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Berlin-Wahl: Keine Tierschutzambitionen bei SPD, CDU und FDP

Am 12. Februar 2023 wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus – ein Anlass, die Wahlprogramme näher anzuschauen und die Tierschutzpläne der Parteien zu durchforsten. Die Bilanz fällt eindeutig aus: Während die bisher mitregierenden Grünen und Linken weitreichende Tierschutzpläne vorlegen, enttäuscht die mitregierende SPD. Auch CDU und FDP messen dem Tierschutz in ihren Programmen so gut wie keine Bedeutung bei.

Die Tierschutzbilanz der seit 2016 regierenden rot-rot-grünen Koalition aus SPD, der Linken und den Grünen ist durchwachsen. Rot-Rot-Grün hat sich durchaus bemüht, dem Tierschutz mehr Bedeutung beizumessen. Die größte Errungenschaft der Legislatur dürfte die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage sein, deren Makel jedoch die schwache Form der nachträglichen „Feststellungsklage“ im Bereich der Tierversuche ist. Positiv zu bewerten ist die Einführung einer hauptamtlichen Tierschutzbeauftragten, aktuell die engagierte Tierärztin Kathrin Hermann, inklusive Mitarbeiterstab. Von bundesweiter Bedeutung ist ferner die Normenkontrollklage zur Schweinehaltung, die Berlin 2019 beim Bundesverfassungsgericht einreichte.

Berlin „Hauptstadt der Alternativmethoden“?
Um das Ziel zu erreichen, Berlin zur Hauptstadt der Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen zu machen, wurde im Charitè-Vertrag 2018-2022 mit dem Land Berlin vereinbart, dass die Charité-Universitätsmedizin gemeinsam mit mehreren Instituten und wissenschaftlichen Einrichtungen die Entwicklung von tierversuchsfreien Verfahren in Berlin vorantreiben soll. In die letzte Legislaturperiode fallen zudem beispielsweise die Einrichtung des Einstein-Zentrums 3R, das Tierversuche im Bereich der biomedizinischen Forschung reduzieren oder ersetzen soll, sowie die Grundsteinlegung zweier Gebäude für zellbasierte Therapien und menschliche Organmodelle, für die Berlin und der Bund 68 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben.

Streitpunkt Tierversuchskommission
Die Zusammenarbeit der rot-rot-grünen Koalition gestaltete sich über die Legislatur oft schwierig. Auf dem Tiefpunkt angekommen war die Beziehung, als es um die Neuaufstellung der Tierversuchskommission (TVK) und um die genehmigende Behörde ging. Zeitweilig kam es zu einem regelrechten Schlagabtausch über den Berliner Tagesspiegel. Dabei wurde heftig und unsachlich an der „Corona“-Daumenschraube gedreht. Dem grünen „Tierschutz“-Senator Dirk Behrend wurde eine Behinderung der Forschung vorgeworfen. Um der paritätischen Besetzung der TVK näher zu kommen, wurden letztlich zwei unabhängige Tierschutz-Vertreter:innen nachnominiert. Auf Druck der Wissenschaftsverwaltung, angesiedelt beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), wurde jedoch festgelegt, dass der in Patt-Situationen entscheidende Vorsitz (Wissenschaft) ein doppeltes Stimmrecht hat.

SPD-Hochschulgesetz versagt beim Tierschutz
Ein zweiter Beschluss sollte bei der anstehenden Novellierung des Hochschulgesetzes die tierversuchsfreie Lehre und Forschung an Berliner Hochschulen stärken. Auf die Verwendung von Tieren sollte in der Lehre „möglichst“ weitgehend verzichtet und entsprechende alternative Lehrmethoden- und -materialien entwickelt werden. Im Beteiligungsverfahren wurden zwar viele Stakeholder konsultiert, nicht jedoch die Tierschutzverbände. Heraus kamen in der Vorlage der Wissenschaftsverwaltung und Senatsbeschluss wachsweiche Formulierungen, die quasi in einer Nacht und Nebel-Aktion in ein „Gesetz zur Stärkung der Berliner Wissenschaft“ integriert wurden. Sie tragen jedoch nicht dazu bei, den Tierverbrauch an den Hochschulen zu reduzieren und bieten den Studierenden keine Rechtssicherheit.

Richtige Richtung: Berliner Ernährungsstrategie
Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Ernährungsstrategie, die die rot-rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hat. Vorrang sollen dabei regionale, saisonale und biologisch erzeugte Lebensmittel, die Gemeinschaftsverpflegung und die Ernährungsbildung in Schulen und Kitas haben. Die Grünen betonen dabei die Bedeutung der pflanzlichen Ernährung. Dies findet sich jedoch nicht eindeutig in der offiziellen Präsentation der Strategie. Um eine klimaschonendere Ernährung zu fördern, muss die die pflanzenbasierte Ernährung Berliner Strategie zukünftig jedoch mehr Gewicht bekommen und klar benannt werden.

Aufgeschoben oder aufgehoben?
In der Legislatur nicht erreicht wurden: eine bessere Ausstattung der Behörden und häufigere Tierschutz-Kontrollen. Nicht umgesetzt wurde auch der Koalitionsbeschluss von 2019, aufgrund dessen sich der Senat auf Bundesebene für einen Paradigmenwechsel hin zur tierversuchsfreien Forschung einsetzen sollte. Auch die Einführung eines Stadttaubenmanagements wurde nicht umgesetzt. Grüne und Linke übernahmen dies jedoch in ihre Wahlprogramme.

