Interviews Stadttauben

Interview: Stadttaubenmanagement – aus der Praxis für die Praxis

Im Folgenden beantwortet Rudolf Reichert – Mitentwickler des „Konzepts zur tierschutzgerechten Regulierung der Stadttaubenpopulation“ häufig gestellte Fragen. Reichert hatte schon 1995 ein gut funktionierendes Stadttaubenmanagement in der Modellstadt Augsburg aufgebaut und betreut. Die Antworten basieren auf Aussagen der Fachliteratur bzw. aus Erfahrungswissen aufgrund jahrelanger praktischer Arbeit. Das Interview wurde bereits im Jahr 2016 vom Bundesverband geführt.

Wie sollten Taubenschützer vorgehen, die das Konzept zur tierschutzgerechten Regulierung der Stadttaubenpopulation in ihrer Stadt einführen wollen?

Der Wunsch, etwas für Stadttauben zu tun, geht in der Regel von einer Person aus. Wichtig ist zunächst, dass sich eine kleine Gruppe von Gleichgesinnten bildet, die sich intensiv mit dem Verhalten der Stadttauben und dem Stadttaubenproblem befasst. Informationsmaterial kann bezogen werden im Shop von Menschen für Tierrechte. Weitere Infos auf der Website des örtlichen Tierschutzvereines und auf der Website der Stadt Augsburg.

Die weiteren Schritte: Die Gruppe gibt sich einen Namen (etwa AG Stadttauben …..) und entwirft einen Briefkopf. Nächster Schritt: Schriftliche Bitte an die zuständige Stadtverwaltung um einen Gesprächstermin. Daran sollten höchstens zwei gut vorbereitete Mitglieder der Arbeitsgruppe teilnehmen. Es empfiehlt sich, die Fragen die gestellt werden sollen, bereits vorher schriftlich einzureichen, damit sich die Beamten auf das Gespräch vorbereiten können. Bei dem ersten Gespräch sollten die Taubenschützer zunächst keine großen Forderungen an die Stadt stellen, sondern ihre Dienste anbieten (z. B. Betreuung des Taubenschlags). Sollte das Gespräch positiv verlaufen, ist es empfehlenswert, beim zuständigen Finanzamt ein Antrag auf Gemeinnützigkeit zu stellen. Damit ist u.a. das Ausstellen von Spendenquittungen möglich. Dafür ist es nicht nötig, einen eingetragenen Verein zu gründen. Das spart Geld, bürokratischen Aufwand und vielleicht auch Ärger mit Mitgliedern.

Wie lässt sich die ungefähre Anzahl der Stadttauben in einem Stadtgebiet ermitteln?

Stadttauben können nie exakt gezählt werden. Die in den Medien veröffentlichten Zahlen sind von jemandem in die Welt gesetzt und in der Regel viel zu hoch gegriffen. So war in der Augsburger Presse jahrelang von 20.000 Tauben die Rede. Nach der Zählung (Feinschätzung) durch Münchner Biologen ergab sich eine Taubenpopulation von gut 2.000 Tieren im gesamten Stadtgebiet. Nimmt man für die Anzahl der Tauben in einem Stadtgebiet etwa 1 bis 2% der Stadtbevölkerung an (bestätigt durch Zählungen in mehreren Städten), so gibt es in München keine 40.000 Tauben, sondern höchstens 15.000 bis 20.000 Tiere.

Wissenschaftler haben verschiedene Verfahren entwickelt mit deren Hilfe man die ungefähre Anzahl der Tauben im Stadtgebiet ermitteln kann. Sie unterscheiden sich nur geringfügig. Demnach könnte man wie folgt vorgehen: Mehrere Mitarbeiter zählen an möglichst vielen Plätzen an mehreren Tagen zu gleicher Zeit die gesichteten Tauben. Sind nur wenige Helfer verfügbar, müsste die Zählaktion an anderen Plätzen fortgesetzt werden. Man notiert die jeweils gezählten Tauben, stellt für jeden Platz das Mittel der gezählten Tauben fest und summiert die Mittel sämtlicher Stellen. Damit sind aber noch nicht alle Tauben der Innenstadt erfasst, da zur Hauptbrutzeit von März bis August Elterntiere Eier bebrüten oder ihre Nestlinge hudern. Auch die Tauben in den Vororten sind nicht berücksichtigt. Es wird deshalb von den Fachleuten empfohlen, die Anzahl der in der Stadtmitte ermittelten Tauben je nach Größe des Stadtgebiets mit dem Faktor 2 oder 3 zu multiplizieren.

