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01. September 2021: Vorbildlich: Unimedizin Mainz zeichnet tierleidfreies Verfahren aus

Die Universitätsmedizin Mainz vergibt heute am „Science-Day“ erstmals einen mit 2.500 Euro dotierten Wissenschaftspreis für Nachwuchswissenschaftler:innen für die Entwicklung eines Nährmediums für spezifische humane Zellen. Dies ermöglicht es, auf das leidvolle fötale Kälberserum (FKS) bei diesen Kulturen zu verzichten. Die Auslobung soll Jungwissenschaftler:innen motivieren, tierversuchsfreie Methoden zu erforschen und das Leiden der Tiere in Experimenten zu reduzieren (1). Bundes- und Landesverband Menschen für Tierrechte begrüßen sowohl die Einrichtung dieses Preises als auch die Auszeichnung des tierleidfreien Verfahrens. 

Die diesjährige, erste Preisträgerin ist die Biologin Miriam Pons, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Toxikologie der Universitätsmedizin Mainz. Sie erhält den Preis für ihre Untersuchung zum Thema „humanes Thrombozytenlysat als validierter Ersatz für tierisches Serum zur Beurteilung der Chemosensitivität“. Bundes- und Landesverband Menschen für Tierrechte begrüßen sowohl die Einrichtung dieses Nachwuchswissenschaftler-Preises durch die Universitätsmedizin Mainz als auch die Auszeichnung dieses Verfahrens. „Obwohl es immer mehr moderne tierversuchsfreie in-vitro-Methoden gibt, kultivieren viele Wissenschaftler:innen ihre Zellen und Gewebe noch immer mit fötalem Kälberserum, das unter großem Tierleid gewonnen wird. Deswegen ist jeder Ansatz zu begrüßen, der es ermöglicht, auf FKS zu verzichten!“, sagt Carolin Spicher, Biologin und Fachreferentin beim Bundesverband Menschen für Tierrechte. 

Leidvoll: fötales Kälberserum
Zur Gewinnung von FKS werden ungeborene etwa sieben Monate alte Rinderföten während der Schlachtung des Muttertiers herausgeschnitten und anschließend entblutet. Häufig ersticken sie schon während des Schlachtprozesses. Die Gewinnung von fötalem Kälberserum ist in Deutschland verboten, weil die Methode ethisch inakzeptabel ist. Die Verwendung von FKS als Nährmedium für Zellkulturen ist aber nach wie vor erlaubt. Das FKS wird in der Regel in außereuropäischen Ländern gewonnen, mit Ausnahme der französischen Firma Biowest (2). 

FKS: Verbrauch steigt weltweit
Die Standardmedien für die Kultivierung tierischer und humaner Zellen sind sogenannte definierte Zellkulturmedien (Basalmedien). Jedoch werden die Primärzellen oder Zelllinien zusätzlich „motiviert“, sich zu teilen. Das geschieht über ein noch nicht vollständig geklärtes Zusammenspiel von Hormonen und Wachstumsfaktoren aus FKS, das dem Basalmedium zugefügt wird. Mit diesem Serum wird jedoch ein undefiniertes Gemisch biologisch aktiver Substanzen in ein definiertes Kulturmedium eingebracht. Obgleich diverse Firmen mittlerweile serumfreie Medien für verschiedene Zelllinien anbieten, steigt der Verbrauch an FKS jedoch weltweit an (3). „Der Einsatz von einem undefinierten Gemisch ist nicht nur ethisch, sondern auch wissenschaftlich nicht vertretbar. Dass die Verwendung von tierischem Serum und – meist – menschlichen Zellen physiologisch nicht passt, wurde lange Zeit von der Wissenschaft ignoriert“, kritisiert Spicher. 

Ziel: serumfreie Nährmedien
Zwar laufen bereits seit Jahren etliche Forschungen zum Ersatz des FKS durch beispielsweise tier-serumfreie, komplett serumfreie sowie serum- und proteinfreie Nährmedien. Insofern ist die Arbeit von Miriam Pons kein komplett neuer Ansatz. Seit 2008 empfiehlt die europäische Validierungsbehörde ECVAM die Verwendung serumfreier Medien. Die Industrie ist bereits auf die Thrombozyten aufmerksam geworden. Die Kommerzialisierung von Alternativmedien steht jedoch noch am Anfang ihrer Entwicklung. Mittlerweile gibt es rund zehn Firmen, die Thrombozytenlysate anbieten, darunter ist die Firma Cook Biotech die größte. Jeder Forscher hat mit seinen Zellen ein spezifisches Problem, das gelöst werden muss.  

Individuelles humanes Nährmedium
Dies ist Miriam Pons nun gelungen: Sie untersuchte gezielt die spezielle Fragestellung, ob humanes Thrombozytenlysat als Nährmedium für spezifische humane Zellkulturen (Leukämie- und Darmkrebszellen) geeignet ist. In diesen Zellkulturen soll die Chemosensitivität (z.B. von Medikamenten zur Behandlung von Tumoren) ermittelt werden. Pons konnte zeigen, dass humanes Thrombozytenlysat als Nährmedium für diese Zellkulturen gut geeignet ist. Erste Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht (4). In weiteren laufenden und zukünftigen Arbeiten will die Biologin den Einsatz von humanem Thrombozytenlysat an weiteren Zelltypen erforschen und strebt die Validierung der Ergebnisse an. Denn nur eine positive Validierung wird letztlich auch zur Anwendung in der Forschung und zur Verdrängung des FKS führen. 

Die Einführung des Preises für die Umsetzung des 3 R-Prinzips an der Universitätsmedizin Mainz wurde vom Leiter des Translational Animal Research Center (TARC) der Universitätsmedizin Mainz initiiert.  

 

 Weitere Informationen und Quellen:

(1) Das 3R-Konzept „Refinement, Reduction und Replacement“, also Verfeinerung, Reduzierung und Ersatz von Tierversuchen wurde 1959 von den britischen Wissenschaftlern Bill Russel und Rex Burch entwickelt. Danach sollten Tiere nur dann eingesetzt werden, wenn wissenschaftliche Ziele nicht anders zu erreichen sind, keine anderen Alternativen vorhanden und Schmerz sowie Leiden der Tiere auf ein Minimum begrenzt werden können. 

(2) https://correctiv.org/faktencheck/medizin-und-gesundheit/2019/07/24/kaelberserum-grausames-geschaeft-mit-dem-blut-ungeborener-kuehe/

(3) https://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/2250-workshopbericht-serum-freie-medien-sind-besser-als-foetales-kaelberserum

(4) Pons, M., Nagel, G., Zeyn, Y., Beyer, M., Laguna, T., Brachetti, T., Sellmer, A., Mahboobi, S., Conradi, R., Butter, F. and Krämer, O. (2019) “Human platelet lysate as validated replacement for animal serum to assess chemosensitivity”, ALTEX – Alternatives to animal experimentation, 36(2), pp. 277-288. doi: 10.14573/altex.1809211. 

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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