Tierrechte Tierversuche

Strenge Genehmigungsprozesse bei Tierversuchen in Deutschland – ein Etikettenschwindel

Wegen des Coronavirus (COVID-19) werden aktuell verstärkt Tierversuche durchgeführt. Auf Kritik wird regelmäßig erwidert, dass die Genehmigungsverfahren für Tierversuche in Deutschland sehr streng seien. Doch aus einem aktuellen Bericht der Europäischen Kommission geht hervor, dass in den Jahren 2015-2017 kein einziger Tierversuchsantrag abgelehnt wurde. Was hat es auf sich mit dem vermeintlich strengen Verfahren?

Um Tierversuche durchführen zu dürfen, muss der Forscher einen Antrag auf Bewilligung bei der zuständigen Behörde einreichen – in Deutschland sind das u.a. die Regierungspräsidien. Diese werden bei ihrer Arbeit von einem Fachgremium (der sogenannten Kommission zur Unterstützung der zuständigen Behörden) beraten, an denen auch der Tierschutz beteiligt ist. Ein Prozess hinter verschlossenen Türen, denn alle Beteiligten unterliegen dem Amtsgeheimnis. Abgesehen davon, dass die Tierschützer grundsätzlich in der Minderheit sind und das Fachgremium keine Entscheidungsbefugnis hat, gibt es seit der Revision des deutschen Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 ein weiteres gravierendes Problem.

Die Behörden haben kein eigenständiges Prüfrecht mehr
Im Rahmen der Revision wurde den zuständigen Behörden ihr eigenständiges unabhängiges Prüfrecht genommen. Hieß es im früheren Text sinngemäß “Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn alle formalen Anforderungen erfüllt sind”, heißt es heute: “Die Genehmigung ist zu erteilen, (…). Dies bedeutet, die Behörde bzw. die Kommission prüft den Antrag auf Vollständigkeit und auf Plausibilität – nicht mehr beispielsweise die Frage, ob der Tierversuch überhaupt notwendig ist. Der Forscher kann das Gesuch auch gemäß behördlichen Vorgaben nachbessern, Nicht wenige leiten aus der Formulierung eine Genehmigungspflicht durch die Behörde ab. Die Frage stellt sich allerdings, welchen Nutzen das ganze Verfahren dann noch haben soll.

2015-2017: Kein Tierversuch in Deutschland abgelehnt
So kann es dann auch nicht erstaunen, dass in den Jahren 2015-2017 kein einziges Gesuch abgelehnt wurde. Diese Zahlen stammen aus dem neuesten Bericht der Europäischen Kommission. Denkbar ist, dass Versuche trotzdem nicht stattfanden, weil der Forscher auf Rückfragen nicht mehr reagierte (und so dann auch keine Genehmigung erhielt) oder weil Versuchsvorhaben nachträglich abgesagt wurden. Allerdings zweifelt man bei einer solchen Sachlage am Stellenwert der Versuche, und daran, inwiefern hier das Kriterium der Unverzichtbarkeit tatsächlich gegeben war.

Schlag ins Gesicht für die Tierschützer im Fachgremium
Unter diesen Umständen haben immer mehr Tierschutzorganisationen ihr Engagement in Kommissionen überdacht. Die Arbeit ist extrem zeitaufwendig und unentgeltlich (was Tierschützer nicht stört, solange sie für die Tiere etwas erreichen können). Die wirkliche Crux ist aber, dass die Tierschutzseite regelmäßig überstimmt wird und die Genehmigungsbehörden unter diesem Gesetz zu einer reinen “Durchwink-Institution” verkommen zu sein scheinen. Der Vorwurf des Boykotts war schon zu hören, und natürlich gibt es die Angst, die Versuchstiere im Stich zu lassen. Andererseits muss jede, gerade spendenfinanzierte, Organisation ihr Personal da einsetzen, wo sich tatsächlich etwas bewirken lässt.

Tierschutzgesetz verstößt gegen EU-Recht
Obendrein verstößt das deutsche Gesetz mit dieser Formulierung klar gegen EU-Recht, das eine unabhängige und auch inhaltliche Prüfung vorsieht. Gegen Deutschland wurde u.a. deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt. Das Land ist dringend aufgefordert, eine neue Version seines Tierschutzgesetzes vorzulegen. Dies hat die Bundesregierung im Frühjahr 2020 – mit fast acht Jahren Verspätung – getan und Entwürfe für Änderungen im Tierversuchsrecht vorgelegt. Diese jedoch sind nach Einschätzung der Tierschutzverbände absolut unzureichend. Denn darin wird der Passus zum dem notwendigen eigenständigen Prüfrecht der Behörde so schwammig formuliert, dass der Eindruck entsteht, dass das Prüfungsverbot für die Behörde aufrecht erhalten bleiben soll. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme fordern die Tierschutzverbände deswegen, dass der Behörde ein umfassendes Prüfrecht und eine Prüfpflicht eingeräumt werden muss.

Dringend nötig: Masterplan für eine tierleidfreie Wissenschaft
Um einer tierversuchsfreien Zukunft näher zu kommen, fordert der Bundesverband Menschen für Tierrechte eine umfassende Gesamtstrategie für eine tierleidfreie Wissenschaft. Denn die Tiere werden solange in Tierversuchen, wie aktuell in der Impfstoff-Forschung, leiden, bis endlich geeignete tierversuchsfreie Verfahren entwickelt und verpflichtend in die Prüfvorschriften aufgenommen wurden. Auch wenn die Mängel im Genehmigungsverfahren behoben sind, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Problematik. Deswegen setzt sich der Bundesverband Menschen für Tierrechte, zusammen mit vielen weiteren Organisationen, für einen Ausstieg aus dem Tierversuch nach dem Vorbild der USA und der Niederlande ein.
Hier kommen Sie auf die Kampagnen-Seite: www.ausstieg-aus-dem-tierversuch.de
Die umfangreiche Stellungnahme zu den Änderungen im Tierversuchsrecht können Sie hier herunterladen.