tierschutzorganisationen zu treten. Dies wurde nicht nach außen kommuniziert, so dass der Bundesverband, der nicht in den Dialog einbezogen wurde, nicht reagieren konnte.

Da unverständlich ist, welche Verbesserungen der Brieftaubenverband erreicht hat oder mit welchen Versprechen und angeblichen Bekundungen er überzeugt hat, werden wir die UNESCO zu den Details der Tradition befragen.

Nach der UNESCO Website werden Zucht, Haltung und Distanzflüge stetig an die sich wandelnden Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Vorstellungen angepasst. Zentral für den verantwortungsvollen, artgerechten Umgang mit den Tieren und somit für den Erhalt des immateriellen Kulturerbes bleibe die stetige gesellschaftliche Debatte um Tierwohl und Tierethik. Eine vertiefte Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen sei für die Züchtenden unerlässlich. Hier wird der Bundesverband ansetzen und weiter zu dem leidvollen Leben von Brieftauben aufklären, die Züchtenden nach konkreten Verbesserungen befragen und die Streichung aus dem Verzeichnis anstreben.

Weitere Informationen:

[1] Warzecha, M., Kahlcke, K. und Kahlcke, M. (2009): Beitrag zur Ermittlung von Kennzahlen zu Verlusten bei Wettflügen von Brieftauben (Untersuchungszeitraum: 2004–2008). PDF online

[1] Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V.: Tierschutz im Brieftaubensport. Merkblatt 121. Juli 2009, Online unter: https://www.tierschutz-tvt.de/index.php?id=50#c290