Allgemein Presse/Magazin Pressemitteilungen Stadttauben

11. November 2021: Stadttauben: Kommunen haben Fürsorgepflichten

Ein neues Rechtsgutachten, das den rechtlichen Status von Stadttauben als Fundtiere untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommunen sowohl tierschutzrechtlich als auch fundrechtlich staatliche Pflichten im Sinne des Schutzes von Stadttauben haben. Sie sind nicht nur für die Versorgung der Tiere zuständig. Die Kommunen tragen auch die Verantwortung für die Lösung des menschengemachten Tierschutzproblems.

Das aktuelle Gutachten (1), das der juristische Referent der Landestierschutzbeauftragten Berlin, Dr. Christian Arleth, zusammen mit dem Tierarzt Dr. Jens Hübel erstellt hat, geht der grundsätzlichen Frage nach dem rechtlichen Status von Stadttauben als Fundtiere nach. Dies ist bedeutsam, weil sich daraus ergibt, wer für die Tiere zuständig ist.  

Stadttauben sind Haustiere
Das Gutachten stuft Stadttauben, das heißt sowohl entflogene und ausgesetzte Brief-, Hochzeits- oder sonstige Haustauben als auch deren Nachkommen, als Haustiere ein. Der Grund: Sie verlieren auch nach zahlreichen weiteren Generationen nicht das ihnen typische angezüchtete Verhalten und vermischen sich genetisch nicht mit den in Deutschland vorkommenden Wildtaubenarten. In dem Gutachten aufgeführte wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Nachkommen gezüchteter Tauben genetisch und verhaltensbiologisch gesehen über die Zeit nicht „verwildern“.  

Menschenverursachtes Leid
Aus dem Gutachten geht hervor, dass Stadttauben weder an ein Leben in freier Wildbahn adaptiert noch aufgrund der Zucht dafür geeignet sind. Das „Überleben“ gehe einher mit einem schlechten Gesundheitszustand und einer geringen Lebenserwartung. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass den Tieren eine hohe Brutaktivität angezüchtet wurde. Sie haben im Unterschied zu ihren wilden Verwandten eine hohe Gelegezahl, auch bei Nahrungsmittelknappheit („Brutzwang“). Beim schlüpfenden Nachwuchs kann es jedoch insbesondere bei Nahrungsmittelknappheit zu einer Mangelernährung kommen. 

Kommunen in der Pflicht
Deswegen bestehen sowohl tierschutzrechtlich (Art. 20a Grundgesetz, § 1 Tierschutzgesetz) als auch fundrechtlich staatliche Pflichten zum Schutz der Stadttauben, argumentieren die Autoren des Gutachtens. So gilt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 99 Abs. 1, 953, 966 Abs. 1): „Der Finder ist zur Verwahrung der Sache verpflichtet.“ Diese Vorschrift wird auch auf Tiere angewendet. Das ursprüngliche Eigentum an den ersten Zuchttieren setze sich aufgrund der nicht stattgefundenen Dedomestikation auch an den Nachkommen fort. Die Nachkommen stünden damit selbst dann im Eigentum des Ursprungszüchters, wenn dieser nicht mehr ermittelbar ist. 

Zur Verhinderung von Tierleid verpflichtet
Der Besitz von nicht in der Obhut befindlichen domestizierten Tieren und deren Nachkommen liegt bei der Kommune, auf deren Gebiet sich das Tier befindet, schlussfolgern die Autoren. Daraus folgen für die Kommune Halterpflichten nach §§ 2 ff. Tierschutzgesetz (insbesondere Fütterung, Pflege, tierärztliche Versorgung). Es ergebe sich eine Garantenstellung (2) der Kommunen mit der Verpflichtung, das Tierleid, das bei unversorgten Stadttauben auftritt, zu verhindern. 

Nötig: Staatliche Finanzierung des Stadttaubenmanagements
Die tierschutzrechtlichen Schutz- beziehungsweise Halterpflichten umfassen demnach ein staatlich finanziertes Stadttaubenmonitoring und -management durch die zuständigen Behörden (federführend Veterinär- und Baubehörden) unter Einbindung von Tier- oder Vogelschutzvereinen und gegebenenfalls Ehrenamtlichen. Als bekanntestes und bewährtestes Mittel zur nachhaltigen Verbesserung des Tierschutzes und tierschutzkonformen Bestandskontrolle werden die erfolgreichen Aachener beziehungsweise Augsburger Pilotprojekte angegeben. Die beschriebene Umsetzung bezieht sich auf das Land Berlin und fordert zudem eine Taubenschutzverordnung sowie eine neue Sonderzuständigkeit „Stadttaubenmanagement“ in jedem Bezirk. Zu beachten ist ferner, dass Stadttauben als nicht besonders geschützte Wirbeltierart, nicht unter das Jagdrecht fallen. Das bedeutet, dass es verboten ist, sie zu fangen und zu töten sowie sie anzulocken und ihnen nachzustellen (§ 4 Bundesartenschutzverordnung) (3). 

