Industrielle Tierhaltung Qualzucht: Tierleid für Forschung, Profit und Eitelkeit

Qualzucht beu „Nutztieren“: Hochleistung um jeden Preis

Seit 1986 steht der Qualzuchtparagraph 11b im Tierschutzgesetz. Trotz einer Revision im Jahre 2013 wurde das Gesetz, wie im Falle der „Heimtiere“, nur unvollständig umgesetzt. Für die sogenannten Nutztiere wurde der Begriff der Qualzucht nie präzisiert. Derweil wird deren Leistung immer weiter gesteigert. Die Hochleistungstiere zahlen dafür mit einem frühen Tod. Experten und Tierschutzverbände fordern seit Langem Maßnahmen gegen den Hochleistungswahn – bisher ohne Erfolg. 

Lange Zeit galt das Dogma, dass sogenannte Nutztiere sich wohlfühlen und gesund sein müssen – ansonsten könnten sie nicht auf höchstem Niveau Fleisch, Eier und Milch produzieren.  Doch mit scheinbar unaufhaltsam steigender Leistung (siehe Tabelle 1) wird immer deutlicher, dass die extreme Belastung mit einem labilen Gesundheitszustand, beschönigend als „Berufskrankheiten“ bezeichneten Krankheiten und Schäden, erkauft wird. Den maximalen Schaden, einen frühen Tod, zahlen die meisten Hochleistungstiere (siehe Tabelle 2).  

Lebenserwartung von „Nutztieren“ im Vergleich

Zum Mastende nicht mehr lebensfähig
Dies wird insbesondere bei der Milchvieh- und Legehennenhaltung offensichtlich. Die Folgen kann auch der sorgfältigste Tierhalter nicht ausgleichen. Extrem ist die Lage jedoch auch bei Tieren, die zur Fleischproduktion gemästet werden. Viele wären über den Zeitpunkt ihrer geplanten Schlachtung hinaus nur noch kurze Zeit unter Schmerzen und Leiden lebensfähig. Beispiel „Masthühner“: Damit diese Masthybriden in etwa 33 Tagen „schlachtreif“ sind, hat man besonders schnell wachsende Mastlinien mit einem hohen Brustfleischanteil gezüchtet. Diese Masthybriden sind so qualgezüchtet, dass sie überhaupt nicht mehr lebensfähig sind. Etwa 13 Millionen Hühner sterben schon vor dem Ende der Mast, weil Beine, Herz und Lunge mit dem extremen Fleischzuwachs nicht mithalten können. 

Beispiel „Milchkuh“
An der Milchkuh kann man die Folgen einer konsequenten Zucht auf mehr Milchleistung, die in einer Qualzucht mündet, besonders gut verdeutlichen. Deutschland ist der größte Milcherzeuger der EU. Rund 4 Millionen „Milchkühe“ stehen derzeit in Deutschlands Ställen, Tendenz fallend, denn immer weniger Kühe geben immer mehr Milch. Die sehr hohe Milchleistung  (12.000 Liter/Jahr sind nicht ungewöhnlich) wird in einem Zeitraum von 300 Tagen erbracht. Dies sind über 40 Liter pro Tag. Danach wird die Kuh abgemolken, um ihr Kalb zur Welt zu bringen. In der Regel werden Mutterkuh und Kalb direkt nach der Geburt getrennt – eine traumatische Erfahrung für beide – und die Kuh geht wieder „in die Produktion“. 

Um bis zu 50 Liter Milch pro Tag zu produzieren, vollbringt der Organismus der Kühe die Stoffwechselleistungen eines Dauermarathons. Foto: soylent-network

