Interviews Tierversuchsfrei

Interview: humanes Thrombozytenlysat als validierter Ersatz für tierisches Serum zur Beurteilung der Chemosensitivität

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Die Universitätsmedizin Mainz vergab am 01. September 2021 erstmals einen mit 2.500 Euro dotierten Wissenschaftspreis für Nachwuchswissenschaftler:innen für die Entwicklung eines Nährmediums für spezifische humane Zellen. Der Bundesverband sprach mit der diesjährigen Preisträgerin, der Biologin Miriam Pons, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Toxikologie der Universitätsmedizin Mainz. Sie erhielt den Preis für ihre Untersuchung zum Thema „humanes Thrombozytenlysat als validierter Ersatz für tierisches Serum zur Beurteilung der Chemosensitivität“. Das Interview führte Dr. Christiane Hohensee.

Wie lange hat es gedauert, bis sich die Zellen an das neue serumfreie Medium gewöhnt hatten?
Dies war ein fließender Übergang. Zellen, die in Medium mit fötalem Kälberserum (FKS) wuchsen, habe ich in Medium mit humanem Plättchenlysat (hPL) umgesetzt. Dort wuchsen sie weiter und wiesen keine erhöhte Zelltodzahl, veränderte Morphologie oder andere offensichtliche Differenzen zu in FKS gezüchteten Zellen auf. Um mögliche Adaptionsprozesse auf molekularer Ebene zu erfassen, ließ ich drei Wochen vergehen, bevor ich mit weiteren Versuchen anfing. Auch danach konnte ich keine signifikanten Unterschiede beim Wachstum, der Morphologie und der Vitalität der Zellen feststellen. 

Handelt es sich um definiertes Medium oder treten hier auch Variabilitäten in der Zusammensetzung auf, die Einfluss auf die Kultur nehmen können?
Genau wie FKS wird hPL nicht synthetisch hergestellt. Das hPL wird aus angereicherten Thrombozyteneinheiten gewonnen, die von gesunden Spendern stammen. Diese wurden mir aus der Transfusionszentrale der Universitätsmedizin Mainz bereitgestellt. Daher kann die Zusammensetzung des Lysats je nach Spender leicht variieren. Um diese Variationen zu minimieren, habe ich bei jeder Herstellung von hPL die Thrombozyteneinheiten von mindestens drei Spendern vereinigt. Während meiner Versuche konnte ich keine Chargenvariationen feststellen. In einem geplanten Folgeprojekt oder bei der Herstellung von hPL in einem größeren Maßstab, wie zum Beispiel in der Industrie, könnten Thrombozyteneinheiten von einer größeren Zahl von Spendern vereinigt werden. Dies sollte Chargenvariationen ausschließen. 

Wie lange/wie häufig mussten Sie ihren Versuch wiederholen, um das Ergebnis zu erzielen?
Generell habe ich alle Versuche und alle Methoden mit Zellen, die mit hPL kultiviert werden, und mit Zellen, die mit FKS kultiviert werden, parallel durchgeführt. Dabei konnte ich zu keinem Zeitpunkt signifikante Unterschiede zwischen beiden Bedingungen feststellen. Außerdem wurden alle Experimente mindesten drei Mal unabhängig durchgeführt, um auf statistische Signifikanz zu testen. Unseren Versuchsaufbau sowie alle gewonnenen Ergebnisse konnten wir auch erfolgreich im Journal ALTEX (Pons et al., 2019) veröffentlichen und so einem breiten Feld an Wissenschaftlern zur Verfügung stellen.  

Hat eine andere Forschergruppe den Versuch wiederholt und bestätigen können?
Das von mir eigenständige Hergestellte hPL wurde von mehreren Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe (Institut für Toxikologie, Arbeitsgruppe Prof. Oliver H. Krämer) unabhängig verwendet. Auch ein Mitarbeiter einer anderen Arbeitsgruppe dieses Instituts hat für unsere Veröffentlichung Experimente mit hPL durchgeführt. Eine Proteomanalyse meiner Zellen wurde außerdem am Institut für molekulare Biologie (IMB) Mainz angefertigt. Alle Beteiligten konnten bestätigen, dass die Ergebnisse zwischen beiden Haltungsbedingungen gleich ausfielen. Zudem zeigen andere Arbeitsgruppen, dass auch andere Zelltypen sehr gut in hPL wachsen.  

