Qualzucht: Tierleid für Forschung, Profit und Eitelkeit Tierversuche

Qualzucht bei „Versuchstieren“: Keine Tiere zweiter Klasse

Auch sogenannte Versuchstiere werden gezielt auf bestimmte Eigenschaften gezüchtet. Sie werden quasi für Tierversuche optimiert. Nach der Definition müssten viele Züchtungen, beziehungsweise die in diesem Bereich dominierenden genetischen Manipulationen, unter den Qualzuchtparagraphen fallen. Doch dieser gilt nicht für „Versuchstiere“. Dies ist aus ethischer Sicht skandalös. Der „Anwendungszweck“ darf kein Vorwand dafür sein, gerade diesen Tieren Schutz zu verweigern.  

Das Qualzuchtverbot gilt ausdrücklich nicht für durch Züchtung oder biotechnische Maßnahmen veränderte Wirbeltiere, die für wissenschaftliche Zwecke „notwendig sind“. Über die Gründe, warum das Verbot für „Versuchstiere“ nicht gelten soll, kann man nur spekulieren. Naheliegend ist, dass dies Tierversuchsvorhaben behindern könnte. 2019 waren nach Informationen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 955.000 Versuchstiere genetisch verändert. Der Anteil an diesen sogenannten transgenen Tieren lag damit bei etwa 43 Prozent. Aber auch die nicht genetisch manipulierten Tiere (Mäuse und Ratten) sind spezielle Zuchtlinien mit genau definierten Eigenschaften.  

Nacktratte. Foto: iStockphoto/fotojagodka

Leiden schwer zu beurteilen
2014 wurden 450 Inzuchtstämme bei der Maus beschrieben. Ob die Tiere unter den Zuchtfolgen beziehungsweise unter der genetischen Veränderung leiden, ist in vielen Fällen jedoch kaum zu beurteilen. Ihr Leben ist zu kurz, ihre Umgebung zu unnatürlich und ein normales Verhalten damit gar nicht möglich. Verhaltensabnormitäten bei „Versuchstieren“ können deswegen schlecht oder gar nicht beurteilt werden. Der Zuchtschwerpunkt liegt weder auf ihrer Lebensqualität, ihrer Vitalität, ihrem Fortpflanzungserfolg, ihrem Verhalten noch ihren Fähigkeiten, sondern darauf, ob sie für den geplanten Versuch geeignet sind oder nicht. 

Beispiel Nacktmaus
Nacktmäuse sind von vornherein für potenziell schwerbelastende Versuche „prädestiniert“. Zur Erforschung von Krankheiten wie Krebs wurde gleichzeitig ihr Immunsystem manipuliert und herabgesetzt. Dies hat direkte Auswirkungen auf ihre Haltung. Immundefiziente Tiere werden in einer keimfreien Umgebung gehalten, damit Keime, die nicht Gegenstand der Untersuchung sind, sie nicht infizieren können. Zur Infektionskontrolle werden häufig gesunde und Tiere mit einem normalen Immunsystem (z.B. heterozygote Wurfgeschwister) als sogenannte Sentinels in derselben Einheit gehalten. Sie haben die Aufgabe, sich eventuell einschleichende Pathogene anzuzeigen. Diese Tiere werden regelmäßig entnommen und getötet, um den hygienischen Status zu überprüfen. 

Nacktmäuse in Versuchen. Foto: istockphoto/littlepeggy

Ständiger Kältestress
Das Hauptproblem dieser Nacktmäuse ist die Eigenschaft, nach der sie benannt sind: ihre Haarlosigkeit. Es liegt auf der Hand, dass diese Tiere unter ständigem Kältestress stehen. Die Durchschnittstemperatur von 22°C ist schon für eine behaarte (schlafende oder kranke) Maus zu kalt. Ihre Komfortzone liegt bei 30 bis 32°C. Unter Narkose ist bei Nacktmäusen eine Aufrechterhaltung der Körperinnentemperatur nur unter erschwerten Bedingungen möglich.  

Qualzuchtverbot muss für alle Tiere gelten
Das Qualzuchtverbot gilt zwar für Wirbeltiere, schließt aber Versuchstiere aus. Deswegen werden viele Nager mit entsprechenden Defekten nicht als Qualzucht eingestuft. Im Versuchstierbereich ist die Zucht belasteter Linien genehmigungspflichtig – verboten ist sie nicht. Der Gesetzgeber hat hier den Schutz der Tiere – und damit auch das Staatsziel Tierschutz – hinter die Freiheit der Wissenschaft gestellt. Vermutlich, um der Forschung freien Lauf zu lassen. Aus ethischer Sicht ist diese Ausnahme nicht nachvollziehbar: Versuchstiere sind keine Tiere zweiter Klasse. Der „Anwendungszweck“ darf kein Vorwand dafür sein, bestimmten Tieren Schutz zu verweigern. Der Bundesverband wird sich dafür einsetzen, dass auch die „Versuchstiere“ vor Qualzucht geschützt werden.