Wie findet man geeignete Standorte für Taubenschläge in Dachgeschossen, für Taubenhäuser auf Flachdächern und für Taubentürme in Grünanlagen?

Taubenschützer der Kommune sollten zunächst schauen, wo in der Stadt sich besonders viele Tauben aufhalten, und ob sich in der Nähe städtische oder öffentliche Gebäude befinden. Mit diesen Erkenntnissen wendet man sich an die zuständige Stadtverwaltung und an das Hochbauamt mit der Bitte um Überprüfung. Der Denkmalschutz sollte dabei keine Rolle spielen, da nicht zusätzliche Probleme an den Gebäuden geschaffen, sondern mittelfristig gelöst werden. Handelt es sich um Immobilien privater Eigentümer (Parkhäuser, Betriebe) sollte man mit diesen Kontakt aufnehmen. Standorte in Wohngebäuden oder Wohnanlagen sollten auf keinen Fall in Betracht gezogen werden.

Wie gewinnt man zuverlässige Betreuer?

Eine sehr schwierige Frage. Wir haben unsere Betreuer über Mitarbeiter oder durch glückliche Zufälle gefunden. Zeitungsanzeigen oder Aufrufe in der Presse haben nichts gebracht. Meines Wissens gibt es in manchen Städten eine Zusammenarbeit mit kirchlichen oder weltlichen sozialen Einrichtungen.  [Anm.: Eine Vergütung oder Aufwandsentschädigung sollte für die Betreuung der Taubenschläge mit eingeplant werden.]

Welche Höhe ist für Taubenschläge ideal?

Die Idealhöhe für Stadttauben liegt zwischen 13 und 25 Metern. Bei mehrstöckigen Häusern werden sich Tauben kaum auf Fenstersimsen des Erdgeschosses oder der ersten und zweiten Etage aufhalten. Es gibt Ausnahmen. Was nun aber nicht heißen soll, dass man nicht auch zu ebener Erde (etwa die Bauwagen in Göttingen) oder in 40 Meter Höhe (etwa auf einem Flachdach der Studentenstadt in München-Schwabing) Taubenschläge errichten kann, insofern sich Tauben dort bereits aufhalten.

Lassen sich Tauben mit Hilfe eines Taubenschlags vom Stadtzentrum an die Peripherie umsiedeln?

Dieser Versuch wurde meines Wissens in einer bayerischen Kommune geplant, aber wieder aufgegeben. Würde man in kleineren Städten einen Taubenschlag irgendwo an der Peripherie bauen, wo sich bisher keine Tauben aufhalten, weil hohe Gebäude fehlen, und würde man die Tauben über Wochen dort einsperren, um sie an den Taubenschlag zu gewöhnen, würden sie nach dem Öffnen des Einflugs sofort wieder ins Ortszentrum zurückfliegen. Erklärung: Ursprüngliche Nistplätze und hohe Gebäude.

Ist es sinnvoll, Tauben vorübergehend in einen Schlag einzusperren, um zu erreichen, dass sie dort bleiben?

Mir ist bekannt, dass in einigen Städten diese Methode angewendet wird. Ob mit oder ohne Erfolg, ist mir nicht bekannt. Wir haben in einem unserer ersten Taubenschläge 18 Jungtauben, die wir aufgezogen haben, zwei Wochen eingesperrt. Nach der Öffnung des Ausflugs flogen natürlich alle Tauben hinaus, aber 14 Tauben kamen  wieder zurück. Wir haben diese Methode nie mehr angewendet, weil wir es für Tierquälerei halten, flugfähige Tauben einzusperren. Es klappt auch anders. Wie ich durch Anruf erfahren habe, hat man in einer Stadt (der Name ist mir entfallen) 50 erwachsene Tauben eingefangen und vier Wochen in einen Schlag eingesperrt. Nach Öffnung des Ausflugs waren alle Tauben verschwunden. Offensichtlich kehrten sie an ihre angestammten Brutplätze zurück. In diesem Fall sind vermutlich zurückgelassene Nestlinge ums Leben gekommen.

