„Schön Hühnchen, schön Hähnchen, und du schöne bunte Kuh, was sagst du dazu?“ heißt es im Märchen „Das Waldhaus“ von Brüder Grimm. „Duks,“ antworteten die Tiere. Weniger tierfreundlich geht es in unserem Jahrhundert zu. Schön Hähnchen wird an den Füßen aufgehängt und mit einem rotierenden Messer geköpft. 235.000 Hähnchen pro Tag allein in einem einzigen Schlachtbetrieb in Straubing. Die Hähnchenfüße werden nach China verkauft, wo sie als Delikatesse gelten und 400,- € je Tonne einbringen.
Angemeldet, genehmigt und polizeilich überwacht findet vor dem Gelände regelmäßig eine 24-stündige Mahnwache statt – und das bei jedem Wetter. Aber was können die Demonstranten dadurch erreichen? „Natürlich können wir keine messbaren Erfolge aufweisen,“ heißt es. Aber die stumme Aktion zeigt Wirkung. Die Passanten bleiben stehen, stellen Fragen, werden über Betäubung der Hähnchen im Elektrowasserbad oder durch Kohlendioxid aufgeklärt. Sie sind interessiert wie nie zuvor, wollen in Zukunft weniger Fleisch essen oder sogar Vegetarier werden.
1944 wurde in England von Donald Watson die „Vegan Society“ gegründet. Die Anfangs- und Endbuchstaben von vegetarian bezeichnen eine Lebens- und Ernährungsweise, die kein Produkt von Tieren für sich verbraucht und die Ausbeutung der Tiere grundsätzlich ablehnt. Ethik, Tierrechte, Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und die Welternährungsproblematik werden immer wichtiger und stellen vieles in Frage – auch das Essen von Geflügel, das in der „Herstellung“ billiger ist als das von Rind oder Schwein.
Wie verlockend ist das Märchen vom Schlaraffenland von Ludwig Bechstein! Darin fliegen gebratene Gänse und Kapaune, Lerchen und Krammetsvögel in den Lüften, die Spanferkel tragen ein Tranchiermesser im Rücken, damit jeder Schlaraffe sich saftige Stücke abschneiden kann. Um das ganze Land herum ist aber eine berghohe Mauer aus Reisbrei. Wer also hinein oder hinaus will, der muss sich da erst durchessen …
September 2020, © Margrit Vollertsen-Diewerge