Agrar- und Ernährungswende Interviews

„Landwirtschaft braucht keine Nutztierhaltung!“

Öko-Agrarmanagerin Anja Bonzheim

Anja Bonzheim hat Öko-Agrarmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde studiert. In ihren Abschlussarbeiten beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit dem Thema des veganen Ökolandbaus. Heute engagiert sie sich beim Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V., der diese Form des rein pflanzlichen Anbaus im deutschsprachigen Raum voranbringen will. Der Bundesverband unterstützt diese zukunftsweisende Form der Landwirtschaft. Im Interview berichtet Anja Bonzheim, warum sich viele Bauern und Bäuerinnen gegen Veränderungen wehren und wie sie erreichen will, dass mehr Betriebe auf den biozyklisch-veganen Anbau umstellen.

Pandemie, Klimawandel oder Artensterben – all diese Krisen zeigen uns überdeutlich, wie überfällig ein Paradigmenwechsel ist. Sind dies nicht gute Voraussetzungen, um jetzt eine Agrar- und Ernährungswende voranzubringen?

Mit 15,5 Prozent produziert der Sektor der Tierhaltung weltweit zu viele Klimagase. Zudem trägt er erheblich zum globalen Stickstoffüberschuss und auch zum weltweiten Artensterben bei. Der Hebel, die Tierbestände zu reduzieren und damit viele Emissionen einzusparen und Schadwirkungen zu mindern, wird politisch jedoch bisher nur unzureichend bewegt. Hierin liegt aus unserer Sicht eine große Chance. Wir müssen zeigen, dass die Tierhaltung ein überflüssiger und im Kern ein leidvoller Wirtschaftszweig ist, auf den wir sehr gut verzichten können, wenn wir uns gesund und vollwertig ernähren und ökologisch sinnvoll Lebensmittel erzeugen wollen. Wir müssen zeigen, dass eine ökologische Landwirtschaft auf rein pflanzlicher Grundlage langfristig funktioniert und in Kombination mit pflanzenbasierten Ernährungsweisen auch einen wesentlichen Beitrag zur Welternährung leisten kann. Wichtig dabei scheint mir vor allem, dass wirtschaftliche Interessen nicht mehr vorrangig die Entwicklung der Agrarbranche oder die agrarpolitischen Maßnahmen bestimmen. Wir sollten uns vor allem die Frage stellen, wie wir als Menschheit sicherstellen können, dass unsere Lebensmittelproduktion nicht unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört und fühlenden Lebewesen vermeidbares Leid zufügt.

Der Markt für Fleischersatzprodukte entwickelt sich derzeit so dynamisch wie nie zuvor. Immer mehr junge Menschen ernähren sich vegan oder vegetarisch. Doch statt dies als Chance zu begreifen, empfinden dies viele unserer heimischen LandwirtInnen als Affront. Wie könnte man sie erreichen und zu einem Umsteuern bewegen?

Es braucht vor allem wirtschaftlich tragbare Lösungen für Betriebe, die sich innerlich für ein Umsteuern öffnen. Wer in einen Stallumbau investiert hat, wird nicht auf den biozyklisch-veganen Gemüsebau umsteigen (können) und wer keine guten Absatzwege findet, wird nicht vom Milchviehbetrieb zum Hafermilchproduktionsbetrieb. Wer es sich nicht leisten kann, eine Kompostanlage zu bauen und einen Kompostwender zu kaufen, wird nicht von den Hornspänen auf eigenbetriebliches Kompostieren umsteigen. Es sind vor allem diese ökonomischen Faktoren, die eine betriebliche Entwicklung weg von der Tierhaltung und der tierischen Düngung blockieren. Es braucht also politische beziehungsweise finanzielle Anreize, auf den Pflanzenbau umzustellen.

Doch warum sperren sich viele LandwirtInnen dagegen, neue Wege zu gehen?

Psychologisch wirkt da sicher auch mit, dass die Arbeit, die von den landwirtschaftlich-gärtnerischen Produzentinnen und Produzenten verrichtet wird, gesamtgesellschaftlich wenig Wertschätzung erfährt. Es gibt jährlich neue Auflagen, sei es in der Düngemittelverordnung oder im Rahmen der EU-Agrarpolitik. Wer Land bewirtschaftet, muss sich unglaublich viel Wissen über die Gesetzeslage aneignen, einen Bürokratiedschungel durchblicken und unterliegt am Ende unvorhersehbaren Schwankungen auf dem Markt. Wenn dann noch die vegane Community „ankommt“ und die Tierhaltung anprangert, stößt dies meist auf Unverständnis und inneren Widerstand. Es braucht also eine grundsätzliche Wertschätzung der Arbeit dieser Menschen, um besser in den Dialog gehen zu können.

Problematisch ist sicher auch, dass die Bauern und Bäuerinnen unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen?

Ja, Verbesserungsvorschläge müssen betriebsspezifisch betrachtet werden. Während Landwirtin A ein gutes lokales Netzwerk hat und gerne in Kontakt mit Menschen geht, möchte Gemüsebauer B vielleicht lieber nur auf dem Feld sein und am liebsten große Mengen produzieren. Landwirtin A fährt möglicherweise mit einer solidarischen Versorgergemeinschaft in der Region am besten, während Gemüsebauer B durch eine biozyklisch-vegane Zertifizierung neue KundInnengruppen erreichen und biozyklisch-veganes Gemüse mit Mehrwert zu einem angemessenen Preis an den Groß- und Einzelhandel vermarkten könnte.

