Missstände im Genehmigungsprozess

Tierversuchskommissionen: Parität ist nicht genug

Die Tierversuchskommissionen beraten die Genehmigungsbehörden bei der schwierigen Abwägung zwischen wissenschaftlichen Interessen und dem Schutz der Tiere. Allerdings sind viele Kommissionen mehrheitlich mit Tierversuchsbefürwortern besetzt. In Tübingen und Berlin wehrten sich die Tierschutzorganisationen gegen dieses Ungleichgewicht. Dies offenbarte einen weiteren Problembereich im Genehmigungsverfahren. Es stellte sich heraus, dass in einigen Kommissionen Kandidaten für den Tierschutz berufen werden, die selbst Tierversuche durchführen oder damit in Verbindung stehen. 

Nach der Tierschutz-Versuchstierverordnung müssen mindestens ein Drittel der Mitglieder der Tierversuchskommissionen von Tierschutzverbänden vorgeschlagen werden. Es wäre also grundsätzlich möglich, die Kommissionen ausgewogen zu besetzen. Doch bisher ist dies die Ausnahme. Die meisten sogenannten §15-Kommissionen sind zu zwei Dritteln mit Tierversuchskundlern besetzt. In Baden-Württemberg führte dies im Sommer 2020 zu einem Sturm der Entrüstung, als es um die Neubesetzung der Tierversuchskommission im Regierungsbezirk Tübingen ging. Gerade Tübingen hatte 2015 durch schockierende Aufnahmen aus dem dortigen Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik traurige Berühmtheit in Sachen Tierversuche erlangt. 

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Trotz Vorgabe keine Parität
Das zuständige Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hatte 2013 die Regierungspräsidien angewiesen, eine paritätische Besetzung in den Kommissionen anzustreben. Dennoch wurden sie zu zwei Dritteln mit Tierversuchskundlern besetzt. Bei einer üblichen Kommissionsgröße von sechs Mitgliedern standen vier Wissenschaftler zwei Tierschützern gegenüber. Eine Anfrage der baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Thekla Walker (Grüne) ergab zwar, dass sich das Verhältnis der Mitglieder seit 2013 leicht im Sinne des Tierschutzes verbessert hätte, doch dies konnte Walker nicht überzeugen. Die Regierungspräsidien hätten mehr als sieben Jahre Zeit gehabt, eine Parität in den Tierschutzkommissionen herzustellen. Sie seien dieser Aufgabe jedoch nicht nachgekommen, kritisierte Walker. Da im September 2020 die nächste Berufungsperiode in Tübingen anstand, setzten sich vor Ort die Tierrechtsorganisation PETA und die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) für eine paritätische Besetzung der Kommission ein. Die Tierschutzseite hatte dazu schon im Frühjahr mehrere Kandidaten vorgeschlagen. 

Tierversuchskundler als Tierschützer deklariert
Die Hoffnung war groß, dass die Kommission nun endlich fair besetzt werden würde. Doch es kam anders: Die Kandidaten, die PETA und die DJGT vorgeschlagen hatten, wurden nur als Stellvertreter berufen. Die anderen Plätze wurden von Vertretern der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) übernommen. Was auf den ersten Blick nach einer guten Wahl klingt, erwies sich auf den zweiten als Mogelpackung. Denn die Vertreter der TVT sind als Tierärzte zweifellos fachkundig. Sie sind jedoch nicht unparteiisch. Warum? Die TVT-Vertreter vom Arbeitskreis „Tiere im Versuch“ sind teilweise selbst Tierschutzbeauftragte in Forschungseinrichtungen, einige führen selbst Tierversuche durch. 

Befangenheit kontra Tierschutz
Der Leiter des TVT-Arbeitskreises ist beispielsweise Tierschutzbeauftragter am Heinrich-Pette-Institut – Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie. Besonders deutlich wird die Befangenheit, wenn die TVT-Vertreter Anträge ihrer eigenen Einrichtungen zu beurteilen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Anträge der eigenen Kollegen, beziehungsweise des eigenen Arbeitgebers kritisch beurteilen, ist eher gering. Das Tübinger Regierungspräsidium sieht hier jedoch kein Problem. Es beharrt darauf, dass alle berufenen Mitglieder von Tierschutzorganisationen entsandt seien. Mittlerweile sind alle vier Regierungspräsidien in Baden-Württemberg mit Vertretern der TVT besetzt

Berlin: Nominierung durch die Hintertür
Dieses Vorgehen scheint System zu haben. Bei der Besetzung der Berliner Kommissionen sollten im Herbst ebenfalls TVT-Vertreter für die Tierschutzseite berufen werden. Für die zuständige Berliner Behörde war damit der politische Wille der rot-rot-grünen Regierung umgesetzt. Diese hatte sich zuvor für eine transparente und paritätische Besetzung der Kommissionen ausgesprochen. Vorschlagende Tierschutzorganisationen sollten gemeinnützig sein, sich für die Unversehrtheit und das individuelle Wohl von Tieren einsetzen und Kompetenz bezüglich tierversuchsfreier Verfahren mitbringen. Nachdem der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Dirk Behrendt (Grüne) von der umstrittenen Berufung erfuhr, zog er in letzter Minute die Reißleine.  

Tierschützer kurzfristig nachnominiert
Die Konstituierung der Tierversuchskommissionen wurde verschoben und ein Nachbesetzungsverfahren aufgenommen. Für beide Kommissionen sollte ein ordentliches und ein stellvertretendes Kommissionsmitglied für die Tierschutzseite nachnominiert werden. Hektisch wurden verschiedene Tierschutzorganisationen angeschrieben. Der Bundesverband wird zukünftig eine Vertreterin für den Tierschutz stellen. Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn da einmal berufene Mitglieder nicht wieder abberufen werden können, verbleiben die bereits berufenen TVT-Vertreter für die Tierschutzseite in den Kommissionen. Insofern konnte die angestrebte Parität trotz der Nachnominierung nicht hergestellt werden. 

Auswahlverfahren intransparent
Dies wirft das Schlaglicht auf einen weiteren Problembereich im Genehmigungsprozess: die Intransparenz des Auswahlverfahrens. Um zukünftig zu verhindern, dass Tierversuchskundler die Tierschutzseite repräsentieren, muss klar definiert werden, wer als Tierschutzvertreter gilt und wer nicht. Die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung will dazu jetzt eine transparente Bewertung einführen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der Bundesverband wird diesen Prozess konstruktiv begleiten. Denn solange noch Tierversuche gemacht werden, muss zumindest gewährleitet sein, dass die Tiere so gut geschützt werden, wie nur irgend möglich.