Interviews Qualzucht: Tierleid für Forschung, Profit und Eitelkeit

Interview: „Parallelwelt jenseits gesetzlicher Vorschriften“ 

Die Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik Diana Plange war mehrere Jahre als praktische Tierärztin sowie als Amtstierärztin in Niedersachsen und Berlin tätig, bevor sie 2017 Landestierschutzbeauftragte von Berlin wurde. Seit 2020 ist sie im Ruhestand und engagiert sich unter anderem beim Qualzucht Evidenz Netzwerk (QUEN). Im Interview berichtet sie über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Millionengeschäft Qualzucht, die Uneinsichtigkeit von Züchtern und Verbänden und erklärt, was passieren muss, um das Leid der Tiere zu beenden. 

Frau Plange, warum werden Tiere qualgezüchtet?
Die Motivation dazu reicht von reiner Experimentierfreude über die Befriedigung persönlicher Eitelkeiten bis hin zu knallharten wirtschaftlichen Interessen.  

Welche Tierarten sind von Qualzucht betroffen?
Die Fülle der Tierarten und Rassen, die mit Defekten belastet sind, ist überwältigend. Neben den Heimtieren sind auch die so genannten Nutztiere millionenfach betroffen. Sie gehören durch die Priorisierung von genetischen Leistungsmerkmalen wie Milchmenge, Legeleistung, Fleischansatz sowie Schnellwüchsigkeit zweifellos zu den Qualzuchten. Ihre Zucht verstößt auch gegen §3 des Tierschutzgesetzes, nachdem verboten ist, Tieren Leistungen abzuverlangen, die sie überfordern. Wir Menschen haben weder rechtlich noch unter ethischen Gesichtspunkten die Rechtfertigung so mit Tieren umzugehen. 

Bulldogge

Frau Plange, die Berliner Zeitung bezeichnete Sie einmal als Berlins streitbarste Amtstierärztin. Können Sie sich an einen besonders krassen Fall von Qualzucht erinnern?
Einer von leider vielen „krassen“ Fällen war eine kleine Französische Bulldogge, die ihr Besitzer in der Absicht eine neue Rasse zu schaffen, von einer mehr als doppelt so großen und schweren Englischen Bulldogge decken ließ. Die Hündin konnte die im Verhältnis zu ihrem Becken, übergroßen Welpen nicht auf normalem Wege gebären und hat auch nach dem Kaiserschnitt ihre Welpen nicht angenommen.  

Grundsätzlich kann also jeder Laie einfach Tiere züchten?
Leider ja, in Deutschland darf jede Person Tiere dazu benutzen, eigene Vorstellungen von Aussehen oder Eigenschaften durch gezielte Verpaarungen umzusetzen. Jeder darf eine Zucht beginnen, eine neue Rasse erfinden, einen Zuchtverband gründen und eigene Regeln erstellen, was erlaubt oder verboten ist.  

Wo bleibt die Fachkompetenz?
Ist leider oft nicht vorhanden. Besonders schockiert hat es mich, wenn Menschen, die keinerlei Ahnung von möglichen Defekten, wie beispielsweise Merle hatten, Aussagen machten wie:“ Ich züchte nicht nach Abstammung, sondern nach besonderen Farben oder Fellzeichnung“. Dabei muss man sicher unterscheiden zwischen Menschen, die aus Unwissenheit handeln und solchen, die bekannte, zum Teil schwere Defekte billigend in Kauf nehmen. Hier zeigt sich auch die Ambivalenz der Bezeichnung „Defektzucht“ kontra „Qualzucht“, denn man will ja zunächst niemanden unterstellen, dass er vorsätzlich Tiere quält. 