Raubbau an der Kuh
Natürlicherweise reduziert die Kuh in der Zeit nach der Geburt die Futteraufnahme. Dies tut sie, um mehr Ressourcen für die Versorgung ihres Kalbs zur Verfügung zu haben. Da die Milchleistung von der Nahrungsaufnahme von Mutterkuh und Kalb entkoppelt ist, wird die angezüchtete Milchleistung unter allen Umständen erbracht. Während ein Kalb täglich nur etwa 8 Liter täglich trinkt, muss der Organismus der Kühe weiterhin die Stoffwechselleistungen eines Dauermarathons vollbringen, um teilweise bis zu 50 Liter Milch pro Tag zu produzieren. Dies durch die Fütterung auszugleichen, ist auch dem gewissenhaftesten Halter nicht möglich. Die Kuh gerät in eine sogenannte negative Energiebilanz. Die Zeche für diese hohe Milchleistung zahlt die Kuh mit schmerzhaften Erkrankungen und einem kurzen Leben. Als Folge erkranken 75 Prozent der Kühe unter anderem an Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen sowie Euter- und Klauenentzündungen. Weitere Folgen sind Problemgeburten, Gebärmutterentzündungen und Labmagenverlagerungen. Nach einer „Nutzungsdauer“ von nur drei Jahren werden sie geschlachtet. Sie sind dann durchschnittlich 5,5 Jahre alt (BMEL). Dabei kann eine Kuh unter normalen Bedingungen 20 Jahre und älter werden. 

 

200.000 Kälber jährlich getötet
Da die Kuh in ihrem Leben maximal 2 bis 3 Kälber zur Welt bringt, werden praktisch alle weiblichen Tiere als „Ersatz“ für die Mutter aufgezogen. Besonders schlecht ergeht es den männlichen Kälbern. Da sie sich zur Mast nicht eignen, ist es – ähnlich wie bei den männlichen Eintagsküken – unwirtschaftlich, sie aufzuziehen oder zu verkaufen. Durch Corona hat sich die Lage noch verschärft. Inzwischen weigern sich viele Händler, die Kälber überhaupt noch abzuholen. Es besteht der Verdacht, dass viele männliche Kälber nach der Geburt illegal getötet werden. Schätzungen gingen davon aus, dass jährlich bis zu 200.000 Kälber (1) in den ersten drei Lebensmonaten verendeten oder sogar getötet werden. Diese Kälber sind quasi ein Kollateralschaden der Milchproduktion und der einseitigen Zucht auf hohe Milchleistung. 

Leitungen von „Nutztieren“ damals und heute

Nötig: Leistungsobergrenzen festlegen
Die Zucht auf hohe Milchleistung und das damit zusammenhängende Leid der Kühe erfüllt eindeutig alle Kriterien der Qualzucht. Um das Leid der Tiere zu lindern, muss der Begriff der Qualzucht bei sogenannten Nutztieren dringend präzisiert werden. Das nächste Landwirtschaftsministerium müsste dazu ein Gutachten zu landwirtschaftlichen Nutztieren im Zusammenhang mit §11b erstellen. Alternativ oder zusätzlich sollte die Tierärzteschaft ein Gutachten über die besonders problematischen Linien der Nutztierzucht aus tiermedizinischer und ethologischer Sicht anfertigen und Lösungsansätze entwickeln. Parallel müssen für die „Nutztierzucht“ Leistungsobergrenzen festgelegt werden, dazu wäre der Gesetzgeber nach ermächtigt. Damit diese Obergrenzen eingehalten werden, müsste die nächste Bundesregierung dazu eine Rechtsverordnung erlassen, die Veränderungen und Verhaltensstörungen näher bestimmt und das Zuchtverbot bestimmter Arten, Rassen und Linien klar definiert. 

Ziel: Umstellung auf pflanzlichen Eiweißträger
Um die Missstände in der Milchproduktion und der Fleisch- und Eierproduktion konsequent zu beenden, spricht sich der Bundesverband Menschen für Tierrechte für einen Ausstieg aus der „Nutztierhaltung“ aus. Landwirte, die auf den Anbau von pflanzlichen Eiweißträgern wie Soja, Lupine, Erbse und Bohne umsteigen wollen, müssen explizit gefördert werden. Weitere Maßnahmen sind eine höhere Bepreisung sowie Einführung von zusätzlichen Abgaben auf tierische Produkte. Doch auch der Verbraucher ist gefragt: Je mehr Menschen zu pflanzlichen Alternativen greifen, desto deutlicher ist das Zeichen an den Handel und letztlich auch die Produzenten, auf tierfreundliche Pflanzenmilch umzustellen. 

 

Weitere Informationen:

(1) Abgerufen am 21.10.2021: https://www.welt.de/wirtschaft/article203765326/200-000-maennliche-Kaelber-werden-jaehrlich-illegal-getoetet.html