Was geschieht mit den Kälbern auf Langzeittransporten? Wo stehen wir?
Ein tiefes Mitgefühl für die gequälte Kreatur verlangt nach der Geltung unantastbarer Tierrechte
Rede von RA Dr. Eisenhart v. Loeper, Ansprache am Ostersamstag, 3. April 2021, Stuttgart
Es trifft auch uns mitten ins Herz, was Unverantwortliche den Tieren zufügen: Betroffen sind „nicht abgesetzte“, genauer, ihrer Mutter weggerissene Kälber. Diese Tierkinder werden auf langen Transporten erbarmungslos zur Sache, zur Wirtschaftsware degradiert. Das passt zu qualvollen Massentierhaltungen und zu Tierversuchen, bei denen selbst in Tübingen noch täglich Primaten – nächste biologische Verwandte des Menschen –gequält werden . Woher kommt diese empörende, irrsinnige Tyrannei? Wer ist dafür verantwortlich?
Erinnern möchte ich an unsere Geschichte: Nach den unsagbar barbarischen Verbrechen des Nazi-Regimes im Holocaust, an Andersdenkenden und in kriegerischen Verwüstungen war die historische Konsequenz das Grundgesetz, das in Artikel 1 als Fundamentalnorm bestimmt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Unveräußerliche Menschenrechte werden anerkannt.
Doch wir sagen und fordern ein: Auch die Würde des Tieres muss unantastbar sein. Dieser Staat hat sich 2002 im Grundgesetz – also auf höchster Ebene – für unteilbare Ethik mit Tieren entschieden, also muss der Staat auch Tierrechte und deren Lebensräume schützen. Alles Andere ist menschenunwürdig und unvereinbar mit unserer Stellung als humane Treuhänder für die Tiere.
Schon die Vordenker der Menschenrechte Jean-Jaques Rousseau, Jeremy Bentham, Friedrich Schiller und andere wussten vor über 200 Jahren, dass der Tag kommen wird, an dem auch die Tiere ihre Rechte erhalten. Bei Saint Exupery heißt es: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Aber bei der Französischen Revolution und in der Aufklärung kam die Solidarität mit anderen zu kurz, so dass verbrecherische Kriege, schreckliches Leid und die Vernichtung Andersdenkender folgten.
Wir erleben gerade jetzt in der Maskenaffäre, wie der Virus der Gier nach dem riesigen Profit die Moral zerbricht. Dieser Morast muss ausgemistet werden – auch im Umgang mit Tieren. Redlicher Neubeginn ist notwendig: Wir können nur vor uns selbst bestehen, wenn wir für das Leben und Wohlbefinden, für die unantastbare Würde der Tiere und für unsere Mitwelt einstehen. Die heutige Veranstaltung mit euch ist ein starkes Signal dafür. Dazu will ich beitragen, und zwar zur Rechtslage, zweitens zum Konflikt mit den Langzeit- Kälbertransporten und drittens zu den Konsequenzen daraus.
I. Zur Rechtslage gegenüber dem Tier
Viele von euch irritiert die Rechtslage gegenüber dem Tier: Zwar heißt es im Zivilgesetzbuch : „Tiere sind keine Sachen“. Das alte römische Recht, das auch Frauen und Sklaven als „Sachen“ männlicher Herrschaft unterwarf, ist zwar aufgehoben, aber noch vieles ungeklärt. Das Tier gehört noch einer Person als Eigentum oder es ist „herrenlos“ und wird dann wie eine Sache behandelt. Natürlich können Tiere keine Rechtsgeschäfte abschließen oder gar vor Gericht klagen, darin stehen sie Unmündigen gleich, aber sie haben durch ihr Zentralnervensystem ein gleiches Empfindungsvermögen, sie leiden wie wir und brauchen uns als Treuhänder für ihre Rechte. Das Eigentum am Tier muss sich immer messen lassen an der Obhut für das Mitgeschöpf, das wie der Mensch Unantastbares in sich birgt, das Würde und Achtung gebietet.