Kennen Sie die FKS-Datenbank der Universität Utrecht (https://fcs-free.org/)? Beabsichtigen Sie, Ihre Ergebnisse dort mit aufnehmen zu lassen?
Diese Datenbank ist mir bekannt und ich habe den Antrag für die Aufnahme unserer Ergebnisse in der Datenbank eingereicht. Ich hoffen auf eine schnelle Zulassung, um eventuell weitere Forscherinnen und Forscher zu motivieren, hPL für ihre Zellen einzusetzen.  

Welchen Arbeitsschritt planen Sie als nächstes?
Selbstverständlich muss hPL auch für weitere Zelltypen und alle gängigen zellbasierten Versuche validiert werden, um auf dem Markt zu bestehen. Weiterhin planen wir eine Kooperation mit einer Arbeitsgruppe der Hautklinik. Dort werden 3D Spheroid-Modelle von Melanomzellen kultiviert. Wir erwarten, dass auch diese problemlos in hPL wachsen. Um auch in Zukunft weiter mit hPL arbeiten zu können, möchte ich außerdem gerne einen Antrag für Fördermittel einwerben. Das langfristige Ziel meiner Arbeiten ist es, die Zellkulturen tierleidfrei zu gestalten.  

Wie sehen Sie die Zukunft von Thrombozyten-Lysaten beim dauerhaften und flächendeckenden Ersatz von FKS (begrenzte Verfügbarkeit, Ablaufdaten, Varianz zwischen batches, potenziell humanpathogene Verunreinigungen)?
Die Abnahme von Blut erfolgt in Deutschland unter strengsten hygienischen Bedingungen. So werden Verunreinigungen und Erkrankungen von Spendern und Empfängern des Bluts ausgeschlossen. Die gewonnenen Thrombozyteneinheiten sind für oft sehr kranke und geschwächte Patienten vorgesehen. Deshalb wird jede Einheit in der Transfusionszentrale genaustens auf Krankheitserreger untersucht. Hinzu kommt, dass hPL vor Zugabe zu Zellkulturen sterilfiltriert wird. Dieser mehrstufige Prozess ist viel hygienischer und weitaus besser kontrollierbar als die Gewinnung von fötalem Kälberblut. Selbstverständlich werden die Thrombozyteneinheiten keinem Patienten weggenommen werden. Aus Qualitäts- und Sicherheitsgründen dürfen diese Einheiten wenige Tage nach der Gewinnung keinem Patienten mehr verabreicht werden und werden daher meist verworfen. Sie eigenen sich jedoch dann immer noch hervorragend zur Herstellung von hPL für die Zellkultur. Wir haben diese „abgelaufenen“ Einheiten eingefroren und so für unsere Zwecke länger haltbar gemacht. Wie lange sie so gelagert werden können, muss noch untersucht werden. Variationen zwischen den Thrombozyteneinheiten verschiedener Spender kann man vermeiden, indem man Einheiten von mehreren Spendern vereint. Ein weiterer Vorteil ist, dass bei allen bisher getesteten Zelllinien 5% hPL im Medium hinreichend waren, um dasselbe Wachstum wie 10% FKS zu erzielen. Wegen dieser Reihe von Argumenten denke ich, dass ein flächendeckender Ersatz von FKS mit hPL realistisch ist. 

Wären synthetische Sera mit rekombinant hergestellten Proteinen/ Hormonen/ Wachstumsfaktoren nicht die richtige Lösung und wie könnte man dorthin kommen?
Tatsächlich existieren auf dem Markt bereits synthetische Medienzusätze. Diese bringen jedoch Nachteile mit sich. Zum einen sind synthetische Medienzusätze meist sehr teuer. Das bedingt, dass sie kaum Verwendung in der Drittmittelgeförderten, zellkulturbasierten Forschung finden, wodurch solche Produkte oft nicht gut abschätzbar sind. Generell ist bei einem Medienzusatz aus dem Menschen mit Sicherheit die nächstmögliche Imitation des Herkunftsorganismus bei der Kultivierung von humanen Zellen gewährleistet. Dies sollte ein proirisiertes Ziel der Wissenschaft sein, die den menschlichen Organismus und seine Krankheiten verstehen und heilen will. Ein Ziel von zukünftigen Arbeiten ist das Wirkprinzip in hPL komplett zu verstehen und darauf basierend langfristig eine besonders hochwertige und tierversuchsfreie Zellkultur zu etablieren. 

 

Pons, M., Nagel, G., Zeyn, Y., Beyer, M., Laguna, T., Brachetti, T., . . . Krämer, O. H. (2019). Human platelet lysate as validated replacement for animal serum to assess chemosensitivity. ALTEX, 36(2), 277-288. doi:10.14573/altex.1809211