Gut sind wir bisher so verfahren:

Man stellt Körnerfutter (zunächst am besten in offenen Schalen), Wasser und Grit auf den Boden des Taubenschlags. Dazu streunt man bestes Körnerfutter ziemlich dick auf die Außen- und Innenseiten der Anflugbretter. Schon nach kurzer Zeit entdecken die ersten Tauben, dank ihres exzellenten Sehvermögens, die Körner. Nach unseren Beobachtungen nehmen die Tauben oft wochenlang nur die Körner auf der Außenseite der Anflugbretter auf. Irgendwann merken die vorsichtigen Tiere dann, dass ihnen vom Taubenschlag her keine Gefahr droht und wagen sich auch auf die Innenseite der Bretter und schließlich in den Taubenschlag selbst.

Bei Taubenhäusern auf Flachdächern kann man auch kurzzeitig Futter auf den Boden vor den Einflugbrettern streuen, muss dann aber sofort die Außenfütterung einstellen, sobald die Tauben das Futter entdeckt haben, da sie sonst nicht alle in den Schlag kommen. Der Prozess der Eingewöhnung kann Monate, ein halbes Jahr oder länger dauern, bis dann schließlich die ersten Eier gelegt werden. Ein Erfolg aber bleibt nicht aus. Wer eine schnelle Lösung will, muss entsprechend aufgeklärt werden.

Vorteil des Verfahrens: Man tut den Tauben keine Gewalt an, sondern überlässt ihnen die Entscheidung, ein wichtiges Argument für mich als Taubenschützer.

Wie viele Stadttauben können in einem Schlag bestimmter Größe gehalten werden?

Für Züchter von Brief- und Rassetauben gibt es in der Fachliteratur ganz bestimmte Empfehlungen über die Anzahl der Tauben, die in einem Taubenhaus bestimmter Größe gehalten werden sollten. So empfiehlt Werner Grundel in seinem Buch „Brieftauben“ (Eugen Ulmer 1993) in einem Taubenschlag mit der Bodenfläche 6,25 m²  und einem Luftraum von 10 m³  8 Paare oder 16 alte Tauben zu halten. Überträgt man das auf Schläge für Stadttauben, so dürften in einem Schlag mit 15 m² und einem Luftraum von 30 m³ lediglich 50 Tauben Platz finden. Heinrich Mackrott rechnet  in seinem Buch „Rassetauben“ (Eugen Ulmer 1992) mit einem Zuchtpaar für 1 m² Schlagfläche. Das wiederum würde bedeuten, dass in einem Taubenschlag mit 15 m² Bodenfläche nur 30 Tauben leben dürfen.

Diese Empfehlungen können und müssen für Taubenschläge mit Stadttauben nicht übernommen werden. Die Einflüge der Taubenschläge sind Tag und Nacht offen, so dass Tauben aus dem Umfeld jederzeit einfliegen können. Wie viele letztlich Platz haben, machen die Tauben unter sich aus. Bei uns leben in Schlägen mit 15 bis 17 m² Bodenfläche 120 bis 150 Tauben, in einem Schlag mit 32 m²  Bodenfläche mehr als 200 Tiere friedlich beisammen. Sie machen kleine Mulden in die Einstreu und bebrüten die Eier in geringem Abstand von oft nur 30 cm. Streitigkeiten gibt es nur dann, wenn Neuankömmlinge Nistzellen besetzen, die schon vergeben sind.  Die Eindringlinge werden durch Schnabelhacken vertrieben. Manche Täuber beanspruchen zwei Nistzellen für sich und ihre Partnerinnen.

Sollte in den Schlägen eingestreut werden?