Tierrechte sind das Spiegelbild zu den Pflichten des Menschen nach dem Tierschutzgesetz. Es steht oft nur auf dem Papier, wenn es nicht einklagbar ist. Doch eine Art Quantensprung zum unantastbaren Tierrecht ist uns 1990 bis 2002 gelungen: Es war eine engagierte Bürgerbewegung, die ich initiieren und mit anderen auf allen Ebenen voranbringen durfte, die mit großartiger Beteiligung weitester Kreise in zwölf Jahren das Ergebnis erkämpfte: Die Tierethik für das leidensfähige Mitgeschöpf hat im Umweltschutzartikel 20 a GG durch die drei Worte „und die Tiere“ den Verfassungsrang erlangt. Und zwar geschah es kraft Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat. Das schränkt selbst weitgehende menschliche Grundrechte ein.
Ein Beispiel: Das Bundesverwaltungsgericht hat 2019 das wirtschaftlich bedingte Schreddern von jährlich 45 Millionen männlicher Küken für grundsätzlich rechtswidrig erklärt . Dieser hohe Rang des Grundgesetz-Artikels 20 a für den staatlichen Schutz der Tiere ist weichenstellend, muss aber mit Leben erfüllt werden:
1. Art. 20 a GG ist eine sog. Querschnittsklausel für Tiere wie sie ähnlich Art. 13 des Europ. Arbeitsweise-Vertrags kennt, das heißt, die staatliche Schutzpflicht für Leben und Wohlbefinden der Tiere als fühlende Wesen ist in allen Bereichen der Rechtsordnung stets zu beachten.
2. Die Fundamentalnorm des Artikels 1 Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – blieb lange missverstanden, alle Schöpfung sei für den Menschen da, ihm untertan, statt ein wirklicher Treuhänder für die Mitgeschöpfe zu sein. Jetzt aber ist die Menschenwürde unteilbar um die Tierethik ergänzt, das ist die Empathie für leidensfähige andere Wesen . Die Grundnorm des gesellschaftlichen Gewissens für die Tiere ist dank der Garantie des Rechtsstaats wirksam in die Tat umzusetzen.
3. Die Konsequenzen dafür heißen, dass der Gesetzgeber das Klagerecht für anerkannte Tierschutzverbände bundesweit einführen sollte, das ist nur in einigen Bundesländern, so auch in Baden – Württemberg erfolgt. Die Rechte der Tiere müssen unser Leben ändern. Damit hat das, wofür wir hier kämpfen die höchste Legitimation des Grundgesetzes. Und die Tierethik kraft Verfassungsrang muss bei den Gerichten und in der Behördenpraxis nachhaltig Geltung erlangen. Da gilt es unerhört viel verletzte Würde und Qual der Tiere aufzuarbeiten – selbst bei den Tauben in unseren Städten – und alle menschlichen, rechtlichen, politischen Hebel sind für die Tierrechte einzusetzen.
II Qualvolle Langzeittransporte „nicht abgesetzter“ Kälber
Ursächlich für den Konflikt ist: Die Überproduktion von Rindern vor allem in der Milchindustrie führt dazu, dass die Kälber, die ihren Müttern entrissen werden, damit die Muttermilch für den menschlichen Konsum genutzt wird, in andere Länder transportiert werden, wo sie gemästet und in andere Länder verkauft werden. Das ist tief beschämend. In einem demnächst publizierten juristischen Fachbeitrag haben Dr. Christoph Maisack und Dr. Barbara Felde festgestellt : Im Januar 2021 wurden allein aus Baden-Württemberg und Bayern über 2800 Kälber, die noch voll auf Muttermilch angewiesen waren, nach Spanien transportiert.
Konkret: Das Landratsamt Ravensburg hatte sich aufgrund eines Erlasses des Ministeriums für Ländlichen Raum geweigert, die lange Beförderung von 235 Kälbern auf einem Transportmittel abzufertigen, das nur eine Wasserversorgung für adulte Rinder enthielt. Der Verwaltungsgerichts-hof Mannheim hat dennoch wie zuvor das VG Sigmaringen entgegen dem LRA einstweilen angeordnet, den Kälbertransport abzufertigen .