Haben die Zuchtverbände nicht ein Interesse an Seriosität?
Grundsätzlich ja, doch meine Erfahrungen widersprechen dem, was die großen Zuchtverbände in ihren Hochglanzformaten potenziellen Welpenkäufern suggerieren – nämlich, dass sie gesunde Hunde von seriösen Züchtern erhalten. Im Rahmen meiner Tätigkeit war ich auch für die Erlaubnis und die Kontrolle von Tierzuchten zuständig. Die Uneinsichtigkeit einiger Züchter und die Ignoranz von vielen Klubzuchtwarten, Zuchtrichtern und Zuchtverbänden hat mich damals schockiert. 

Gibt es Unterschiede zwischen gewerblichen und privaten Züchtern?
An dieser Stelle muss zunächst einmal mit der völlig überholten Unterscheidung zwischen sogenannter „Hobbyzucht“ und „gewerblicher Zucht“ aufgeräumt werden. Eine Tätigkeit die in Gewinnerzielungsabsicht erfolgt, ist gewerblich. Tierzüchter, die den Nachwuchs ihrer Zuchttiere verkaufen, tun dies in aller Regel nicht zum Selbstkostenpreis. Je skurriler, exotischer, oder seltener ein angebotenes Tier ist, desto höher der Preis. So können besondere Hunde, Katzen, Schlangen und viele andere Tiere leicht tausende Euro kosten.

Qualzucht ist also ein Riesengeschäft?
Ja, es ist leider ein mächtiger Wirtschaftszweig, von dem nicht nur Züchter, sondern auch das Ausstellungswesen, Futtermittelhersteller, Versicherungen, Zubehörproduzenten bis hin zu Pharmaunternehmen und Fahrzeugherstellern profitieren. Zuchtverbände und Dachorganisationen haben dafür eine Parallelwelt erschaffen. Nicht umsonst hat das OLG Düsseldorf dem größten Dachverband erst kürzlich die Eigenschaften eines Kartells unterstellt. Dieses bewegt sich nicht nur jenseits gesetzlicher Vorschriften, sondern fordert teilweise sogar aktiv zum Verstoß gegen das Qualzuchtverbot auf, etwa, wenn zum Schutz der Genvielfalt dazu aufgerufen wird, nur mäßig betroffene Tiere gezielt mit „freien“ Tieren zu verpaaren, statt sie komplett aus der Zucht zu nehmen. 

Diana Plange mit zwei, aus einem Zirkus freigekauften Ponys

Wie läuft das auf Ausstellungen?
Leider werden auf Ausstellungen immer wieder Tiere gezeigt, die unter das Qualzucht-Verbot fallen. Mit der Ausstellung und Bewertung beteiligen sich Veranstalter und so genannte Zuchtrichter an der Verbreitung und Beförderung dieser illegalen Zuchten. Das steigert unglücklicherweise auch noch das Selbstbewusstsein der entsprechenden Züchter. Zuchtrichter und Veranstalter tragen dafür eine Mitverantwortung, auch eine rechtliche. 

Seit 1986 gilt im deutschen Tierschutzgesetz der sogenannte Qualzuchtparagraf 11b, der Qualzüchtungen verbietet. Warum ist das Problem nicht längst gelöst?
Nachdem selbst der Gesetzgeber eingesehen hatte, dass der Vollzug mit der ursprünglichen Formulierung nicht funktionieren konnte, hat er 2013 eine neue Formulierung gewählt. Ausdrücklich in der Absicht, den Vollzug zu erleichtern. Doch das Qualzuchtverbot wird immer noch missachtet. 

Wie erklären Sie sich das?
Auf der Suche nach den Ursachen für das bestehende Vollzugsdefizit zeigt sich in allen Ländern, in denen gesetzliche Regelungen zu Qualzuchten vorliegen, dass neben unzureichenden Definitionen von Qualzuchtmerkmalen, fehlenden personellen Ressourcen und einer mangelnden Sensibilisierung für das Thema, vor allen Dingen die Zeit für gründliche Recherche und Vorbereitung von entsprechenden Anordnungen fehlt. Die Behörden müssten also zunächst in die Lage versetzt werden ihrer Pflicht, nämlich der Umsetzung geltender gesetzlicher Vorschriften, nachzukommen.  