Darauf schwören wir. Wir verwenden in den von unserer Arbeitsgruppe betreuten Taubenschlägen als Einstreu gehäckselte Hanfstängel der Firma Hugro (erhältlich im Zoohandel), die auch von anderen Firmen inzwischen hergestellt werden. Es sind kleine Teilchen (1 bis 2 cm lang, 2 bis 3 mm breit) getrockneter Hanfstängel, die etwa 5 cm stark auf den Fußboden aufgebracht werden. Diese Einstreu bietet folgende Vorteile:

Der Fußboden ist warm, Tauben ruhen in der Einstreu. Tauben legen in kleine Mulden der Einstreu ihre Eier und bebrüten sie. Einstreu erleichtert die Arbeit des Betreuers (dem Taubenkot wird die Feuchtigkeit entzogen, der Kot wird pulverisiert. Das Gemisch aus Einstreu und Kotpulver muss nur alle zwei Monate entfernt werden. Der Fußboden ist trocken, das Schlagklima sehr gut).

Welches Körnerfutter sollten Stadttauben bekommen?

Ernährung und Fütterung von Tauben – insbesondere von Brieftauben – ist eine Wissenschaft für sich. Curt Vogel widmet in seinem umfangreichen Klassiker „Tauben“ (Weltbild Verlag, Augsburg 1997) dem Thema ganze 87 Seiten. Die folgenden Angaben sind dem Buch entnommen. Demnach sollte das Körnerfutter folgende Bestandteile enthalten: Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett, Vitamine, Mineralstoffe. In guten Futtermischungen sollten alle Bestandteile zur Versorgung der Tauben mit allen notwendigen Inhaltsstoffen und zu ihrer Gesunderhaltung enthalten sein:

Mais gehört zu den wertvollsten Futtermitteln für Tauben. Er enthält besonders viele Kohlenhydrate, die für den Energiehaushalt der Tauben – ihre Körpertemperatur beträgt durchschnittlich 42 Grad – besonders im Winter äußerst wichtig sind. Kleine Maiskörner nehmen die Tauben lieber als großkörnige. Da Mais einen geringen Gehalt an lebenswichtigen Aminosäuren hat, ist er als ausschließliches Futtermittel nicht geeignet.

Weizen ist leicht verdaulich, hat einen hohen Gehalt an Roheiweiß mit einem ausgeglichenen Anteil an lebenswichtigen Aminosäuren. Weizen ist eines der wenigen Futtermittel, die man ausschließlich an Tauben verabreichen kann, ohne dass Gesundheitsstörungen zu befürchten sind.

Hirseprodukte unterscheiden sich nur wenig von Getreidekörnern wie Gerste, Mais, Roggen und Weizen. Insofern sind sie ein entbehrliches Futtermittel. Die bekanntesten Hirseprodukte sind Dari und Milo, die in Futtermischungen oft reichlich enthalten sind. Es handelt sich um grauweiße, gelbliche bis rötlich gefärbte kleine runde Körner. Im Nährstoffgehalt und in der Verdaulichkeit sind sie dem Mais ebenbürtig, haben aber einen geringen Carotin- und Calciumgehalt.

Erbsen enthalten neben Kohlenhydraten einen hohen Anteil von hochwertigem Eiweiß, reichlich Vitamine und Mineralstoffe wie Calcium, Phosphor, Kalium, Magnesium, Natrium, Mangan, Eisen, Kupfer und Schwefel. Insgesamt haben Erbsen einen günstigen Gehalt an Nähr-,Mineral- und Wirkstoffen und sollten deshalb in keiner Futtermischung fehlen.

Ölsaaten. Die Früchte der Ölsaaten bestehen aus der unverdaulichen Samenschale, dem Keimling und dem Fruchtkörper. Durch ihren Gehalt an Eiweiß, Fett und stickstofffreien Extraktstoffen besitzen sie hohen Nähr- und Energiewert. Neben Eiweiß und Fett verfügen sie über reichlich Mineralstoffe, Vitamine und lebenswichtige Aminosäuren. Am beliebtesten bei Haustauben sind Hanfsamen, Sonnenblumenkerne und Rapssamen.