 Was tut Ihr Verein, um zu erreichen, dass mehr Betriebe auf den biozyklisch-veganen Anbau umstellen?

Einerseits bieten wir jährliche Praxis-Schulungen für umstellungsinteressierte Betriebe zum biozyklisch-veganen Anbausystem an. Dabei gehen wir auf pflanzenbauliche, ökonomische, aber auch persönliche Fragen der ErzeugerInnen ein. Geplant ist auch ein E-Learning-Tool, durch das sich Umstiegswillige selbst durchklicken können, um die Grundlagen des biozyklisch-veganen Anbaus zu verstehen und anwenden zu können.

Außerdem beraten wir Betriebe, die eine Kontrolle und Zertifizierung nach den Biozyklisch-Veganen Richtlinien in Erwägung ziehen. Seit kurzem arbeiten wir mit dem süddeutschen Verein „Begleitung zur Veganen Landwirtschaft e.V.“ zusammen, der Betrieben dabei hilft, Tierbestände zu reduzieren, beziehungsweise alternative Wege zu finden. Diese können beispielsweise ein Einkommen durch eine Lebenshofhaltung generieren. An der Stelle, wo es um die Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel ohne tierischen Dung geht, kommen wir dann ins Spiel. Diese Zusammenarbeit ist eine tolle Chance, auch tierhaltenden Betrieben, die sonst eher nicht zu unserer Zielgruppe gehören (wir konzentrieren uns derzeit auf reine Acker-, Obst- oder Gemüsebaubetriebe, die ohnehin schon keine Tierhaltung mehr betreiben), eine Option anbieten zu können.

Die Beratung von umstellungswilligen LandwirtInnen ist wichtig, aber die Produkte müssen sich ja auch verkaufen. Was tut der Förderkreis, um den Absatz von bio-veganen Produkten zu fördern?

Wichtig zur Etablierung des biozyklisch-veganen Anbaus ist auch die AG Handel, Verarbeitung und Konsum des Förderkreises, die sich darauf konzentriert, Vermarktungswege und Wertschöpfungsketten zu generieren. Das braucht es, um Betrieben eine ökonomische Perspektive anbieten zu können, wenn sie Produkte mit Biozyklisch-Veganem Gütesiegel erzeugen wollen.

Und letztlich ist auch unsere Aufklärungsarbeit ein wichtiger Baustein, um die Nachfrage nach solchen Produkten zu erzeugen, beziehungsweise zu fördern und den allgemeinen Bekanntheitsgrad des Gütesiegels und dieser Anbauform in der Gesellschaft zu erhöhen. Denn wir brauchen viele UnterstützerInnen.

Was plant der Förderkreis für die Zukunft?

Dieses Jahr ist ein sehr besonderes für uns. Im Juli wird ein Vernetzungsprojekt starten, für das wir im Rahmen der Verbändeförderung des Umweltbundesamtes Unterstützung erhalten werden und erstmals eine halbe Stelle zur Koordination des Projekts schaffen können. Es wird dabei zunächst um das Identifizieren von Hemmnissen und fehlenden Anreizen für die Umstellung auf den biozyklisch-veganen Anbau auf den Ebenen der Produktion, der Verarbeitung, der Vermarktung, aber auch auf der Ebene der Nachfrage gehen. In einem Workshop werden wir Lösungsstrategien für alle Stufen der Wertschöpfungskette erarbeiten, um zielgerichteter vorgehen zu können. Konkret geplant ist – neben der Erstellung eines Umstellungsleitfadens – einen Best-Practice-Film für interessierte ErzeugerInnen zu drehen, ein Online-Umstellungstool zu erarbeiten und im Jahr 2022 eine Vernetzungstagung zu organisieren.

 Wie sieht es mit politischer Lobbyarbeit für die biozyklisch-vegane Landwirtschaft aus?

Wir planen auch verstärkt agrarpolitische Arbeit zu machen und eine AG Politik zu gründen. Langfristig wünschen wir uns die Etablierung von Fachgremien zu verschiedenen Themen und mehr Personal für Beratung, Administration und Öffentlichkeitsarbeit einzustellen. Wir haben vor, uns mehr selbst an der Praxisforschung zu beteiligen und ein breites wissenschaftliches Netzwerk aufzubauen. Ziel ist es, Betriebe fachlich stets optimal begleiten und aus einem fundierten Wissenspool schöpfen und argumentieren zu können.


Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V.
Der Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V. hat die Förderung eines kreislaufbasierten Ökolandbaus ohne kommerzielle Nutz- und Schlachttierhaltung und ohne den Einsatz von Dünge- und Betriebsmitteln tierischen Ursprungs zum Ziel. Er ist ein gemeinnütziger, breiter Zusammenschluss von engagierten Privatpersonen, Betrieben und Institutionen aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Wissenschaft sowie von Organisationen, die sich für Tierrechte und eine vegane Lebensweise einsetzen. Der Verein berät Betriebe bei der Umstellung auf die biozyklisch-vegane Anbauweise und sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Vorteile des biozyklisch-veganen Anbaus. Des Weiteren begleitet er Forschungsvorhaben zum gezielten Humusaufbau und zur nachhaltigen Steigerung der Bodenfruchtbarkeit durch den Einsatz von biozyklischer Humuserde auf rein pflanzlicher Grundlage. Auch Privatpersonen können den Förderkreis durch eine Mitgliedschaft oder Spende unterstützen. www.biozyklisch-vegan.org