Das wird vom Vorstand der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht treffend kritisiert:
1. Die Transportfahrzeuge ermöglichten es nicht, dass die Kälber Milch oder Milchaustauschmittel zu sich nahmen. Das Mannheimer Gericht meint, nach der EU-TTVO müssten die Kälber während des Transports nicht entsprechend ihrem Nährstoffbedarf versorgt werden, es genüge die formale Zulassung des Fahrzeugs, zumal die EU nichts weiter bestimmt habe. In Wahrheit können die Kälber aber aus den Tränkenippeln der Wassertränke nicht trinken, sie müssten auf 39 Grad erwärmte Milch oder MAT im Saugakt in ausreichender Menge in artgerechter Kopfhaltung trinken und ihren Bedarf decken können. Das muss für alle Kälber während des Transports gleichzeitig gesichert sein. Dies zu missachten, verletzt auch das in der EU-Tiertransport-VO enthaltene Verbot, den Tieren während des Transports unnötige Leiden zuzufügen. Unerträglich und rechtsstaatlich unhaltbar ist es, auf die gebotene tierartgemäße Ernährung zu verzichten, weil angeblich entsprechende technische Mittel nicht zur Verfügung stehen. Die Abfertigung der Kälber zum Transport war rechtswidrig, sie hätte unbedingt untersagt werden müssen.
2. Der VGH hat ferner die Transportverlängerung von höchstens 19 Stunden bis zum Anfahren des Bestimmungsortes oder der Versorgungsstation auf mindestens 24 Stunden für rechtens erklärt, weil es „im Interesse der Tiere“ liege, obwohl es in Wahrheit um das Interesse des Transportunternehmers geht. Dies missachtet das Prinzip von Art. 3 Satz 2 Buchst. A EU-TTVO, die Beförderungsdauer „so kurz wie möglich zu halten“. Da die Versorgung der Tiere an Bord des Transportfahrzeugs nicht möglich ist, müssen sie unter zusätzlichem Stress spätestens nach 9 Stunden abgeladen werden, um erstmals versorgt und dann wieder aufgeladen zu werden. Die Verlängerung der Pause beruht also allein auf der Mangelhaftigkeit des Transportmittels.
III Konsequenzen
Zum Schluss möchte ich Konsequenzen ansprechen, die mir dringend geboten erscheinen:
1. Die juristischen Experten Christoph Maisack und Barbara Felde schlagen treffend vor, das Land müsse sofort beim Verwaltungsgericht Feststellungsklage erheben, dass kein Anspruch auf Abfertigung von Transporten nicht abgesetzter Kälber besteht, solange deren artgerechte Ernährung während des Transports nicht stetig im bezeichneten Sinn gewährleistet ist; zugleich müsse beantragt werden, das Verfahren auszusetzen zur Vorlage der Rechtsfragen an den EuGH und zur Wiederherstellung des ministeriellen Erlasses, der diese Kälbertransporte wegen fehlender gesetzlicher Voraussetzungen untersagte.
2. Weitergehend kann und muss der bundesdeutsche Gesetzgeber die Lebendtiertransporte in Drittstaaten außerhalb der EU verbieten. Die freie Berufsausübung derer, die am Transport verdienen, würde dadurch nicht unverhältnismäßig beschränkt, weil das Verbot erforderlich, geeignet und angemessen sowie mit europäischem Recht zu vereinbaren wäre. Und zwar gilt dies, soweit nach gesicherten Erkenntnissen die ethischen und gesetzlichen Tierschutzanforderungen in den Drittstaaten nicht erfüllt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein unparteiisches Rechtsgutachten, das der Gutachtendienst aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen neuerdings erstellte . Wir sollten das zur Bundestagswahl aufgreifen und die Parteien politisch daran messen.
3. Zu guter Letzt: Die eigentliche Dimension unseres Auftrags sehe ich darin, genau auf eure ansprechende, dynamische Weise spürbar zu machen: Tierrechte sind ein Testfall unseres Menschseins, unantastbar, unteilbar im Mitgefühl mit allem, was lebt. Frei nach Christian Wagner mag gelten:
„ Einzustehen gewillt für das Recht des Lebendigen wider Satzung barbarischer Zeit erfleht ich der Göttlichen Beistand“
– da geht es nicht um flache juristische Winkelzüge, sondern um Urrechte des Lebens, um Vermeidung von Qualen, die auch uns tief berühren, um Hilfe für andere in der Not, um die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten, um unantastbares Recht, ja um uns Heiliges. Das ist Religio als Rückbindung zu den Quellen des Lebens.
Dies im Miteinander zu spüren und weiter wachsend mit Gefühl und Gewissen für unsere Mitwelt beizutragen, dafür lasst uns leben.
Ich danke euch.
Rede von RA Dr. Eisenhart v. Loeper, Ansprache am Ostersamstag, 3. April 2021, Stuttgart