In Futtermischungen können auch folgende Bestandteile in kleinen Mengen enthalten sein: Gerste, Reis, Roggen, Bohnen, Linsen, Lupinen, Wicken, Erdnüsse.

Muss den Tauben in den Schlägen neben Körnerfutter und Grit auch Wasser angeboten werden?

Wo es möglich ist, auf alle Fälle. Es müsste dann in der Nähe des Taubenschlags ein Wasseranschluss sich befinden und auch ein Raum, wo man Wasserspender auswaschen kann. Wo das nicht möglich ist, könnte man Wasser in Kanistern zum Taubenschlag bringen. Außerdem müsste man sich überlegen, wo sonst Wasserquellen zur Verfügung stehen. In der warmen Jahreszeit können sich Tauben an Flüssen, Teichen, Bächen oder Brunnen mit Wasser versorgen. In den Wintermonaten sind Tauben, wenn natürliche Wasserquellen zugefroren sind, auf Schnee oder Schmelz- und Regenwasser angewiesen, wobei man weiß, dass Wasser aus Pfützen mit Schwermetallen belastet sein kann. Man beobachtet auch immer, dass Tauben in ihrer Verzweiflung mit Chemikalien angereichertes, auf die Straße ausgekipptes Putzwasser aufnehmen. Wo es also irgendwie möglich ist, sollten Tauben mit frischem Wasser versorgt werden. Es gibt im Fachhandel Zusätze, die das Wasser über längere Zeiträume frisch halten.

Wie hell oder dunkel sollte es in den Taubenschlägen sein?

Wer einmal gesehen hat, wo überall Stadttauben wild leben und ihre Jungen großziehen, wird mit den Lichtverhältnissen in Taubenschlägen kaum Probleme haben. Vom dunklen Keller, über dämmerige Dachböden bis hin zum hellen Tageslicht unter vorgezogenen Dächern gibt es keinen Platz, den Stadttauben nicht für sich in Anspruch nehmen. Beim Einbau von Taubenschlägen in Dachböden muss man sich ohnehin nach den örtlichen Gegebenheiten richten.

Wie groß sollen Einflüge sein?

Beim Einbau von Taubenschlägen in Dachböden ist man auf die dortigen Gegebenheiten angewiesen. Es kann für den Einflug eine Dachgaube, ein Fenster oder nur ein Dachflächenfenster  zur Verfügung stehen, das dann für den Einflug umgebaut werden muss. Es sollten auf alle Fälle zwei voneinander unabhängige Einflüge gebaut werden, da dominante Täuber gerne Einflüge blockieren. Bei Taubenschlägen auf Flachdächern können Entscheidungen jederzeit getroffen werden. Eine günstige Größe liegt bei 40 bis 50 cm Breite und 30 cm Höhe.

Ist es nötig, den Tauben Medikamente zu verabreichen?

Das hängt ab vom jeweiligen Gesundheitszustand der Tauben in einem Taubenschlag. Rat kann man sich holen bei Tierärzten oder Tierärztinnen, die sich mit Tauben auskennen – davon gibt es leider nur wenige – in der Taubenklinik Essen, bei der Vogelklinik Oberschleißheim bei München oder bei erfahrenen Taubenzüchtern. Wir verabreichen den Tauben in unseren Taubenschlägen keinerlei Medikamente, da wir die Beobachtung machen, dass die Tiere, wenn der Stress (Futter- und Brutplatzsuche) entfällt, artgerechtes Futter und frisches Wasser ausreichend vorhanden sind, die Tauben mit wenigen Ausnahmen sich bester Gesundheit erfreuen. Für Tauben, die an Paramyxovirose erkrankt sind (Verdrehen des Halses) gibt es leider kein Serum. Für Taubenzüchter, die täglich ihren Schlag besuchen und Tauben jederzeit greifen können, gibt es die Möglichkeit einer prophylaktischen Impfung, was in Schlägen mit Stadttauben nicht möglich und auch nicht sinnvoll (Nebenwirkungen!) wäre. Das einzige Medikament, das wir einsetzen, ist gegen den sogenannten Gelben Knopf (Trichomoniasis), der sich bei der künstlichen Fütterung von Jungtauben zeigt. Die Erreger sind Trichomonaden (=Geißeltierchen), die über das Trinkwasser oder bei der Fütterung von Nestlingen durch die Elterntiere übertragen werden. Sie setzen sich vor allem im Zungen- und Rachenbereich fest. Bei den Jungtieren treten Schluckbeschwerden auf, so dass sie nur noch zögernd fressen können und letztlich verhungern. Im Rachenbereich ist ein unangenehm riechender, bis kirschgroßer, gelblicher Belag erkennbar. Massiv erkrankte Tauben sterben ohne Behandlung nach drei bis zehn Tagen. Beim künstlichen Füttern von Nestlingen und Jungtauben erkennt man die Erkrankung.