Grüne wollen Tierbestände reduzieren
In den Wahlprogrammen widmen Grüne und Linke dem Tierschutz eigene Kapitel oder Abschnitte. Die Grünen haben ihr Programm von 2021 für die Wahl überarbeitet. Beide wollen die Haltung von Heim- und sogenannten Nutztieren verbessern, sprechen sich für verstärkte Kontrollen und Verfolgung von Tierschutzvergehen aus und wollen die Behörden besser ausstatten. Die Linke fordert darüber hinaus die Einrichtung einer Fachstaatsanwaltschaft für Tierschutz. Die Grünen wollen Massentierhaltung und Qualzuchten beenden und sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Tierbestände reduziert und die Tiere nach Öko-Standards gehalten werden. Produkte aus Massentierhaltung wollen sie klar kennzeichnen.

Tierversuche: grüne und linke wollen einen Ausstiegsplan
Grüne und Linke sprechen sich zudem dafür aus, Tierversuche mit neuen Methoden zu ersetzen. Gemeinsam mit allen Stakeholdern, wollen sie einen Ausstiegsplan erarbeiten. Die Grünen wollen dies auch auf Bundesebene und EU-Ebene voranbringen. In den Wahlprogrammen von SPD, CDU und FDP findet sich dagegen nichts zu diesem wichtigen Zukunftsthema.

Verbot von schwerbelastenden Versuchen
Sie wollen zudem Tierversuche mit Schweregrad „schwerst“ sowie Versuche an Primaten nicht weiter zulassen. Außerdem wollen sie Projekte fördern, die Tierversuche ersetzen oder die Tierzahlen reduzieren. Die Linke will Forschungsförderungen nur noch gewähren, wenn tierfreie „Alternativen“ genutzt, erarbeitet oder weiterentwickelt werden. Auch soll das Wissen über tierversuchsfreie Methoden bereits in den entsprechenden Studiengängen vermittelt werden. In der Lehre soll, wo immer möglich, auf Tierversuche verzichtet werden.

Wenig Tierschutzambitionen bei CDU, SPD und FDP
Die CDU plant bei den Hochschulen keine Tierschutz-Verbesserungen und kann sich ansonsten lediglich dazu durchringen, Tierheimhunde von der Hundesteuer zu befreien oder ehemalige Diensthunde öffentlich zu versorgen. Die FDP forderte zumindest noch 2021 ein Verbot von bestimmten Wildtieren in Wanderzirkussen. Sonst kommt der Tierschutz nur in pädagogischen Zusammenhang mit Kitas und Schulen vor. Es scheint, als wollten CDU und FDP zwar den Tierschutz irgendwo in ihrem Wahlprogramm unterbringen, aber damit bloß keiner Lobby wehtun – ein Armutszeugnis in Anbetracht der Bedeutung des Tierschutzes, beispielsweise im Zusammenhang mit Ernährung, Landwirtschaft und Klimawandel, Artenschutz oder Pandemievorsorge.

Grüne und Linke für bessere Haltungsbedingungen
Die Grünen wollen ein Heimtierregister sowie eine Tier-Notruf-Nummer einführen und auf Bundesebene darauf hinwirken, dass Haltung, Zucht und Handel von Heimtieren in einer Tierschutz-Heimtierverordnung geregelt wird. Pferdekutschen in der Stadt wollen sie abschaffen und lehnen den Einsatz von Pferdestaffeln ab. Grüne und Linke setzen sich außerdem für ein berlinweites Taubenmanagement mit betreuten Taubenschlägen ein. Weiterhin beabsichtigen beide Parteien, das Berliner Jagdgesetz zu reformieren und tierschutzgerechter zu machen. An Zirkusse mit Wildtieren sollen nach dem Willen der Grünen keine öffentlichen Flächen mehr vergeben werden, auf Bundesebene streben sie zudem ein völliges Verbot von Wildtieren in Zirkussen an.

Mehr Tierschutz mit Grünen und Linken
Auffällig ist, dass vor allem Konservative und Liberale den Grünen und Linken das Feld des unbequemen Themas Tierversuche und Ernährung und Landwirtschaft überlassen. Die CDU hat in ihrem Wahlprogramm 2023 den Hund entdeckt. Sie kündigt an, das Berliner Tierheim zu fördern, Tierheimhunde von der Hundesteuer zu befreien, ehemalige Diensthunde öffentlich zu versorgen, Bürohunde zu fördern und mehr Hundeauslaufgebiete und –badestellen im Stadtgebiet auszuweisen. Außerdem will die CDU den Handel mit Tieren, insbesondere den Welpenhandel, stärker regulieren und den illegalen Tierhandel als Straftat einstufen. Die Konservativen wollen zudem Initiativen fördern, die Kindern den Tierschutz in Kitas und Schulen nahebringen. Tierpark und Zoo sollen als Orte der Bildung gestärkt werden.

Hier können Sie sich die Wahlprogramme herunterladen: CDU, FDP, SPD, Grüne, Linke