Allgemein Tierversuche

Neues Tierversuchsrecht: Wachsweiches Reförmchen statt großer Wurf

Mäuse sind die am häufigsten im Tierversuch eingesetzten Tiere. Foto: iStock/filo

Am 20. Januar 2021 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zum besseren Schutz von Versuchstieren beschlossen. Doch die Reform enttäuscht: Statt einem großen Wurf hat die Bundesregierung den Spielraum für deutlich mehr Tierschutz (wieder) nicht genutzt.

Jahrelange Proteste und letztlich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU waren nötig, damit Deutschland die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Tierversuchen korrigierte. Wesentliche der von der EU geforderten Änderungen sind nun erfolgt.

Prüfung von Tierversuchsanträgen: Zuviel Interpretationsspielraum
So räumt das Gesetz den Behörden, die Tierversuche genehmigen, nun offiziell das lange geforderte eigenständige Prüfrecht ein. Grundsätzlich darf ein Tierversuch nur dann genehmigt werden, wenn die staatlichen Genehmigungsbehörden feststellen, dass er „unerlässlich“ und „ethisch vertretbar“ ist. Doch auch der jetzt gültige Passus im Tierschutzgesetz behebt den fatalen Fehler der alten Regelung nicht konsequent. Denn die besonders wichtigen Passagen bleiben nebulös und damit interpretierbar: So soll die behördliche Prüfung jetzt mit einer Detailliertheit erfolgen, die „der Art des Versuchsvorhabens angemessen“ ist. Doch wie wird entschieden, was „angemessen“ ist?

Mangel: Behörden fehlt das Handwerkzeug
Oft scheitert eine umfassende Prüfung der Tierversuchsanträge schon daran, dass den Behörden schlicht das Handwerkzeug fehlt. So muss beispielsweise geprüft werden, ob zur Erreichung des mit dem Tierversuch angestrebten Ergebnisses eine andere Methode oder Versuchsstrategie zur Verfügung steht, die ohne Verwendung eines lebenden Tieres auskommt und die nach dem „Unionsrecht anerkannt“ ist. Dafür bräuchte es jedoch aktuelle und umfassende Datenbanken mit Informationen über verfügbare, validierte tierversuchsfreie Methoden. Doch diese gibt es nicht. Hinzu kommt, dass deutschlandweit gültige, einheitliche Beurteilungen der Belastungsgrade der Tiere ebenso in weiter Ferne sind, wie eine Ausstattung der Behörden mit ausreichend Personal.

Bei Verzug automatisch genehmigt
Tierversuche in der Ausbildung sollen nach den aktuellen Regelungen nun nicht mehr nur anzeigepflichtig sein, sondern sie unterliegen dem „vereinfachten Genehmigungsverfahren“ mit einer Frist von 20 Tagen. Die Behörden könnten im Bedarfsfall zwar grundsätzlich Auflagen machen, Bedingungen stellen oder Sanktionen erlassen. Aber wie realistisch ist das? Das zusätzliche Arbeitsaufkommen erfordert mehr Personal. Schafft die Behörde die Prüfung nicht innerhalb der Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt. Da hilft eine Verlängerung um maximal um zehn Tage höchstwahrscheinlich auch nicht.

Kontrollen: Immer noch zu selten
Kontrollen werden höchstwahrscheinlich auch weiterhin zu wenige durchgeführt. Die Gesetzesnovelle sieht je nach Risikoanalyse einmal jährlich bei einem Drittel der Einrichtungen Kontrollen vor. Ein „angemessener“ Teil der Kontrollen soll ohne Vorankündigung erfolgen. Hier muss geklärt werden, was das BMEL als „angemessenen Teil der Kontrollen“ definiert. Es muss unbedingt vermieden werden, dass die Kontrolldichte auf Grundlage einer Risikoanalyse zu blinden Flecken bei den Tierversuchseinrichtungen führt. Primatenversuche sollen definitiv einmal jährlich kontrolliert werden – hier hat sich nichts geändert. Jedoch sind jährliche Kontrollen auch bei allen anderen Tieren unabdingbar. Hinzu kommt, dass nur von der Prüfung der Einrichtungen die Rede ist, nicht von den laufenden (Tierversuchs-) Projekten.

Keine Einsicht bei schwerst belastenden Tierversuchen
Keine Einsicht zeigt die Regierung bei einer Obergrenze für schwerst belastende Tierversuche. Nach Artikel 15 Absatz 2 dürfen Verfahren nicht durchgeführt wird, wenn sie starke Schmer-zen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursachen, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können. Von der Einschränkung nach Artikel 55 Absatz 3 der Europäischen Tierversuchsrichtlinie macht das deutsche Tierversuchsrecht – auch nach der Reform – Gebrauch, das bedeutet, dass diese besonders belastendenden Versuche weiterhin erlaubt sind.

Nicht genutzt: Spielraum für deutlich mehr Tierschutz
Statt einem großen Wurf liegt hier nur ein wachsweiches Reförmchen vor, bei dem die Bundesregierung den Spielraum für deutlich mehr Tierschutz (wieder) nicht genutzt hat. Angesichts der nach wie vor hohen Tierversuchszahlen und dem jahrelangen Druck der Tierschutzvertreter und der EU-Kommission für eine wirkungsvolle Neufassung, ist die Reform enttäuschend und nicht mehr als ein paar Tippelschritte hin zu mehr Schutz für die Tiere in den Laboren.

Hier können Sie das Gesetz als PDF herunterladen: www.bmel.de