Wann sollten Tauben eingeschläfert werden?

Das liegt im Ermessen der jeweiligen Taubenschützer. Wir lassen Tauben nur in drei Fällen einschläfern. Bei schweren Verletzungen, wenn keinerlei Chance auf Heilung oder auf die Rückgewinnung auf ein schmerzfreies, lebenswertes Leben besteht (1), bei Grätschbeinen (2) und bei Gelenksalmonellose (3). [Anm.: Aus Gründen des Tierschutzes muss bei derartigen Erkrankungen umgehend eine vogelkundige Tierarztpraxis aufgesucht werden!]

Zu (1):Zu dieser Gruppe gehören nicht Tauben mit amputierten Zehen oder Tauben mit einem Bein. Sie können nach unseren Erfahrungen in geräumigen Volieren gut leben. Bei Tauben, die einen Flügel verloren haben, würde ich eher für Einschläfern plädieren.

Zu (2): Betroffen sind Jungtauben im Alter von 8 bis 14 Tagen, besonders dann, wenn sich im Gelege nur ein Nestling befindet. Grätschbeine entstehen, wenn schwere Elterntiere fest auf ihrem Nest sitzen, um die Jungen zu wärmen. Diese können sich nicht gegen den Druck von oben wehren, die Beine werden nach außen gedrückt und verknöchern schnell. Normales Laufen und Stehen ist nie mehr möglich, höchstens eine Fortbewegung mit Hilfe der Flügelspitzen.

Zu (3): Salmonellose ist eine bakterielle Erkrankung. Die häufig auftretende Gelenkform ist für die Salmonellose der Tauben typisch. Dabei werden die entzündeten Gelenke auffällig vergrößert (verdickte Kapseln), was zu großen Schmerzen führt. Befallene Tauben können nur schwer oder gar nicht fliegen und nicht normal laufen. Flügelgelenke erkranken häufiger als Beingelenke, am häufigsten ist das Ellbogengelenk befallen. Sind beide Hinterbeine gelähmt, kann sich das Tier nur noch mit Hilfe der Flügel fortbewegen. Gelenkerkrankungen lassen sich kaum therapeutisch behandeln, deshalb sollte man das Tier einschläfern lassen. (Mehr zu Punkt (2) und (3) in dem Buch von Werner Lüthgen: „Taubenkrankheiten“, Verlagshaus Reutlingen . Oertel + Spörer)

Was tun gegen feindliche Tiere wie Greifvögel, Steinmarder, Nesträuber?

Nach unseren Beobachtungen gibt es mehrere Arten von Räubern, die in Taubenschläge eindringen können: Die Rabenkrähe (nicht zu verwechseln mit der Saatkrähe). Rabenkrähen leben in Einehe in einem relativ großen Revier. Sie leben räuberisch. Sie dringen in Taubenschläge ein, rauben Eier und können auch Nestlinge mitnehmen. Dass sie erwachsene Tauben töten, haben wir in den drei betroffenen Schlägen nie beobachtet. Die Tauben fühlen sich nicht bedroht und bleiben im Schlag. Der Sperber ist weit verbreitet, nistet auf Bäumen, sogar in kleinen Parkanlagen mitten im Stadtgebiet. Sperberweibchen, die größer sind als die Männchen, dringen als ungestüme Jäger auch bei verkleinertem Einflug in den Taubenschlag ein, töten eine Taube und fressen sie an Ort und Stelle. Es bleibt außer gerupften Federn kaum etwas übrig. Die Tauben verlassen meistens für einige Tage den Schlag, ehe sie wieder zurückkehren. Wir hatten Sperber in mehreren Taubenschlägen. In zwei Fällen haben die Betreuer Sperber eingefangen, einige Kilometer weggebracht und wieder fliegen lassen. Sie kamen nicht mehr zurück. Der Steinmarder ist der gefährlichste „Räuber“. Er kann an rauen Mauern hochklettern oder von Baumästen zwei bis drei Meter auf das Anflugbrett springen.  Er beißt erwachsenen Tauben die Köpfe ab und saugt sie aus. Gerät er in einen Blutrausch, kann er zehn bis 15 Tauben in einer Nacht töten. Mit Hundehaaren ist es uns in mehreren Taubenschlägen gelungen, Steinmarder von den Schlägen fernzuhalten. Die Hundehaare werden in dünne Damenstrümpfe gefüllt, die Wülste an den Einflugbrettern angetackert. Man kann auch ein feinmaschiges Stahlgitter in geringem Abstand (Abstandhalter) über die Einflugbretter spannen, die, nach Auskunft von Fachleuten, Steinmarder niemals betreten würden. Die verängstigten Tauben kehren oft erst nach ein bis zwei Wochen wieder in den Taubenschlag zurück. Als weitere Nesträuber (Eier) gelten Eichhörnchen und Wiesel. Damit haben wir allerdings keinerlei Erfahrung.

Wie kann sich die Zusammenarbeit mit Firmen für Taubenabwehr gestalten?

Es gibt einige realitätsfremde Taubenschützer, die jegliche Art von Taubenabwehr ablehnen. Ihre Argumente: Tauben würden sich an Spikes aufspießen und hinter Netzen verfangen und elend sterben. Ersteres ist höchst unwahrscheinlich, da moderne Spikes abgeflacht sind und nicht durch das Gefieder dringen können. Sieht man aber Tauben auf Spikes sitzen, kann der Grund sein, dass die Tauben wieder auf ihre angestammten Brutplätze zurückkehren wollen, oder gerade dabei sind, die Spikes mit Nistmaterial und Kot aufzufüllen und darauf ihr Nest zu bauen. Wir haben Tauben beobachtet, die auf Spikes saßen und problemlos wieder hochfliegen konnten.  Das zweite Argument ist völlig ernst zu nehmen. Immer wieder verfangen sich Tauben hinter unprofessionell angebrachten oder teilweise verrotteten Netzen und sterben einen langsamen Tod. Wenn Netze neu installiert werden und nur an einer Stelle eine kleine Lücke bleibt, durch die Tauben durchschlüpfen können (5 cm genügen) finden die Tauben nicht mehr heraus. Ergänzend muss zum Thema Taubenabwehr gesagt werden, dass stromführende Spanndrähte oder stromführende Elemente aus Tierschutzgründen abzulehnen sind. Ultraschall wirkt nur in geschlossenen Räumen, wird aber von Tauben trotz Schmerzen in Kauf genommen, wenn sie an ihre Brutplätze zurückkehren wollen [Anm.: zur Wirkung und Effektivität von Ultraschallgeräten zur Taubenabwehr gibt es bisher keine eindeutigen Erkenntnisse]. Abwehrmaßnamen werden installiert, auch wenn es manche Taubenschützer nicht wahrhaben wollen. Deshalb ist es nach meiner Meinung sehr wichtig mit Firmen für Taubenabwehr in Kontakt zu treten, wenn möglich in persönlichen Gesprächen. Dabei sollte folgendes vereinbart werden:

Die Firmen werden gebeten, Abwehrmaßnahmen (z. B. bei Vernetzungen in Unterführungen) mit dem Tierschutz abzusprechen.

Bei der Einrichtung von Abwehrmaßnahmen müssen sie sorgfältig darauf achten, dass unselbständige Jungtauben dem Tierschutz übergeben werden, und dass keine Alttauben hinter Netzen eingesperrt werden. Die Auftraggeber schließen mit der Firma (zusätzliche Kosten) einen Wartungsvertrag ab. Dadurch verpflichten sich die Firmen, Spikes oder Vernetzungen in bestimmten Abständen zu überprüfen.

Müssen beim Bau eines Taubenschlags Forderungen des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden?

In einer Stadt in Baden-Württemberg (Name soll vorläufig nicht genannt werden) soll ein Taubenschlag nach dem Willen der Stadtverwaltung auf einem Flachdach im Stadtzentrum gebaut werden. Der Arbeitsschutz, der davon Kenntnis bekam, verlangt den Einbau einer Dusche in der Nähe des Schlags. Dagegen lässt sich, wie folgt, argumentieren: Der Einbau einer Dusche beim Taubenschlag ist nicht realisierbar und überhaupt nicht nötig. Der Betreuer/die Betreuerin trägt beim Betreten des Taubenschlags einen Schutzanzug mit Kapuze und einen Atemschutz. Außerdem wechselt er/sie die Schuhe. Damit besteht keinerlei Gesundheitsgefährdung. Der Taubenkot wird in reißfeste Säcke gefüllt. Die Säcke werden fest verschnürt, so dass keine Stäube beim Hinuntertragen/Hinunterfahren ins Treppenhaus oder in den Aufzug gelangen können.

Können in oder auf denkmalgeschützte Gebäuden Taubenschläge gebaut werden?

Grundsätzlich muss Folgendes gesagt werden: Halten sich Tauben an denkmalgeschützten Gebäuden auf, an der Fassade oder auf dem Dach, dann wird durch die Errichtung eines Taubenschlags im Dachboden oder auf dem Flachdach das Taubenproblem nicht vergrößert, was immer wieder zu Unrecht befürchtet wird, sondern im Gegenteil: es wird gelöst oder mindestens stark minimiert, weil die Tauben nach einer gewissen Eingewöhnungszeit die ganze Nacht und 80 bis 90% des Tages sich im Schlag aufhalten. Der Kot bleibt im Schlag und kann von dort entsorgt werden.

Das beste Beispiel ist der Taubenschlag im Dachboden der spätgotischen Stiftskirche (1470-83) in Tübingen. In einem Schreiben des Gemeindepfarrers Dr. Karl Theodor Kleinknecht lautet der letzte Absatz:

“So kann ich anderen Gemeinden guten Gewissens empfehlen, entsprechende Wünsche der Tierschützer ernsthaft in Betracht zu ziehen und – wenn sich nach sorgfältiger Prüfung die baulichen und denkmalschützerischen, aber auch der personellen Gegebenheiten als stimmig erweisen – den Schritt zu einem Taubenschlag im Kirchendach ruhig zu wagen.“ (Das gesamte Schreiben liegt mir vor).

In Augsburg sind sechs von 14 Taubenschlägen in denkmalgeschützten Gebäuden gebaut:

  • Taubenschlag im Dachboden der ehemaligen Stadtmetzg, einem Renaissancebau (1606-1609), heute Sozialamt. Genehmigt vom Leiter des Sozialamtes mit Zustimmung des Hochamtes und des Denkmalschutzes.
  • Taubenschlag im städtischen Verwaltungsgebäude (1900-1902), genehmigt von der Unteren Denkmalschutzbehörde, sogar mit Einbau einer neuen Dachgaube für die Einflüge.
  • Taubenschlag im Roten Tor, erbaut (1622), genehmigt vom Hochbauamt, vermutlich in Absprache mit dem Denkmalschutz.
  • Taubenschlag in einem mittelalterlichen Wehrturm beim Kloster St. Ursula. Von der Stadt vermietet an das Kloster. Genehmigt von der Schwester Oberin des Klosters.
  • Taubenschlag im Dachboden eines ehemals Gräflichen Palais, heute Bürgerbüro und Sitz der Forstverwaltung. Genehmigt vom Leiter des Forstamtes mit nachträglicher Zustimmung des Denkmalschutzes.
  • Taubenschlag im Dachboden des Oberhauser Bahnhofs. Genehmigt vom Bahnhofsmanagement in einem Gestattungsvertrag.