Welche Rolle spielen die Amtstierärzte und die praktischen Tierärzte? 
Wir haben als Tierärzte leider viel zu lange zugesehen. Um dies umzukehren, würde ich mir Mut und Entschlossenheit zum gemeinsamen Vorgehen gegen Zuchten mit defektbelasteten Tieren aller Art wünschen. Mein Motto war immer: „Wenn wir – die Tierärzt:innen – nichts tun, wird auch nichts geschehen“! Auf uns ruht ein großer Teil der Verantwortung für diese Entgleisung. Zukünftig darf nicht mehr die Erhaltung einer Rasse Priorität haben, sondern die Gesundheit und das Wohlergehen der gezüchteten Tiere. Das Tierschutzgesetz schützt das einzelne Tier, nicht nur die von Menschen geschaffenen Rassen oder Populationen.  

Was müsste noch passieren?
Der Gesetzgeber muss tätig werden, indem er das im Bereich Qualzucht eigentlich schon recht gute Verbot mit einer gut durchdachten Durchführungsbestimmung stützt. Außerdem muss der Vollzug massiv gestärkt, unterstützt und eingefordert werden. Wichtig wäre auch eine bessere Fortbildung von Richtern und die Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die auch den Bereich Tierschutz abdecken. 

Was wollen Sie mit dem Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN) erreichen?
Kurz gesagt, unterstützt QUEN die Veterinärämter durch die Bereitstellung der notwendigen Informationen, die sie beispielsweise für die Begründung von Anordnungen und Verboten brauchen. 

Wie war die Resonanz nach der Veröffentlichung von QUEN?
Die Reaktion und die Beteiligung der Tierärzteschaft und der wesentlichen Organe des Berufstandes waren bereits nach der Ankündigung überwältigend. Das zeigt uns, dass wir mit dem Ansatz, die Veterinärbehörden und Tierärzte zu unterstützen, „ins Schwarze“ getroffen haben. Der Wille zur Veränderung ist da, es war nur der kleine Schritt zwischen Erkenntnis und praktikabler, effizienter Umsetzung nötig. Die engagierten Kollegen können wir ermutigen und unterstützen. Außerdem wird die Transparenz unseres Gemeinschaftsprojektes hoffentlich auch dazu führen die – nennen wir es mal – zögerlichen KollegInnen unter durchaus beabsichtigten moralischen Druck zu setzen. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass diese Transparenz die Diskussion zwischen Veterinärämtern, Tierschutzorganisationen, Gerichten und politischen Entscheidungsträgern versachlicht. Dies ist auch im Hinblick auf das Verbandsklagerecht bedeutsam.


Weitere Informationen:

Das Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN), das am 1. Oktober online ging, soll Veterinärämter dabei unterstützen, ihrer Garantenpflicht im Tierschutz nachzukommen, indem es ihnen den Vollzug durch die Bereitstellung der notwendigen Informationen, beispielsweise für die Begründung von Anordnungen und Verboten, erleichtert und politischen Entscheidungsträgern gebündeltes Wissen zur Verfügung stellt. Ziel ist, die Qualzucht von allen Tieren zu verhindern und zu beenden,  

Auf der Webseite können Merkblätter zu sichtbaren Defekten heruntergeladen werden, die es den zuständigen Behörden erleichtern, u.a. das demnächst wirksame Ausstellungsverbot umzusetzen. Die Erstellung der Merkblätter unterliegt einem Qualitätsmanagement und vor der Veröffentlichung einer universitären Endkontrolle . Neben den Heimtieren werden auch Merkblätter zu den so genannten Nutztieren bereitgestellt. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte unterstützt QUEN sowohl ideell als auch finanziell. 

Webseite: http://qualzucht-datenbank.eu