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22. Dezember 2020: Kulturerbe: Keine zweite Chance für das Brieftaubenwesen

Nach der 2018 gescheiterten Bewerbung bewarb sich der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter 2019 erneut um die Anerkennung des Brieftaubenwesens als nationales immaterielles UNESCO-Kulturerbe. In der Zeit von Dezember bis März 2021 findet die staatliche Bestätigung der Auswahlempfehlungen durch die Kulturministerkonferenz sowie die Staatskulturministerin statt. Da es – entgegen der Verlautbarungen des Zuchtverbandes – keine Verbesserungen im Sinne des Tierschutzes gibt, hat der Bundesverband Menschen für Tierrechte die zuständigen Stellen über die Missstände im Brieftaubenwesen informiert und sie dazu aufgerufen, die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe erneut abzulehnen.

Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter kämpft mit Nachwuchsproblemen. Eine Anerkennung als deutsches UNESCO Kulturerbe sollte dazu beitragen, den Fortbestand des fragwürdigen Hobbys zu sichern. Wie schon bei der ersten Bewerbung appellierte der Bundesverband Menschen für Tierrechte auch anlässlich der aktuellen Bewerbung an das UNESCO Expertenkomitee sowie an Kulturministerkonferenz und die Staatskulturministerin, die Anerkennung des Brieftaubenwesens als immaterielles Kulturerbe erneut abzulehnen. Unsere Begründung: Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Tatsächlich führten unter anderem Zweifel an der Einhaltung tierschutzrechtlicher Bestimmungen zur Ablehnung des Brieftaubenwesens in 2018. Nach der erneuten Bewerbung befragte Menschen für Tierrechte den Züchterverband zu den vermeintlichen Tierschutzverbesserungen, ohne jedoch konkrete Antworten zu erhalten.

Kein Grund kann Leid der Tauben rechtfertigen
„Trotz anderer Verlautbarungen verstößt der „Brieftaubensport“ gleich mehrfach gegen das Tierschutzgesetz. Deswegen haben wir die Entscheider aufgefordert, die Anerkennung des Brieftaubenwesens als immaterielles Kulturerbe erneut abzulehnen. Den gesetzlich geforderten vernünftigen Grund, der rechtlich die Leiden der Tiere rechtfertigen könnte, kann und darf es niemals für ein teils mit Gewinnabsichten verbundenes Hobby geben“, sagt die Biologin und Fachreferentin beim Bundesverband Menschen für Tierrechte, Dr. Claudia Gerlach.

Züchterverband kann Tierschutzverstöße nicht widerlegen
Trotz der Behauptung der Züchter, dass der Tierschutz eine zentrale Rolle spiele, verstößt der sogenannte „Brieftaubensport“ gleich gegen mehrere Tierschutzgesetze. Schon die Selektion „geeigneter“ Brieftauben bedingt, dass die Tiere, die nicht die gewünschten Zuchtmerkmale aufweisen, getötet werden. Das Töten erfolgt meist bei vollem Bewusstsein durch Umdrehen des Kopfes, teils ohne Nachweis einer entsprechenden Qualifikation. Selektiert werden die Tiere anhand von äußerlichen Merkmalen sowie ihrer Flugleistung.

Zuchttauben bedingen Stadttaubenpopulationen
Während der Trainings- und Wettflüge kommt es nachweislich zu Verlusten, wenn die Tauben getötet werden, verunfallen oder sich verfliegen (1). Der Züchterverband argumentiert mit geschulten Flugleitern, Auflassprotokollen, allmählicher Distanzsteigerung beim Training, sowie damit, dass die Verlustrate schwierig zu ermitteln sei. Doch es fehlen Kontrollen der Trainingsflüge (2). Und auch wenn die Verlustrate schwierig zu ermitteln ist, so lassen regelmäßig aufgefundene beringte Tauben eine hohe Dunkelziffer erahnen. Eine neue Studie aus Italien bestätigt, dass der Zuzug von Zuchttauben, die ausgesetzt wurden oder verlorengingen, eine wesentliche Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Stadttaubenpopulationen spielt (3). Zudem wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass Stadttauben genetisch von Rasse- beziehungsweise Brieftauben abstammen (4, 5).

Tierleid durch Getrennthaltung
Auf die Fragen hinsichtlich der Methoden zur Leistungssteigerung entgegnete der Züchterverband, dass die Tauben aufgrund der Bindung zum Züchter, ihrer Orientierungsfähigkeit und Heimatliebe zum Schlag zurückkehren würden. Tatsächlich nutzen die Züchter die Partner- und Standorttreue der Tiere für die Wettflüge aus. Bei der sogenannten Witwermethode werden die, zum Teil über die gesamte Flugsaison getrennt gehaltenen Partner, für kurze Zeit vor dem Flug zusammengeführt (2). Hinzu kommt, dass ein Minimum an Freiflügen nicht festgelegt ist, ein täglicher Freiflug wurde nur für die Sommermonate angegeben. Auch die angegeben Kontrollmöglichkeiten für eine fachgerechte Durchführung der Flüge und der tierschutzgerechten Haltung sind nicht verpflichtend.

Tierschutz in die Ethischen Prinzipien aufnehmen
Um für die Zukunft den Zugang von tierausbeuterischen Traditionen zu erschweren, forderte der Bundesverband neben der Ablehung des Brieftaubenwesens als immaterielles Kulturerbe, dass die Deutsche UNESCO den Tierschutz als eines der Ethischen Prinzipien in ihren Katalog aufnimmt. Der Verfassungsrang des Tierschutzes verpflichte dazu, diesen konsequent durchzusetzen und zukunftsweisend im Sinne einer Tierethik auszugestalten. Spätestens Ende März 2021 werden die Auszeichnungen bekannt gegeben.

(1) Warzecha, M., Kahlcke, K. und Kahlcke, M. (2009): Beitrag zur Ermittlung von Kennzahlen zu Verlusten bei
Wettflügen von Brieftauben (Untersuchungszeitraum: 2004–2008). Pdf online
(2) Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V.: Tierschutz im Brieftaubensport. Merkblatt 121. Juli 2009, (S. 15). Online unter: www.tierschutz-tvt.de
(3) Giunchi, Dimitri (2020): Feral pigeon populations: their gene pool and links with local domestic breeds.
(4) Shapiro, M. D., & Domyan, E. T. (2013). Domestic pigeons. Current biology : CB, 23(8), R302-3. Unter “What are feral Pigeons?” Pdf online
(5) Humphries, C. (2013). Pigeon DNA proves Darwin right. Nature News. Posted on nature. com January, 31. Satz: “It also found that street pigeons are genetically similar to racing homing pigeons, which frequently escape into the wild.” Pdf online

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein und kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Das langfristige Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Zülpich (früher Aachen) sind Vereine sowie private Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Dazu verfolgt der Verband einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und eine Agrarwende von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion, um das Ende der „Nutztier“-Haltung zu erreichen. Darüber hinaus ernennt der Verband beispielsweise das „Ersatzverfahren bzw. Replace des Jahres“ sowie das: „Versuchstier des Jahres“, betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und setzt sich mit dem Projekt SATIS für eine humane Ausbildung ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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