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02. Juli 2021: Erfolg: Tierversuch am Kaninchen soll vollständig beendet werden

Beim sogenannten Pyrogentest werden die Kaninchen in kleinen Kästen fixiert. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene injiziert. Foto: iStockphoto/ unoL

Innerhalb von fünf Jahren soll der Pyrogentest am Kaninchen vollständig durch eine tierfreie Alternative ersetzt werden. Dies hat die Kommission des Europäischen Arzneibuchs beschlossen. Das ist ein Erfolg für den Tierschutz, denn aktuell leiden und sterben allein in Deutschland immer noch über 6.000 Kaninchen jährlich in diesem Test, obwohl es seit mehr über zehn Jahren eine anerkannte tierversuchsfreie Testmethode gibt. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte begrüßt die Streichung des Tierversuchs, fordert jedoch, dass es nicht wieder passieren darf, dass Tiere weiter in Versuchen leiden, obwohl es längst ein tierversuchsfreies Verfahren gibt. Um über die Existenz erfolgreicher tierversuchsfreier Methoden zu informieren, hat der Verband das Kaninchen im Pyrogentest zum Versuchstier des Jahres 2021 gekürt.

Jedes Jahr leiden und sterben in Deutschland 6.457 Kaninchen für sogenannte Pyrogentests (1), auch Rabbit Pyrogen Test (RPT) genannt. Und das, obwohl es längst eine tierversuchsfreie Testmethode gibt. Dieser sogenannte in-vitro-Pyrogentest, auch Monozyten-Aktivierungstest (MAT) (2) genannt, arbeitet mit menschlichen Blutzellen statt mit Kaninchen. Doch, obwohl der MAT 2010 in das Europäische Arzneibuch aufgenommen wurde, gingen die Tierzahlen nicht zurück.

Tierversuchszahlen stiegen, statt zu sinken
Im Gegenteil: Statt zu sinken, stieg die Zahl der in der EU verwendeten Kaninchen zwischen 2008 und 2011 um 10.000 auf 170.000 pro Jahr. Der Kaninchenpyrogentest wurde einfach weiter durchgeführt. Dabei ist die Gesetzeslage eindeutig: Ein Tierversuch muss unerlässlich sein. Das bedeutet, wenn eine adäquate tierfreie Ersatzmethode zur Verfügung steht, darf der Tierversuch nicht mehr durchgeführt werden. Nun hat die Kommission des Europäischen Arzneibuchs beschlossen, dass der Pyrogentest am Kaninchen vollständig durch den MAT ersetzt werden soll (3).

Verstoß gegen nationales und internationales Recht
„Wir begrüßen, dass der Pyrogentest am Kaninchen nun endlich endgültig durch ein validiertes und etabliertes Verfahren abgelöst werden soll. Dafür habe ich mich als Mitglied des Entwicklerteams an der Universität Konstanz und später in der Tierschutzarbeit seit mehr als zwanzig Jahren eingesetzt. So erfreulich diese Nachricht ist, so skandalös ist es, dass es nach der Aufnahme in das Europäische Arzneibuch elf Jahre lang gedauert hat, bis dem Tierversuch endlich eine verbindliche Absage seitens der Kommission erteilt wurde. Dies hat tausende von Kaninchen das Leben gekostet – das war nicht nur ein Tierschutzskandal, sondern ein klarer Verstoß gegen nationales und internationales Recht!“, sagt Dr. Dr. Stefanie Schindler, Fachreferentin für tierversuchsfreie Methoden beim Bundesverband und früher an der Entwicklung und Anerkennung des tierfreien Tests beteiligt.

Fatale Fehler in Zukunft vermeiden
Die Arzneibuch-Verfasser haben sich jetzt dazu verpflichtet, den Tierversuch in allen Texten durch das tierversuchsfreie Verfahren zu ersetzen. Bis dahin sollen die Anwender aktiv ermutigt werden, nach Alternativen zu suchen, wobei der MAT die beste Option ist. „In Zukunft müssen so fatale Fehler vermieden werden. Es darf nicht sein, dass weiter Tiere in Versuchen leiden, die längst ersetzbar sind. Jedes Tier, dessen Leben für die Testung von Pyrogenen geopfert wurde, ist eines zu viel. Der MAT kann als Blaupause für die künftige Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren dienen. Die wichtigste Lektion: Papier allein reicht nicht; Webseiten und Datenbanken auch nicht. Sobald es ein anerkanntes tierversuchsfreies Verfahren gibt, müssen die Tierversuche konsequent aus den Regularien gestrichen werden. Dies darf nie wieder so lange dauern. Es muss verbindliche Fristen für die Umstellung geben und deren Nichteinhaltung muss konsequent sanktioniert werden“, fordert Schindler. Um die tierversuchsfreie Methode voranzubringen, hat der Bundesverband Menschen für Tierrechte das Kaninchen zum Versuchstier des Jahres 2021 gekürt.

(1) Der sogenannte Pyrogentest am Kaninchen wird seit Jahrzehnten standardmäßig durchgeführt, obwohl der Test als unzuverlässig gilt. Er fällt unter den Bereich der Qualitätskontrollen, zu denen auch sogenannte Chargen-Unbedenklichkeits-Prüfungen gehören. Für den Test werden die Kaninchen für mehrere Stunden in kleinen Kästen so fixiert, dass sie völlig bewegungsunfähig sind. Schon allein dies ist für die besonders bewegungsfreudigen Tiere eine Qual. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene injiziert. Rektal befindet sich ein Fieberthermometer, das kontinuierlich die Temperatur der Tiere misst. So müssen die Kaninchen für mehrere Stunden ausharren. Wenn sie Fieber entwickeln, ist klar, dass die Produktionseinheit mit Fremdkörpern verunreinigt ist. Sie kann nicht für den Verkauf freigegeben werden. Die Tiere werden mehrfach in diesen Test wie ein lebendes Messinstrument verwendet. Nach einer gewissen Zeit werden sie getötet.
(2) Entwickelt wurde der Monozyten-Aktivierungstest (MAT), auch „Konstanzer Methode“ genannt, von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Dr. Thomas Hartung, Doerenkamp-Zbinden-Professor und Prof. Dr. Albrecht Wendel an der Universität Konstanz. Sie arbeitet mit menschlichem Blut und nutzt eine humane Immunreaktion. Dazu wird die Probe mit dem Blut in Kontakt gebracht und bei 37 Grad in einem Brutschrank kultiviert. Wenn die Probe mit Pyrogenen verunreinigt ist, wird eine Abwehrreaktion ausgelöst. Als Anzeiger wirkt der weiße Blutzelltyp (Monozyt beziehungsweise Makrophage). Es wird kein Fieber ausgelöst wie beim Kaninchen, sondern es bilden sich bestimmte Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) im Blut. Dieser Botenstoff kann dann mit einer Farbreaktion sichtbar gemacht. Damit ist die Verunreinigung mit den schädlichen Pyrogenen belegt.
(3) https://www.edqm.eu/en/news/european-pharmacopoeia-put-end-rabbit-pyrogen-test
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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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