Gutachten darf nicht ignoriert werden
„Die Kommunen sind in der Pflicht! Das hat das Gutachten eindeutig ergeben. Das darf nicht ignoriert werden und muss zu einer Wende weg von der überwiegend ehrenamtlichen Versorgung der Tiere hin zu einer Versorgung durch die Kommune führen“, fordert Dr. Claudia Gerlach von Menschen für Tierrechte. Ob die Ergebnisse des Gutachtens zu Konsequenzen führen, ist abhängig davon, wie die Entscheidungsträger:innen in Berlin und andernorts den Schlussfolgerungen entsprechen (4). 

Grüne: Austausch zum Stadttaubenmanagement
Um sich darüber auszutauschen, wie die Umsetzung des tierschutzgerechten Stadttaubenmanagements angegangen werden, fand kürzlich auf Initiative der Hamburger Landespolitikerin Lisa Maria Otte (Grüne) ein internes Online-Meeting mit grünen Kommunalpolitiker:innen unter anderem aus Berlin, Hamburg, Würzburg, Braunschweig, Koblenz/Neuwied und München statt. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte hatte zuvor über die Ergebnisse seiner Umfrage zu Stadttaubenprojekten informiert. Daniela Fischer, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Bundesverbandes, begleitete die Diskussion. Neben einem Erfahrungsaustausch wurden Argumentationslinien und gemeinsame Standpunkte erarbeitet, um sich bei der Durchsetzung zu unterstützen. Einigkeit herrschte unter anderem darüber, dass die Finanzierung nicht nur den Bau, Reparaturen, medizinischen Behandlungen und Futter abdecken sollte, sondern auch die Bezahlung von Schlagbetreuer:innen. Als sehr wichtig wurde die Dokumentation von Leistungen Ehrenamtlicher bewertet sowie Daten zum Eiaustausch und dem Aufkommen hilfsbedürftiger Tiere und Tierarztkosten, um die Dringlichkeit des Problems zu belegen. Taubenschläge sollten entsprechend einer Bedarfsanalyse über die Stadt oder Region verteilt sein. Fachkräfte sollten vernetzt arbeiten und möglichst einheitliche Standards nutzen. Der Bundesverband begrüßt die Initiative der Grünen, die durch das neue Gutachten bestärkt wird. Es liefert eine wichtige Überzeugungsgrundlage für die Verantwortungsübernahme des Stadttaubenmanagements durch die Kommune.    

Weitere Informationen:

(1) Arleth C, Hübel J. Rechtsgutachten Stadttaubenschutz.; 29.10.2021. 

(2) Bei der Garantenstellung (bekannt auch als „Garantenpflicht“) handelt es sich um eine Pflicht im Strafrecht, dafür einzustehen, dass ein bestimmter tatbestandlicher Erfolg nicht eintritt. 

(3) Arleth C, Mondon M. Beantwortung häufiger Fragen von Wohnungsbaugesellschaften, Vermietern und Mietern zum Umgang mit und zum rechtlichen Schutz von Stadttauben im Wohnungskontext. Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Senatsverwaltung für Justiz Verbraucherschutz und Antidiskiminierung; 01.11.2021. Available from: 

(4) Ein Gutachten ist ein begründetes Urteil von Sachverständigen über eine Zweifelsfrage beziehungsweise die Feststellung des geltenden und anwendbaren Rechts hinsichtlich eines Sachverhaltes ist, es hat jedoch keine besonders herausgehobene prozessrechtliche Bedeutung.

———————————————————————

Pressestelle:
Christina Ledermann
Tel.: 05840/99 99 790
Mobil: 0179/450 46 80
E-Mail: ledermann@tierrechte.de

———————————————————————

Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Neue Geschäftsstelle: Severinusstr. 52, 53909 Zülpich
Tel: 02252/830 12 10, Internet: www.tierrechte.de


Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

Wir sind Mitglied u.a. bei: