Die scheidende Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) feiert ihre Tierschutzinitiativen gern selbst als „große Schritte“ oder „Meilensteine“. Die neuen Vergaberegeln für die immensen EU-Agrarsubventionen bezeichnete sie gar als „Systemwechsel“. In Wahrheit ist die Tierschutzbilanz der Großen Koalition eher eine „Tiernutzbilanz“.
Betrachtet man die Liste der Tierschutzthemen, mit denen sich die seit 2017 regierende Große Koalition beschäftigt hat, entsteht fast der Eindruck, dass sich in den letzten vier Jahren in Sachen Tierschutz viel getan hätte. Doch weit gefehlt. Beispiel Ferkelkastration: Obwohl es viel früher möglich gewesen wäre, verschob der Bundesrat Ende 2018 ein Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration auf 2021. Die Verschiebung bedeutete, dass 55.000 Tausend Ferkel täglich weiterhin völlig unnötige Qualen erleiden mussten. Und warum?
Armutszeugnis Ferkelkastration
Weil Schweinezüchter, Bauernverband und Fleischindustrie billig produzieren wollen und diesen Druck offenbar erfolgreich an die Politik weitergaben. Berlins grüner Senator Dr. Dirk Behrendt erklärte nach der Abstimmung: „Der Bundesrat hat den Tierschutz in Deutschland mit Füßen getreten“. Folgerichtig reichte Berlin 2019 Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Begründung: Die Schweinehaltung sei verfassungswidrig und unvereinbar mit dem Tierschutzgesetz.
Sauen weiter wochenlang fixiert
Nach monatelangen Verhandlungen, massiven Protesten und einem Eklat innerhalb der Bundestierschutzkommission stimmte der Bundesrat Juli 2020 für den sogenannten „Schweinekompromiss“. Diese Gesetzesänderung ermöglicht es, Muttersauen bis zu zehn weitere Jahre in sogenannten Kastenständen zu fixieren. Der Kompromiss enthält zwar Verbesserungen für die Tiere. Die Kastenstandhaltung im Deckbereich, wo die Sauen besamt werden und den Großteil ihrer Schwangerschaft verbringen, soll von einer Gruppenhaltung abgelöst werden. Danach sollen pro Sau fünf Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen, allerdings erst nach einer nochmaligen Übergangsfrist und Leidenszeit von bis zu zehn Jahren. Im sogenannten Abferkelbereich, wo die Sauen ihre Ferkel gebären und stillen, sind keinerlei Haltungsverbesserungen vorgesehen. Die Fixierungszeit im sogenannten „Ferkelschutzkorb“, der auch eine Art Kastenstand ist, soll auf fünf Tage verkürzt werden – allerdings erst in 15 bis 17 (!) Jahren. Von einem Erfolg für die Tiere oder gar einem „Systemwechsel“ zu sprechen, ist bei den langen Übergangsfristen dieser äußerst tierquälerischen und seit Langem illegalen Haltungsform, jedoch nicht mehr als Schönfärberei.
Scheinerfolg: Ausstieg aus dem Kükentöten
Nach dem Koalitionsvertrag hätte das millionenfache Töten der männlichen Küken eigentlich bereits 2019 beendet sein müssen. Doch auch dieses Verbot kam erst mit großer Verzögerung. Am 20. Mai diesen Jahres beschloss die Bundesregierung, das Kükentöten ab 2022 zu verbieten. Mit dem Verbot reagierte Klöckners Ministerium auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2019, das die barbarische Praxis auf Basis des Staatsziels Tierschutz als verfassungswidrig einstufte und sie deswegen nur noch für eine Übergangszeit zuließ. Doch auch dieses Verbot ist nur ein Scheinerfolg. Denn die aktuell verfügbaren Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei funktionieren erst nach dem neunten Bebrütungstag. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Embryonen bereits ab dem siebten Bruttag Schmerz empfinden können. Zudem ändert dies nichts am Ausbeutungssystem. Die sogenannten Legehennen werden weiterhin nach einem Jahr getötet, wenn ihre Legeleistung nachlässt.
Never-Ending Story „Tierwohl-Label“
Seit fünf Jahren diskutiert die GroKo die Einführung eines staatlichen Tierschutzlabels. Doch Klöckners Großprojekt wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. So wie Klöckner das Label geplant hatte, stieß es ohnehin weder bei den Tierschutzverbänden, den Bürger:innen, der Opposition, noch beim Koalitionspartner SPD und dem Bundesrechnungshof auf Gegenliebe. Hauptkritikpunkte waren die viel zu niedrigen Anforderungen für die unteren Labelstufen und die Tatsache, dass das Label nicht verpflichtend, sondern nur freiwillig sein sollte. Klöckner begründete dies mit dem EU-Rechtsrahmen, der nationale verbindliche Kennzeichnungen nicht erlaube. Da stellt sich die Frage, wieso die Ministerin Jahre auf ein freiwilliges Label verschwendete, statt eine effektive und EU-rechtskonforme Lösung zu finden. Und die hätte es geben können. Bei der vierstufigen Eierkennzeichnung ist dies beispielsweise gelungen. Es wird sich zeigen, ob es der nächsten Bundesregierung gelingen wird, endlich ein verpflichtendes staatliches Label mit strengen Kriterien einzuführen. Doch auch ein besseres Label ist kein Allheilmittel für die systembedingten Missstände in der industrialisierten Tierhaltung.
Tiertransporte: Entdeckt Klöckner ihr Herz für Tiere?
Ende Juni 2021 gerierte sich Klöckner beim EU-Agrarrat als Tierschutzministerin. Auf der Agenda stand ein Antrag, der ein EU-weites Verbot von Langstreckentransporten lebender Tiere in Nicht-EU-Länder forderte. Dieses soll bei der Überarbeitung der EU-Verordnung umgesetzt werden. Der Vorstoß ist natürlich zu begrüßen. Skandalös ist jedoch, dass Klöckner ein Export-Verbot auf nationaler Ebene bisher konsequent blockiert – obwohl sich der Bundesrat noch Anfang des Jahres für ein Verbot ausgesprochen hatte und mehrere unabhängige Gutachten belegen, dass es mit EU-Recht vereinbar ist.
EU-Agrarwende bleibt aus
Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die EU-Agrarminister:innen kürzlich auf neue Vergaberegeln in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2027. Danach sollen 25 Prozent der jährlich 270 Milliarden Euro Direktsubventionen an Umweltprogramme – sogenannte Eco-Schemes – geknüpft werden. Aus Sicht des Tier-, Arten- und Klimaschutzes ist dies mehr als enttäuschend. Es bedeutet, dass weiterhin dreiviertel der Direktzahlungen pauschal an die Fläche geknüpft sind. Die industrielle Tierhaltung wird damit weiter begünstigt – ein Systemwechsel sieht anders aus. Auch hier stand Klöckner auf der Lobbybremse.
Lobbyerfolg bei Tierversuchen
Acht Jahre ließ sich Deutschland Zeit, um seine Regelungen zu Tierversuchen EU-konform zu machen. Doch auch hier zeigt sich, dass die Bundesregierung versucht, strengere EU-Vorgaben zum Schutz der Tiere in den Laboren zu umgehen. Enttäuschend war auch Klöckners Wildtierverbot im Zirkus, das sie überraschend im November 2020 vorlegte. Doch der Bundesrat erteilte ihrem „Meilenstein für den Tierschutz“ am 25. Juni 2021 eine überraschende Abfuhr, weil die Länder (und auch die Tierschutzverbände) das Gesetz als unwirksam betrachteten, um die Leiden von Wildtieren in Zirkussen zu beenden.
Die GroKo hinterlässt „Tiernutzbilanz“
Die GroKo hinterlässt also eher eine „Tiernutzbilanz“. Dabei war die Zeit noch nie so reif für die überfälligen Systemwechsel hin zu einer tierversuchsfreien Wissenschaft und einer tierleidfreien Lebensmittelproduktion. Die Signale sind überdeutlich. Dies zeigen unter anderem der überwältigende Erfolg der EU-Bürgerinitiative zum Verbot der Käfighaltung und der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), der sich für eine durchgreifende Transformation der Landwirtschaft und des Ernährungssystems ausspricht. Konkret fordert das Gremium eine Ökologisierung der Landwirtschaft, eine Halbierung des Fleischkonsums, weniger Tiere in den Ställen sowie mehr Klimaschutz. Nun kommt es darauf an, dass sich diese positiven Ergebnisse im nächsten Koalitionsvertrag wiederfinden. Die Hoffnungen richten sich auf die nächste Bundesregierung. Ob diese dem Tierschutz einen höheren Stellenwert einräumt, liegt am 26. September in den Händen der Wählerinnen und Wähler.